Unter dem monströsen 40-Tonnen-Kopf von Karl Marx in der Chemnitzer Brückenstraße, der noch einmal 10 Meter hoch aufgebockt ist vor einem unendlich langgestreckten sozialistischen Wohnblock, sitzt ein junges Mädchen mit Pferdeschwanz und liest einen romantischen Roman.

Dramatischer Sonnenuntergang auf dem Cover.

Mürrisch, ja misstrauisch schaut der bärtige Big Brother auf die Kleine herab. Da schleicht sich eine weg aus der vorgegebenen Linie, der Gedankenkontrolle, der Staatskontrolle, der Sprachkontrolle, und das wurde noch nie gern gesehen, schon gar nicht in Chemnitz.

Wie kaum eine Stadt ist Chemnitz gebeutelt von den Propagandalügen eines Systems, das sich für unfehlbar hielt und einen Hort ewiger Wahrheiten – 1953 verlor es sogar seinen Namen und wurde in Karl-Marx-Stadt umgetauft, für Sachsen die Stadt mit den drei “O“s: „GorlMorgsStod“.

In seinem dystopischen Roman „1984“ beschreibt Georg Orwell eine Diktatur, die auf Wahn und Lüge beruht, und sie schreibt vor, noch den widersinnigsten Slogans zu folgen, etwa „Unwissenheit ist Stärke“, oder „Krieg ist Frieden“.

Im Falle der DDR war die einsperrende Mauer ein „Antifaschistischer Schutzwall“.

Mit dem Fall der Mauer und der Diktatur wurde dieses Lügensystem beerdigt. Allerdings wurde der Orwell-Alptraum  doch noch einmal wiederbelebt in Chemnitz, diesmal in den Kulissen der Demokratie: Am 26.August 2018 und in den folgenden Tagen, als Migranten den Deutschkubaner Daniel Hillig und zwei seiner Freunde niederstachen.

Hillig starb, doch von ihm, dem Opfer, sprach bald kaum noch einer, denn ein solches, die Bevölkerung verstörendes und aufwühlendes Verbrechen, lag quer zur Staatsräson der „Willkommenskultur“.

Ein Trauermarsch für Hillig wurde von der Polizei aufgelöst.

Auf dem wurden sodann offiziell „Hetzjagden auf Ausländer“ festgestellt. Kanzleramt und Tagesschau stützten sich dabei auf ein von der Antifa zugespieltes verkürztes Handy-Video. Verfassungsschutz-Chef Maassen bezweifelte dessen Authenzität und er sollte recht behalten.

Es zeigte sich, dass das Video bearbeitet, nämlich: entscheidend gekürzt worden war. Der Filmschnipsel zeigte Ausfallschritte von zwei Demonstranten. Das komplette Video später enthüllte, dass diese damit auf Aggressionen reagierten, die von spottenden Migranten ausgingen – solchen nämlich, die ihnen Bier ins Gesicht schütten wollten.

Doch die offizielle Lüge wurde mit allem Propaganda-Aufwand und aller bürokratischen Härte durchexerziert, der widersprechende Verfassungsschutzpräsident Maassen wurde entlassen, der brave Parteisoldat Marco Wanderwitz wurde neuer „Ostbeauftragter“.

Und die Presse bemühte sich, Widersinnigkeiten wie einen unter den Linksradikalen gesichteten Antifa-Kämpfer, der den Arm zum Hitlergruß reckte, knirschend in die offizielle Lesart einzupassen, die von bösen Rechten, unschuldigen Migranten und heldenhaften sogenannten Antifaschisten erzählte. Und die mit einem Antifa-Konzert mit Gröhlemeier und linksradikalen Rappern unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und seiner salbungsvollen „Nie wieder!“-Rhetorik gekrönt wurde.

Unwissenheit ist Stärke, Krieg ist Frieden.

Zwischen dem monumentalen Marx-Kopf, den die Chemnitzer mittlerweile „Nüschel“ getauft und verniedlicht haben, und dem Wohnsilo, hat sich eine andere Art von volkspädagogischem „Neusprech“ verewigt, ein Pfad aus blauen und roten Blumen, in deren Blütenkelchen Losungen stehen wie „Toleranz“, „Dialog“, „Vielfalt“, also das gute alte Peace, Love & Happiness der Hippies in öligen Steinmeier-Schablonen.

