Dass Du, liebe Vera Lengsfeld, die Feier zu deinem 70.Geburtstag auf den Geburtstag unseres Goethe gelegt hast, kann ich nur als Zeichen unserer starken Verbundenheit sehen, denn wie du sicher noch in Erinnerung hast, bin ich als Schatzmeister der DKP, der Deutschen Klassiker Partei, mit dem Geheimrat im Wahlkampf gewesen und es wird Zeit, mit ihm, dem „Ausnahmedeutschen“ (Nietzsche) wieder loszuziehen, denn wir brauchen seinen Menschenverstand, sein Augenmaß, seinen Wirklichkeitssinn.

Liebe Vera, vielleicht erinnerst du dich an unser schicksalhaftes erstes Zusammentreffen, damals 2012, als wir uns auf einem Podium in der Harvard-Universität begegneten. Damals hatte diese Elite-Anstalt sich noch nicht kompromittiert durch die Ehrendoktor-Würde, die sie sieben Jahre später an die deutsche Karrierepolitikerin Angela Merkel verleihen würde, sondern sie  stand – damals –  im Dienst der Wahrheit: Die Uni richtete ein Symposium zur Deutschen Wiedervereinigung aus, wir waren als Speaker eingeladen, Du warst noch in der CDU und ich noch beim Spiegel – und wir waren beide noch nicht als „neurechts“ etikettiert, sondern schlicht konservativ und gründlich immunisiert gegen linke Paradiesvorstellungen, die, wie wir beide wissen, meistens die Grundrisse von Gefangenen-Lagern aufweisen.

Anders ausgedrückt: Politik und Medien waren bei uns noch nicht auf ihrem stolzen deutschen Sonderweg zur Rettung der Welt links an uns vorbeigeprescht in die rosaroten Wolkenfelder, – bis dahin hatten wir Deutschen -wie immer beispielgebend für die Welt-lediglich unsere Rentner mit der Belastung beauftragt, die Rentner Griechenlands retten.

Aber dass sich dort in Harvard unsere biografischen Flugbahnen kreuzen würden, liebe Vera, war historisch einfach unausweichlich.

Da war Ich, Kind eines CDU-Bürgermeisters, katholisch, mit äußerst bekifften hippiemaoistischen Einsprengseln, Sitzenbleiber, und Du, hochintelligentes Kind eines Stasi-Majors und einer Lehrerin – aber wir waren beide mit einer Aufsässigkeit gesegnet, die uns völlig unbrauchbar gemacht hatte für jede Art von Systemtreue.

Ach ja, Du hattest in den 70er Jahren einen Journalisten geheiratet, nicht mich, sondern einen anderen total unwürdigen Kollegen, und zwar nur deshalb, so bilde ich mir ein, weil ich nicht zur Verfügung stand, denn ich saß in Indien wegen Haschischschmuggels im Knast und war insofern aus dem Verkehr gezogen.

Du hast dann noch mal geheiratet und die Sache nicht besser gemacht – diesmal einen Lyriker, der dich für die Stasi ausspioniert und verraten hat.

Ich habe übrigens auch Gedichte geschrieben, das nur nebenbei, aber das konntest du nicht wissen, insofern ist dir auch diese Prüfung erspart geblieben.

Die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hast du mit echter und riskanter Oppositionsarbeit zugebracht, da war der Friedenskreis in Pankow, die Umweltbibliothek, deine Verhaftung und Ausschaffung nach Cambridge, von wo Du am 9. November 1989 zurückkehrtest, tatsächlich, du hattest die Mauer zum Einsturz gebracht und mir ermöglicht, meine Zelte im Palast-Hotel an der Karl-Liebknecht-Allee aufzuschlagen.

Während ich dort also in einem Runden Bett campierte und über den Offenbarungseid des Sozialismus schrieb, hast du gegenüber im Roten Rathaus an einem runden Tisch ein paar der schlimmsten roten Systemsauereien aufzuklären versucht.

Da du unbedingt Politik machen wolltest, zunächst fürs Bündnis 90/Die Grünen, ich dagegen endlich eine Familie gründen wollte, heiratete ich ein anderes Mädchen aus Ostberlin und zog mit ihr nach New York und überließ es dir, das neuen Deutschland aufzubauen.

