Zum dritten Mal in Folge möchte Sloterdijk dem Gottesglauben die ideologischen Tricksereien austreiben – und schon wieder steht er ratlos in der Arena.

Für uns, die wir dem seit Aristoteles nicht abwegigen Gedanken anhängen, dass die Schöpfung nicht aus dem Nichts kommt, sondern einen Schöpfer voraussetzt, einen ersten Beweger, birgt Sloterdijks Theopoesie mit ihrem gigantischen Bildungsschweif und bisweilen verschwurbelten, doch hochpolierten Siegerprosa einen beträchtlichen Anlass zur Enttäuschung – wobei die Ent-Täuschung, so verstehe ich die Zwischenrufe an dieser Stelle, ja geradezu Programm seiner Unternehmung sei.

Aber was ist gewonnen mit einer Forschungsexpedition, deren Ergebnis von vornherein feststeht? Nämlich, dass Gott nicht existiert, weil es ihn nicht gibt. Es gibt nur eine literarische Strategie von bestenfalls poetischer Schönheit und ansonsten eine vernunftfeindliche Verschwörung von Exstatikern und Verrückten zugunsten listiger Herrschaftsbestätigung.

Aber das wissen wir doch seit Marx und Feuerbach, diesen siegreichen Dioskuren der Aufklärung, deren Entgötterungsleistung und Aufklärungsarbeit die Emanzipation des Menschengeschlechts und die Auftragslage der Todesfabriken in schwindelnde Höhen geschraubt hatten.

Worin liegt der Sinn dieses gigantischen und wortreichen Zirkelschlusses, der sich mit der Feststellung begnügt: Gott gibt es nicht, weil es ihn verdammt noch mal wie oft soll ich das noch sagen nicht gibt und den Menschensohn, auch wenn er historisch verbürgt ist, diesen Jesus, erst recht nicht.

Und der alte Augstein hätte hinzugefügt: Und wenn überhaupt, dann hat er ganz andere Sachen gesagt als bisher kolportiert.

Also fest-gestellt ist für uns doch gerade „nicht festgestellte Tiere“, wie Nietzsche die Menschengattung nannte, erst mal gar nichts. Und wenn wir es wären: Wie wollen wir, die wir dann schließlich mit Sloterdijk aus dem Fiebertraum der Religion erwacht sind, Mozarts göttlich-inspirierte  Krönungsmesse begründen und „wie das Sanfte und das Gute“, wie es in einem späten Benn-Gedicht heißt, welches ausklingt mit den Worten „ich hab es bis heute nicht gefunden und muss nun gehen“?

Wie wäre es, lieber Peter Sloterdijk, mit ein wenig mehr Selbstbewusstsein und Wagemut, mit zumindest nachempfindendem Verständnis für den Kierkegaardschen Sprung in den Kreuzesglauben, ja für den mutigen Vorstoß zur eigenen Grenze und darüber hinaus?

Nun, die Gottesfrage lässt Sloterdjk nicht los, der

Kampf ist ihm, dem einst doch so lockeren Bhagwan-Jünger, geradezu zwanghaft geworden und durchaus skurril: In seinem Buch mit dem Rilke-Motto „Du musst dein Leben ändern“ genehmigt er den Glauben allenfalls noch im Modus „Als ob“, als selbstverordnete vertikale Fitnessstrategie; in „Nach Gott“ hatte er seine Gottabschaffungsversuche gesammelt auf den Markt gebracht und Verrisse geerntet („lustlos“, „substanzloses Geklingel“, „vulgär“, „Assoziationsgewitter ohne roten Faden“).

Nun will er „Den Himmel zum Sprechen bringen“, was eine Irreführung ist, denn den bringt er ausdrücklich nicht zum Sprechen, sondern nur sich selber.

Wie in den Büchern zuvor klempnert der große Fabulierer mit Begriffen wie „religioid“ oder „Epiphaniedruck“, also in einer metaphysischen Ingenieurssprache an seinem Problemfall herum, unter ewigem Bereitschaftsdienst des Kalauers, er fummelt herum an diesem Rätsel, das ihn irgendwie verrückt macht.

