Heute morgen versuchte meine Frau bei Aldi, in dessen Filialen dem Gerücht nach Corona-Selbst-Tests verkauft werden sollten, einen derselben zu beschaffen, in einer Warteschlange, die sie an die damals in der DDR erinnerte, als es irgendwo Bananen ab. Und dann, wie damals, der Ruf: „Die Ware ist alle!“ und die Schlange zerstreute sich.

Nichts klappt in diesen zerschundenen und von einer stümperhaften, aber selbstgerechten Clique in Grund und Boden regierten Land, das wir früher einmal mit gewissem Stolz Deutschland nennen durften. Allerdings: wer das heute tut, riskiert es, wie die AfD, die einzige Opposition im Lande, mit Hilfe des Geheimdienstes und willfähriger Helfer per sozialer Ächtung aus dem Verkehr gezogen zu werden.

Was ist nur passiert mit uns in den letzten 15 Jahren?

Zu Corona: Nun hat selbst Focus-online, das bisher eifrig im Windschatten der Regierung täglich mit neuen Infektionszahlen Panik betrieb – völlig sinnlosen Zahlen, da weder Alter noch Testhäufigkeit angegeben wurden – beigedreht.

Kleinmütig vermeldete der online-Dienst letzte Woche, dass Schweden, welches auf einen harten Lockdown völlig verzichtet hatte, ebensoviele, nein: weniger Todesopfer zu beklagen hatte, als das in die Erstarrung gezwungene Deutschland.

All die polizeistaatlichen Terrorisierungen der Bevölkerung wie Bußgelder bei Verstößen gegen die „Verweildauer“, Helikopter-Einsätze gegen Kinder, Wohnungsdurchsuchungen waren völlig unsinnig in der Pandemie-Bekämpfung und dienten offenbar nur dazu, von den krassen Fehlern der Regierung abzulenken.

In der Durch-Impfung der Bevölkerung belegen wir hinter Rumänien den letzten Platz (mit 7,6 nur ein Zehntel besser als die Gesamt-EU). Im Vergleich dazu Großbritannien: doppelt soviel Geimpfte, seit neuestem dürfen auch Apotheken diesen Dienst versehen.

Bei uns werden Alte in komplett überlastete sogenannte hotlines abgedrängt, treffen Vereinbarungen, wenn sie durchkommen – und werden wieder vergessen.

Wir sind Dritte Welt, allerdings wesentlich bürokratischer und letztlich unbarmherziger: Soeben berichtete spiegel-tv von dem Arzt und Unternehmer Winfried Stöcker, dem es gelang, einen Impfstoff herzustellen, der Antikörper gegen das Virus herausbildet. Die Virologen-Ikone Drosten zeigte sich beeindruckt – doch die Behörden legten Professor Stöcker buchstäblich das Handwerk. Er erhielt eine Anzeige, weil er den Stoff ohne Erlaubnis produziert hatte.

Aber nun zu Großbritannien, der geschmähten Insel und ihren Impferfolgen mit ihrem als Populisten verhöhnten und auf einem Spiegel Titel als Deppen verzeichneten Boris Johnson, dem die stählerne EU-Chefin von der Leyen – eine Versagerin vor dem Herrn – das Verlassen der EU so sauer wie nur irgend möglich machen wollte, um Nachahmungstäter abzuschrecken.

Nun kam die Bild mit der Schlagzeile: „Liebe Briten we beneiden you“. Worauf die ebenso auflagenstarke (und ebenso laute) britische „Sun“ antwortete „Wir beneiden dich nicht…over the EU vaccination shambles“. Und da es die Sun ist, die jedes Fußball-Länderspiel zum Anlass nimmt, ihren Sieg über die deutschen Pickelhauben und Stechschritt-Krieger erneut zu zelebrieren, fügte sie an: „Wir impfen euch unter den Tisch!“

Das ist nicht nur britischer Übermut, sondern Realität – sie impfen uns tatsächlich unter den Tisch. Und sie feiern ihre durch den Brexit gewonnene Unabhängigkeit: „Losgelöst von den Fesseln des bürokratischen Haufens schlugen wir UNSERE Handtücher zuerst auf die Sonnenliegen von AstraZeneca, Pfizer und Moderna“.

Und sie werden in diesen Sommer auf Malle selbstverständlich als erste ihre Handtücher platzieren, vor den Deutschen. Typische britische Gemeinheit allerdings, dass die Sun nicht den deutschen Impfstoff Biontech erwähnt hat, aber was das angeht, bin ich Kummer gewohnt. Briten und Deutsche, das ist Catchen der lustigsten Sorte.