Harmlosigkeits-Camouflage für kerkermeisternde Gutmenschen, die immer durchblicken lassen, dass sie auch anders können: Wie oft ist Piccassos unschuldige Friedenstaube schon von kommunistischen Diktaturen gefickt worden, bis die weißen Federn flogen?!

Es sind Signalwörter einer anderen, nicht minder verbiegenden, nicht minder totalitären Kultur, die sich „woke“ nennt, “erwacht“, und die alle, die etwa noch von Geschlechtern reden, von Mann und Frau oder Vater und Mutter, für verblendet halten und strafbar, zumindest sozial.

Tatsächlich gehören diese zu einem groß angelegten Neusprech-Projekt, dessen sichtbarste und absurdeste Ausprägung die Gendersprache darstellt, die ohne alle demokratische Legitimität von den „woken“ Aktivisten in Verwaltung und öffentlich-rechtlichen Anstalten unserem Sprachgebrauch übergestülpt werden.

Seitdem gibt es im Prinzip nur noch weibliche Endungen, also nur noch Frauen, die von den Stammvokabel durch Doppelpunkte oder Sternchen getrennt werden. Also Unternehmer:innen oder Professor:innen, weniger oft IS-Kommandeur:innen.

Eine One-World-Kultur, die so fugendichter Wahn ist wie früher die „wissenschaftliche Weltanschauung des Marxismus-Leninismus“. Eine Ideologie, die ganz besonders alle, die sich gegen eine Politik wenden, die Hunderttausende Migranten aus aller Welt ungeprüft ins Land strömen lässt, als „Nazis“ bezeichnet.

Eine erneuter Widerstand also wächst da heran in Chemnitz, gegen eine erneute Lüge. Die meisten dieser Widerständler wählen mittlerweile die AfD. Ja, hier in Chemnitz und in Sachsen überhaupt, hat die AfD die Staatspartei CDU überholt, weshalb der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz, CDU, den zur Konkurrenz gewechselten Wählern hinterherrief, dass sie sowieso noch nicht in der Demokratie angekommen seien.

In den „acta diurna“, dem digitalen Sudel- und Tagebuch des Schriftstellers Michael Klonovsky wird Wanderwitz in böser Ironie der Sonderbeauftragte für „Fremde Ethnien Ost“ genannt, ja, tatsächlich, was sind das nur für komische Leute, die Ossies da unten, die eifrige FAZ-Redakteure wie Stefan Locke oder Frank Pergande, selber einstige Ossies und nun offenbar geheilt, ihren Lesern erklären?

Ein paar hundert Meter weiter hinter der Marx-Büste führt mich Andreas Bochmann, der Gründer der Grünen in Chemnitz, zum Tatort vom 28.August. Eine kleine schmutzige Metallplakette im Trottoir vor einer Shisha-Bar erinnert an das Verbrechen, mittlerweile verschmutzt und zertrampelt.

Auf Augenhöhe aber ein sozialistisches Betonrelief mit Bert Brechts zynischem “Lob der Partei“. „Der Einzelne hat zwei Augen/Die Partei hat tausend Augen.“ Gänsehauttreibende Zeilen. „Der Einzelne kann untergehen, die Partei kann nie untergehen.“ Bochmann war in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Er hat sich die Freiheit erkämpft gegen die Partei.

Wir laufen die Straße der Nationen hinunter, ebenfalls stalinistisch weit und Aufmarsch-geeignet, bis wir am alten Markt landen und setzen uns am Rathaus an einen Draußen-Tisch in die Sonne.

Bochmann, einst Pressechef der Stadt, hat das Glockenspiel im Rathaus wieder in Stand setzen lassen, er liebt Musik, er hat eine Zeitlang in New York und Nashville gelebt, ein Kosmopolit mit Schwäche für Country-Musik.

Bochmann erzählt von der Wendezeit, von seinen Tagen an der Kunsthochschule, den Bürgerrechtlern, den Kundgebungen. An den Grünen heute, sagt er, könne er manchmal verzweifeln.

Ich muss meine Fragen gegen das Glockenspiel anbrüllen. „Wenn die nicht Boris Palmer in ihren Reihen hätten…“, brüllt Bochmann zurück, und er lässt den Satz unvollendet in das fröhliche sommerliche Stimmgewirr auf diesem Platz flattern, der sich am Tage 1 nach Corona gefüllt hat.