Am Kubikwürfel des Glaubens.

Mir erging es bei der Lektüre des neuen Buches über die  „Theopoesie“ wie mit den Vorgängern: eine gewaltige Staubwolke, die zunächst begeistert, bis man mitkriegt, dass sie erzeugt wird, weil der Autor auf der Stelle tritt. Also Anlass-Faszination, gefolgt von schneller Ermüdung über genau das, was die Rezensenten „stupende Belesenheit“ nennen, die mich aber an die Technik des Bluffs erinnert.

Die Religion, schreibt er, sei „ein literarisches Produkt, mit dessen Hilfe die Autoren, um Klienten auf dem engen Markt der Aufmerksamkeit von Gebildeten wirbt.“

Na gut, also, wir sind ganz Ohr! Aber: über die Entstehung des christlichen Weltentwurfs (der nebenbei die Aufklärung und Sloterdeijk erst möglich machte) aus der platonischen Idee, die ins Johannes-Evangeliums Eingang fand („Am Anfang war das Wort“), ist doch schon in extenso geschrieben worden. Erst der Geist, dann die Materie. Erst der Schöpfer, dann die Welt.

Ebenso über orphische und dionysische Kulte sind wir schon unterrichtet, vielleicht weniger über die Maskenmänner Melanesiens, aber über dies alles und die kosmologischen Märchen der Amazonas-Indianer hat doch Mircea Eliade in seiner „Geschichte der religiösen Ideen“ schon seriös geschrieben, ohne Originalitäts- bzw. „Epiphaniedruck“, ja ohne dass diese Kulte noch einmal als polemische Belege für religiösen Mummenschanz zitiert werden müssten.

Sicher wäre es interessant gewesen, in der „schwach ausgeleuchteten Phase“ zwischen Kreuzestod und Himmelfahrt, Sloterdijk zufolge Wochen voller Delirien und geisterhafter Wahrnehmungen, vor Ort gewesen zu sein.

Auch wäre es spannend, den Völkerapostel Paulus nach dem Wegfall seiner von Sloterdijk vermuteten Delirien und Schauspielereien über seine Mission (immerhin mehrmals gesteinigt, mindestens dreimal schiffbrüchig, eingekerkert, schließlich getötet), also abgeschminkt nach dieser epochalen Vorstellung, gesprochen zu haben, aber wie will er heute wissen, ob es möglicherweise die Stimme des Herrn vor Damaskus nicht doch gab und Paulus‘ darauffolgenden Sturz vom Pferd?

Im Übrigen, da es unterschiedliche Zeugenaussagen gibt: ist eine innere Stimme weniger real?

Nein, der sonst so kühne Sloterdijk verrammelt sehr neuzeitlich die Tür vor dem Wunder, dessen Betriebsgeheimnis er zu wissen glaubt und welches er in diesem Buch zu verraten verspricht wie einen albernen Varieté-Trick – aber warum wirkt das alles so unüberzeugend, so vorlaut wie bei dem Schüler aus der ersten Reihe des Zeitgeistes, der aus dem Kichern nicht rauskommt.

Mit einer erfrischenden Spottlust hatte Sloterdijk einst die Bühne der Schulphilosophie als Schriftsteller  betreten, die „Kritik der kynischen Vernunft“ war von herrlicher Maßlosigkeit, auch die folgenden Weltentwürfe wie „Sphären“ oder „Der Weltinnenraum des Kapitals“ waren poetische Diagnosen, denen man sich gerne aufschloss – aber sein Gotteskomplex, mit dem er sich nun zum dritten Mal beschäftigt, um zum dritten Mal abzurutschen, ist genau jene Handreichung zu einer „Seelendämmerung“, die Sloterdijk nicht etwa für ein düsteres Menetekel, sondern sogar eine Kur hält.

Für eine Welt, die dann von Nietzsches letztem Menschen bevölkert wäre. „Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?” — so fragt der letzte Mensch und blinzelt.“

Dieses „Blinzeln“ erkennt Heidegger als Abkehr vom Denken, das sich begnügt mit der Oberfläche. Und da ist Sloterdijk mit all seiner prunkenden Geläufigkeit über die mesopotamischen oder babylonischen Marmaduk-Mythen (er schrieb eine Oper zu dem Thema) gelandet.