Als ich für den Spiegel aus London berichtete, war mein Bruder Botschafter und versuchte nimmermüde, den Briten die Wohltaten und Vorteile der EU zu verkünden. Es war ein up-hill-battle für ihn.

Ich dagegen – es waren die 2000er Jahre und Tony Blair feierte sich und die Insel geradezu nervtötend als „Cool Britannia“ – zeigte schonungslos auf, was alles kaputt war dort drüben: ein kaputtes Gesundheitssystem, notorisch unpünktliche Züge gegen unsere unfehlbaren ICEs (heute würde ich mir auf die Zunge beißen), ethnische Straßenschlachten, Teenager-Schwangerschaften und Tabletten-Abhängigkeit auf dem Höhepunkt. Der linke „Independent“, ebenfalls an randale interessiert, übersetzte meinen Text und druckte ihn.

Als es dann um die Vergabe der olympischen Spiele ging, erlaubte ich mir eine kleine Satire Ich schrieb auf spiegel-online, wenn die Briten jetzt auch diese noch kriegen, werden sie so übermütig, dass sie nach Schleswig-Holstein einmarschieren werden.

Die Reaktion war wunderbar: Die „Daily Mail“, ein ebenso lautes Blatt wie die Sun, titelte: „Bruder vom Botschafter verhöhnt England“. Und in den Artikel eingeklinkt war ein Foto vom Kriegshelden Winston Churchill mit dem Victory-Zeichen.

So geht Fleet-Street-Journalismus, der Spaß macht: Tortenschlachten, übermütig, ironisch, witzig!

Nun aber macht die Sun uns Deutschen ein Angebot, das jeder versteht, weil es sich an die Fußball-Fans richtet: Für die kommende Europa-Meisterschaft bietet sie an, neben den Halbfinal-Spielen und dem Finale auch Vorrundenspiele zu übernehmen, falls die übrigen EU-Nationen Deutschland, Spanien, Italien oder Rumänien noch nicht soweit sind.

„Wir sind bereit“, ließ Boris Johnson über die „Sun“ ausrichten. Die Bild ging witzig und gar nicht gekränkt auf den Vorschlag ein. Über einem Foto von Boris Johnson schrieb sie: „You kriegst the EM! We kriegen the Pott“.

Wunschträume, aber hey, die Hoffnung stirbt zuletzt.

Die EM in England: Knapp 30 Prozent der Bevölkerung auf der Insel ist geimpft, bis Juni dürfte sich die Quote verdoppelt haben, und die Spiele könnten vor stimmungsstarkem Stadion-Publikum stattfinden.

Von Großbritannien lernen, heißt siegen lernen, um einen Spruch abzuwandeln, mit dem unsere Kanzlerin aufgewachsen ist, in dem allerdings von der (mittlerweile zerbrochenen und verschwundenen) Sowjet-Union die Rede war.

Doch noch eines könnten wir von den Briten ganz besonders lernen: die Wachheit und Protestwilligkeit, wenn Kernbestände der Meinungsfreiheit und der Demokratie angetastet werden. Das Hyde-Park-Corner in London, wo jeder auf die Apfelsinenkiste steigen kann und ausrufen, was ihm nicht passt, ist in diesem demokratischen Kernland ein Beispiel.

Keine britische Regierung würde es wagen, eine Oppositionspartei mit den Mitteln des Inlandgeheimdienstes in einem Wahljahr aus dem Rennen zu nehmen, wie es derzeit die Merkel-Regierung mit der AfD versuchte, die vom willfährigen Verfassungsschutz zum „Verdachtsfall“ erklärt wurde, bis ein Verwaltungsgeriocht einschritt und dem Dienst auf die Finger klopfte.

Bei uns schwiegen die Leitartikler. Das wäre drüben unmöglich, wo die demokratische Gesinnung wach und der Widerspruchgeist endemisch ist. Selbst als es um die Schicksalsfrage des Brexit ging und Nigel Farrage mit den härtesten Bandagen gegen die Regierung kämpfte, hätte ein Verbotsansinnen die Bevölkerung auf die Barrikaden getrieben.

Wie wir sehen, geht es in diesen Tagen nicht nur um Corona. Sondern um eine regierende Clique in Berlin, die ihren Bankrott nicht eingestehen möchte, sondern mit totalitären Mitteln auf Kritik regiert.

Wie sagt es der sonst so besonnene Mitte-Publizist Gabor Steingart? „Die deutsche Regierung erlebt in diesen Tagen den vorläufigen Tiefpunkt ihrer Staatskunst.“