Bochmann, graues Hemd, Zigarettenselbstdreher mit einem dieser Klapp-Apparate, ist für Grüne wie Baerbock wahrscheinlich nur ein alter weißer Mann. Aber er hat gekämpft. Für ihn ist Freiheit das Höchste aller Güter, und ausgerechnet an diese wollen die Grünen nun ran.

Nein, den Michael Klonovsky kennt er nicht. „Er kandidiert hier für die AfD“, sage ich. „Weiter entfernt von den Grünen geht nicht, aber durchaus eine Art Bürgerrechtler“.

Und dieser Klonovsky sitzt ein wenig später auf der Terrasse des Chemnitzer Hofes am andern Ende der Straße der Nationen vor einem Glas Wein und pafft eine armdicke Zigarre. Er deutet ein Lächeln an, was für seine Verhältnisse schon einem überschnappenden Heiterkeitsausbruch gleichkommt.

Ich halte ihn für einen Melancholiker. Er hält sich für einen „Kokett-Depressiven“, und er berlinert gleich mit einem Witz zum Thema los: „Burnout?“ rief der Chef. „Für `ne ordentliche Depression hat‘s wohl nich jereicht!“

Allerdings wäre ein gewisses Maß an Ernst verständlich – der AfD-Kreisverband, der ihn als Direktkandidaten nominiert hatte, möchte genau das nun revidieren, auf einer Versammlung am nächsten Tag. Er sei doch eigentlich Münchner und überhaupt: gar nicht in der Partei, eine interne Intrige.

Allerding hat dieser Klonovsky Nerven wie Drahtseile (und als flotter Radfahrer ebensolche Beinmuskeln), was nicht verwundert bei dem Lebenslauf: geboren vor knapp 60 Jahren im sächsischen Schlema, dem „verstrahltesten Gebiet im Erzgebirge“, weil in den dortigen Wismut-Werken Uran für die Sowjetunion abgebaut wurde.

Sein Vater war dort Hauptbuchhalter und „selbstverständlich“ Parteimitglied, sein Verhältnis zu ihm in der Jugend: „angespannt“.

Mäßiger Schüler, noch mäßigerer Gefolgsmann der Parteilinie, allerdings begeisterter Althumanist, das Abitur erst später nachgeholt, zunächst ab in die Produktion, Maurer, Sportplatzwart, Gabelstapler-Fahrer im Getränkegroßbetrieb, wo der Bölkstoff für eine ganze frustrierte Republik verteilt wurde.

Dort kam es darauf an, anstrengungslos Bruch zu produzieren, der dann von einer Belegschaft aus Schwerstalkoholikern in die jeweils eigene Schlafstatt verschleppt werden konnte, zum Beispiel den Rotwein „Erlauer Stierblut“ oder den Schnaps „Klarer Juwel“, Gebrauchsname: Blauer Würger.

Besonders der Kennruf eines zahnlosen Kollegen blieb hängen: „Dit interesssiert ma nich!“

Später dann Korrektor bei der LDPD-Zeitung „Der Morgen“, unruhige Wendezeit und danach als glänzender Feuilletonist von einem Westdeutschen Medienmogul entdeckt, nach München verpflanzt, wo er von 1992 bis 2016 als Autor und Leiter des Debattenressorts des Focus wirbelte und nebenbei Romane über Puccini und Ramses und Aphorismen schrieb und vor allem sein digitales Tagebuch „acta diurna“ führte.

Irgendwann wurde es ihm eng, seine provokanten „acta diurna“ sowie der Umzug der Gesamtredaktion wurden zum Problem, es zog ihn in die Politik, als Referent zunächst für Frauke Petry, nach einem Zerwürfnis wechselte er als Redenschreiber zu Parteichef Alexander Gauland.

Schon im Sommer 2010 schrieb er die Hoffnung auf eine Bürgerbewegung rechts der CDU nieder, drei Jahre später gründete sich die AfD, in diese „Alternative für Deutschland“ allerdings tritt er nie ein.

Doch seine „acta diurna“, die bei manuscriptum in Buchform unter dem Titel „Reaktionäres vom Tage“ herausgebracht werden, bleiben wie die seinerzeitige „Fackel“ von Karl Kraus das Geschliffenste und Gefährlichste, was der deutsche Journalismus in unregelmäßigen Tagesrhytmen zu bieten hat.