Mit seinem Buch weicht er der Wahrheitsfrage aus, indem er sie historisiert. Er hält das Sedativ des besserwissenden Gute-Nacht-Onkel bereit, der die beunruhigenden Geister vertreibt. Der Verzweiflungsschrei Nietzsches über den „letzten Menschen“ scheint an den Nietzscheaner Sloterdijk erstaunlicherweise völlig verloren – aber er hat sich nun mal dazu entschlossen, anders als sein leidendes Vorbild, nichts mehr zu riskieren, existenzphilosophisch gesprochen.

Er liebt es seit neuestem in der Mitte. Von „Querdenkern“, ließ er den Spiegel wissen, hält er ohnehin nichts (mehr?).

Er mündet ein in ein neues, selbstzufriedenes Biedermeier der Hochrechner und Rationalitätsbeschwörer. Nur komisch, wie so einer über Sokrates erzählen kann, ohne irritiert zu sein über dessen reichlich belegtes Insistieren auf dem eu daimon, dem guten Dämon, also eine Seele, ihn lenke bis in den bejahend angenommenen tödlichen Urteilsspruch?

Wie lässt sich das ironisch abschütteln?

Jesus ist für Sloterdijk nur der göttliche „performer“, dem es gelingt, „seinen Text ex tempore zu sprechen“. Dass seine irdische Existenz eine Erscheinung Gottes in Menschengestalt bezeugte, „galt als religiöses Standardereignis im Raum zwischen Nil und Ganges“. Das liest sich wegwerfend lustig und noch fantastischer unsinnig.

Zur großen Überforderungrede Jesu, der Bergpredigt, in der er gebietet, dem Angreifer nach der rechten auch die linke Wange hinzuhalten, fällt ihm der Kalauer ein, dass der „Ohrfeigengeber ambidextrisch begabt sein sollte, weil er, um die rechte Wange zu treffen, zuerst mit der linken geschlagen haben müsste“…kicher kicher.

Wenn wir an dieser Stelle weiterblödeln wollen, müsste ich den Einwand eines Freundes wiedergeben, nach dem Sloterdijk an dieser Stelle seine kleinkrämerische Herkunft verrate: er wisse offenbar nicht von der Handrückenohrfeige, der ultimativen Erniedrigung, nur noch gesteigert im 18.Jahrhundert durch des Schlagen mit den ausgezogenen Handschuhen, reserviert für den niedersten Pöbel und Abschaum, an dem man sich nicht die Hände schmutzig macht.

In seinem Diskurs kennt Sloterdijk diese Geste sehr wohl, quasi im Vorbeigehen erledigt er Ernst Blochs messianisches „Prinzip Hoffnung“ mit der Bemerkung „Hoffnung kann kein Prinzip sein…“ Ach ja? Wussten wir noch gar nicht.

Da Paulus davon spricht, dass Gott nicht mehr auf „Tafeln aus Stein, sondern auf denen des Herzensfleisches“ schreibe, und die jüdischen Gesetzestafeln wiederum auf solche aus der assyrischen Vorzeit von 1300 rekurrieren, folgert er, dass „das christliche Herz eine Babylonische Formatierung habe.“ Boah!

Sicher, so Sloterdijk, bilde Religion auch Zusammengehörigkeit. Dass aber der Übergang von Kultgemeinschaften zu belastbaren und erfolgreichen „Großverbänden“, ja zu „Erfolgsteams unter pluralistisch-demokratischen Verfassungen“ gelinge, erfordere eine nationalistisch drapierte „Wir-Fiktion“.

„Der Begriff Nation bildet bis auf weiteres eine labile, semigenealogische Metapher für das unverstandene Vermögen des Zusammengehörens…“ Das jetzt mal nebenbei bemerkt: Hat einer, der so über allen Wassern schwebt, überhaupt begriffen, was der Clash der Zivilisationen und die brisante Frage der Religionszugehörigkeit und der Nation realiter bedeutet?