Und nun will er den Sprung in den Bundestag „und dort am Rednerpult die Grünen vor Wut platzen sehen!“

Wir albern ein bisschen herum über Anna-Lena Baerbocks Bildungsabenteuer, aber auch über ernstere Themen wie Borussia Dortmund, unterbrochen von wechselseitigen schmatzenden „dit interessiert ma nich“-Ausrufen, hier auf der Terrasse neben dem wunderbaren Opernplatz, bis ein verschreckter Kellner erscheint, bei dem Klonovsky eine weitere Flasche Spätburgunder aus dem Weingut Bercher aus Burkheim bestellt, er kennt die Winzerbrüder von einer Reportage.

In seinem brechend komischen autobiografischen Roman „Land der Wunder“ rechnet er der DDR besonders übel an, dass sie ihn von diesem und anderen Weinen und vor allem jenem 82er Chateau Margaux, den ihm der Münchner Kopfjäger nach der Wende kredenzt hatte, ferngehalten hatte. „Und das ist nicht wieder gut zu machen“.

Wie passt so einer in den unappetitlichen Pöbelhaufen, als der die AfD nahezu durchgängig beschrieben wird? Tatsächlich wird ja diese einzige Oppositionspartei im Lande überklebt mit Etiketten wie „antisemitisch“ und „rechtsextremistisch“, um sie aus dem demokratischen Spiel zu nehmen.

Gleichzeitig teilen nicht wenige ihre Vorbehalte gegen die grenzenlose Flüchtlingspolitik, gegen die EU-Haftungs- und Schuldenpolitik, vor allem aber eine Klima-Rettungs-Hysterie, die unserem im Weltmaßstab winzigen CO2-Promille-Emissionsland Produktionsbremsen auferlegt, die unsere Wirtschaft erdrosseln könnte, und Verhaltensregeln, die unsere Grundrechte einschränken.

Nicht von ungefähr hat soeben der Weltkonzern Audi, der einst vom Chemnitzer August Horch gegründet und unter der latinisierten Übersetzung (Horch = Audi) geführt wurde, das Ende seiner Produktion von Verbrennungsmotoren verkündet.

Ein Beispiel für diese mediale Paradoxie, nämlich die AfD-Argumente zu bejahen, aber die Partei zu verdammen, die bei Orwell „Doppeldenk“ genannt wird, lieferte jüngst Welt-Chef Ulf Poschhardt in einem erbosten Kommentar über die Äußerung des CDU-Ostbeauftragten mit seiner Wählerbeschimpfung der Ossies.

Er nannte sie „beispiellos“ und entdeckt auf der „Metaebene“ die Drohung der „Konsensbataillone des Zeitgeistes“ an die Adresse der AfD-Wähler, dieselben „als Problemfall zu stigmatisieren“.

Da er diesen Konsensbataillonen allerdings weiterhin angehören möchte, unterschied er in einer grammatisch rätselhaften Brückenkonstruktion die AfD-Wähler vom „anständigen Teil der Zivilgesellschaft“. Und nannte im Folgenden die AfD-Vertreter in Sachsen-Anhalt (wir sind am Tag vor der dortigen Wahl) „unsägliche Rechtspopulisten“.

Um im nächsten Absatz wieder die „kulturkämpferischen Eliten mit ihren Denkregeln“ zu verurteilen.

Wir erleben also das öffentliche Spektakel des „Doppeldenk“, den strukturellen Opportunismus unserer habituell linksdrehenden Medien: die AfD ist zwar unsäglich, aber sie als solche zu bezeichnen ist es ebenfalls.

„Tja“, sagt Klonovsky und nimmt einen Schluck aus seinem Glas, “du kennst doch den Betrieb wie ich, hast du je was anderes erwartet?“ Und pafft ungerührt weiter.

Dann winkt er über meinen Kopf hinweg, seine Frau Elena Gurevich erscheint auf der Terrasse mit Rollkoffer. Elegant mit offenen schwarzen Haaren, weißer Bluse, große Brille, hohen Schuhe natürlich, sie ist Klaviervirtuosin und Diva, geboren in Kaliningrad, die beiden konzertieren gemeinsam in Salons und öffentlich, er liest aus seinem Buch „Lebenswerte“ über gute Weine und Frauen und Renaissance-Kirchen, sie spielt Mozart und Rachmaninoff dazu, ich habe ziemlich begeistert darüber geschrieben…und jetzt scheucht sie ihn vom Tisch, weil er Zigarre pafft!

Und der gefährliche Klonovsky schmollt und schleicht sich ans ferne Ende der Terrasse, und Elena lächelt bezaubernd, nachdem sie die Machtverhältnisse klargestellt hat. Später schiebt er ihr sein Auberginen-Gericht hin, sie hat Appetit, er hat den seinen verloren. Ich denke, neidvoll: kein Wunder, dass er so fantastisch schlank ist.

Kurz darauf lasse ich die beiden alleine, am andern Tag geht es früh raus zur Parteiversammlung. Man hat im Krystallpalast im Vorort Klattenbach einen Saal gefunden, selbst in Chemnitz ist die militante Antifa, die gerne Wirte unter Druck setzt, eine reale Gefahr.

Also raus, die Fahrt an den genormten Wohnblöcken alter Tage vorbei, durch Markendorf, das dem grünen Ökowahn schon sehr nahekommt, denn in diesem Dorf wohnt man übereinander und nicht in schädlichen Einzelhäusern, schließlich das Versammlungslokal mit angegliedertem griechischem Restaurant, was wichtig ist für einen Journalisten, der ständig vom Hunger bedroht wird.

Doch drinnen dann, unter einer Diskokugel und Tischen und Stühlen und einem von Wahlplakaten tatsächlich lächelnden Klonovsky – Entwarnung! Eine wohlbestückte Theke mit belegten Brötchen und Kuchen!

Der Kreisvorsitzende ist ein sportlicher Typ mit Bürstenschnitt, weißes Hemd und Jeans, Inhaber einer Werbeagentur. Sein Stellvertreter ist nicht da, der ist ausgetreten aus der Partei, ich hatte ihn am Tag vorher gesprochen: Für ihn waren zu viele dabei, denen es egal ist, ob der Verfassungsschutz hinter ihnen her ist, er, Inhaber einer Security-Firma, kann sich das nicht leisten, er lebt auch von öffentlichen Aufträgen.

Aber vor seinem Austritt hat er noch Klonovsky vorgeschlagen, ein vernünftiger Typ, sagt er, gemäßigt, die Hardliner haben gegen ihn intrigiert, vordergründig weil er nicht in der Partei ist.

Das Hintergründige sitzt an diesem vormittag links im Saal. Es ist der Kandidat Oehme, Listenplatz Nummer 8, der bei einem Direktwahlsieg Klonovskys befürchten muss, nicht zum Zuge zu kommen. Die Presse macht eine Richtungsentscheidung aus dieser Versammlung.

Gemäßigte gegen Flügel. Oehme (Flügel) hat seine Truppen um sich gesammelt, Klonovsky allerdings auch; den Landtagsabgeordneten und Anwalt Volker Dringenberg, den Schatzmeister, sowie den Freund Matthias Moosdorf, seine Frau und mich.

Allerdings bin ich meistens zum Büffet unterwegs, unter dem strengen Blick Elenas, die mir das Brötchen zur Wiener Wurst untersagt, weil es dick macht, und ich frage die Mitglieder nach ihrer Herkunft.

Die meisten haben früher CDU gewählt, einige waren sogar Mitglied. Sie fühlen sich verschaukelt, sehen kaum noch Unterschiede zur alten Staatspartei, die die in ihren Schlusstagen ebenfalls mit Machtsicherung beschäftigt war und der sogenannten internationalen Volkssolidarität.

Klonovsky gilt ihnen als kultivierter bürgerlicher Kandidat. Er lehnt Fundamentalopposition ab. Er will Koalitionsfähigkeit für die Partei, eine Machtoption.

Allerdings, so heißt es bei einigen: „Er könnte mal lernen, nicht so ernst zu gucken“. Aber die Gesamtlage ist ernst, rufe ich! Baerbock könnte Kanzlerin werden! Und Claudia Roth Bildungsministerin! Und SPD-Kevin-Kühnert, der seine Berufsbildung in einem Call-Center verbracht hat und der von Enteignungen träumt, könnte im Fall einer Koalition die Wirtschaft übernehmen!

Gilt alles nicht, Klonovsky soll lachen!