Sloterdijks unverstandenes Vermögen bzw. verständliches Unvermögen, zur heute brandaktuellen und gesellschaftsspaltenden Wucht der Gottesfrage überhaupt Stellung zu nehmen – er hält sich seit Neuestem raus aus allen diskursiven Gefahrenzonen – ist nicht das geringste Ärgernis in diesem Buch.

Denn es spielt tatsächlich eine Rolle, woran wir glauben! Ob es Gott ist, oder das Pastafari-Monster oder Greta und die Klimaerwärmung oder die Mülltrennung oder die Algorithmen von Google/Facebook oder die Utopie einer solarbetriebenen geschlechtslosen Gesellschaft wie sie in Luc Bessons Sci-Fi Thriller „Valerian“ an einem ewigen Strand unter Palmen ausgerollt wird.

Ausgerechnet Sloterdijks Nemesis auf der öffentlichen Bühne, der Neo-Marxist Habermas, hatte 2001 in seiner Friedenspreis-Rede des deutschen Buchhandels, in dem Vortrag „Glauben und Wissen“, der religiösen Wahrheit seinen Respekt nicht verweigern wollen, die uns immerhin ein „Bewusstsein von dem vermittele, was fehlt“.

Das auch war es, was den messianisch gestimmten Marxisten Malter Benjamin bewegte: die nachträgliche Rettung der Opfer. Von all dem ist in Sloterdijks Theopoesie rätselhafter Weise nichts zu spüren.

In seinem Parforceritt kreuz und quer durch die Glaubensgeschichte wimmelt es dafür vor schlampigen Analogien. Da wird der große Alexander in seinen Ehrentiteln „Sohn des Zeus“ genannt, und schon sind wir bei Jesus, der den Allmächtigen „Vater“ nennt – und damit will Sloterdijk bewiesen haben, dass es mit dem Christentum nichts Neues unter der Sonne gibt.

Doch halt, vielleicht das: Nach über 2000 Jahren sind Zeus-Tempel in unseren Großstädten relativ spärlich vertreten, während christliche Gotteshäuser doch eine erstaunliche Resilienz zeigen.

Von seiner eigenen „Theopoetik“ lässt Sloterdijk den Leser zu Beginn des Zweiten Teils wissen, dass er sich seine Aufgabe nicht leicht machen wolle. „Von einer feindlichen Übernahme des Heiligen durch das Profane kann nicht die Rede sein, eher von einer freundlichen Hinnahme des Allzuernsten“.

Nun, die herablassende freundliche Hinnahme wird gleich im nächsten Satz aufgekündigt, wo vom Träumen und Halluzinieren, Rezitieren, Umformulieren und Re-inszenieren geschrieben wird. Um am Ende des Buches zu gestehen, dass ihm lediglich ein ästhetisches Verfahren vorschwebte, und nicht etwa jenes, wie es die Philosophie in ihrem Wortkern selbstverpflichtend angibt, aus Liebe zur „Weisheit“ zu schreiben.

„Was „Religion“ hieß, war seit je ein „joint venture“ aus Jenseits- und Diesseitspraktiken, nicht selten mit extravaganten und theatralischen Zügen ausgestattet.“ Hm. Klingt irgendwie cool. Na dann.

Sloterdijks beträchtliche Spottlust hat es nicht verdient, ernsthaft unterboten zu werden, aber begnügen wir uns damit, knapp und schmutzig bilanzieren: unfassbar geschwätzig und erneut vergeblich.



Kämpfen Sie mit!

Wie Sie sicher gesehen haben, kommen meine Beiträge ohne Werbung aus. Daher: wer mich in meinem Kampf gegen eine dumpfe Linke, die auf Binnen-Is und Gendersternchen besteht, aber Morddrohungen nicht scheut, unterstützen möchte, besonders für allfällige gerichtliche Auseinandersetzungen, kann es hier tun.

Spenden

Sie haben lust auf mehr?

Unter dem folgenden Link finden Sie weiter Artikel.

Weiterlesen