Nachdem der Antrag zur Neuwahl durchgefallen ist, spricht er selber zu den Massen, also den rund 60 älteren Parteimitgliedern, über die heißen Eisen. „Als Schriftsteller kann ich nicht Mitglied einer Partei sein, egal welcher“. Zumindest hier im Saal erntet er Nicken: Erst kommt der Beruf für einen Mann und Familienvater, dann der Rest.

Unter der Bühne sind die Motive der Plakataktion aufgereiht, “Deutsch statt Gendern“ oder „Grundrechte vor der Regierung schützen!“ oder, in schönster Klarheit: „Unser Land. Unsere Regeln.“

Klonovsky verspricht, er werde vor Ort sein, natürlich, er werde Veranstaltungen mit Meuthen, Curio, General Wondrak durchziehen, werde am Stand sein, seine Kolumne im lokalen Anzeigenblatt fortschreiben.

Abschließend singen alle versöhnt die Nationalhymne und dann lädt uns Klonovskys Freund, der Cello-Virtuose Matthias Moosdorf, der in Zwickau kandidiert, auf seinen Landsitz nach  Collm ein, wo uns seine russische Frau Olga bekocht und die drei Töchter, die 6-jährige Clara und die 3.jährigen Zwillinge Emilia und Anna, alle schön wie raffaelitische Putten, auf das Angenehmste unterhalten.

Währenddessen schwingt sich Klonovsky auf ein Mountainbike und strampelt und quält sich und nimmt die Steigung am Collmer Berg nicht einmal, sondern 10-mal hintereinander, und alles nur, um mich zu demütigen.

Die Kinder planschen im Pool mit aufblasbaren Phantasietieren. Die Stadt Chemnitz, erzähle ich, hat einen Märchenwettbewerb ins Leben gerufen. Emilia würde sich eines mit einem Einhorn wünschen. Ich find das vom weinenden „Nüschel“ prima, es ist in Chemnitz mittlerweile Volksmund.

Also, warum weint der Nüschel? Na, weil auf der anderen Straßenseite ein „Intershop“-Laden aufgemacht hat, und er, der Nüschel, passt mit seinem dicken Kopp nicht da rein. Die Kinder johlen. Allerdings wissen sie nicht, was „Intershop“ bedeutet.

Lange sitzen wir zusammen, Klonovsky pafft, jetzt gemeinsam mit Moosdorf, im Hintergrund klimpert Errol Garner, der Abendwind streicht durch die Linde am See, und keiner von uns hat vor, Bomben zu basteln.

Wir sind einfach nur besorgt, ja verzweifelt mit einer Regierung, die ihr Volk verarmt, ihm die Freiheiten nimmt, absurden Utopien hinterherhechelt und bestückt ist mit Dilettanten. „Fast wie in alten Tagen“, sagt Moosdorf.

Vor allem sind wir unzufrieden mit der Frau, die dieser Regierung vorsteht. Eine Frau, die ihre politische Prägung als Sekretärin für Agitation und Propaganda in der Vorgängerdiktatur erfahren hat, die Wahlen mit „ungünstigen“ Ergebnissen revidieren lässt und für die der antifaschistische Kampf dort beginnt, wo man nicht ihrer Meinung ist.

Sie hinterlässt ein zerstrittenes Land, in dem zwei Drittel der Bürger Angst haben, ihre Meinung zu sagen, Menschen, die mittlerweile wie in Orwells 1984-Dystopie „Doppeldenk“ und „Neusprech“ beherrschen müssen, um nicht zu riskieren, von regierungstreuen „Konsensbataillonen“ „stigmatisiert“ zu werden.

Dieser links-grüne McCarthyismus rast. Mittlerweile rufen Beamte selbst für einen Publikumsliebling wie Jan-Josef Liefers, der sich eine dissidente Meinung erlaubte, nach einem Berufsverbot; gegen den action-Helden Til Schweiger läuft ein shitstorm, weil er seinerseits den Regierungskritiker Boris Reitschuster einen „Helden“ nannte.

Von der Kanzlerin gibt es kein mäßigendes Wort zu solchen Hexenjagden auf Dissidenten, im Gegenteil.

Vielleicht war es ja in all den Jahren eben diese selbstherrlich und ungerührt am Parlament vorbeiregierende Kanzlerin, – tatsächlich eine Frau aus dem Osten – die einfach noch nicht in der Demokratie angekommen ist.

 



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