Du hast es gar nicht schlecht gemacht. In der Volkskammer zunächst, dann im Bundestag, ab 2005 für die CDU, während ich 2005 aus dem Ausland zurückkehrte und das Kulturressort des Spiegel übernahm, um dort den bürgerlichen Bildungskanon gegen die Abrissarbeiten der linken Analphabeten zu verteidigen, innerhalb und außerhalb meines Ressorts.

 

Wir beide wurden übrigens für unsere Leistungen ausgezeichnet.

Dir wurde 1990 der Aachener Friedenspreis verliehen, ich dagegen erhielt schon 1969 den Jugend-Pokal der Sillenbucher Tischtennismeisterschaften.

 

Später kam bei dir noch das große Bundesverdienstkreuz am Bande dazu.

 

Ich hätte dir schon damals gerne beigestanden beim Aufbau unseres neuen Deutschlands, aber ich konnte nicht, denn ich hatte alle Hände voll zu tun mit meiner eigenen Frau, ebenfalls aus dem Osten und total schwer erziehbar, ja regelrecht widerborstig, wobei ich bei dieser Gelegenheit Erich Fromm zitieren muss, der meinte, es ist der Ungehorsam, der uns zu mündigen Menschen macht…er hat das geschrieben, ohne meine Rolle als Ehemann jetzt direkt mit der der SED zu vergleichen.

Dir hat dieser Ungehorsam eine ganz besondere Beachtung, um nicht zu sagen „Beobachtung“ verschafft – insgesamt 49 Stasimitarbeiter waren damit beschäftigt, deine Umtriebe im Friedenskreis und gegen die Stationierung der SS 20 Raketen und später in der Umweltbibliothek und der Kirche von unten zu protokollieren.

Dazu kam noch der eigene Ehemann als Aufklärer, offenbar wollte man mit dir kein Risiko eingehen.

Und die schöne Pointe ist: Du hast gewonnen. Übrigens auch auf dieser Weise: Du hast deinem Mann seine Schwäche verziehen.

Und hast ihm vergeben, wie wir in jedem „Vater Unser“ beten: „vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“ Er wiederum hat offenbar tatsächlich bereut, was mein katholisches Herz anspricht – wir Menschen sind aus krummem Holz.

Aber zurück zu unserem Auftritt in Harvard.

Natürlich kannte ich dich, als Fall. Als jene Frau, die jahrelang von ihrem Mann für die Stasi ausspioniert worden war, ziemlich gruselig, ich weiß nicht, was genau ich erwartet hatte, aber es ging in die Richtung: gebrochene Frau, schicksalsschwer, Leidensmine. Getroffen habe ich zu meiner Überraschung eine unfassbar lebendige lustige Frau, die geradezu mädchenhaft begeisterungsfähig war und zwar für dieses eine Thema ganz besonders: für die Freiheit.

Für die innere Unabhängigkeit. Für die Freiheit von Denkvorgaben, von Bevormundung, von Zensur, von Eintrübungen der Wahrheit, Freiheit zur politischen Teilhabe, für eben genau das, für das du in der Diktatur schikaniert wurde. Du warst in all deiner Mädchenhaftigkeit Anarchistin, von überwältigender Unbekümmertheit.

Ich war erstaunt, wie prachtvoll du dich in die Debatte geworfen und das akademische Publikum im Sturm erobert und mir die Show gestohlen hattest, das sowieso. Was an der biografisch beglaubigten Wucht deiner Argumente lag, sowie an deiner unglaublichen Authenzität und Offenheit allen Gesprächspartnern gegenüber. Und an deiner Lachbereitschaft, deinem Humor.

Den hattest du bereits als CDU-Kandidatin 2009 unter Beweis gestellt, als du dein Décolleté im Wahlkampf mit dem der Bundeskanzlerin in die erste Reihe geschoben hast, mit dem ironischen Zusatz „Wir haben mehr zu bieten.“

Parteimitglieder beschwerten sich anonym über dieses „Schlampenplakat“, allerdings hinter sehr vorgehaltener Hand, denn der Vorwurf hätte natürlich auch der Kanzlerin der Herzen gelten können. Und vor dem Hintergrund deiner ostdeutsch-dialektischen Verwurzelung hätte man hier durchaus von Brechtscher List sprechen können, von camouflierter Herrschafts-Kritik.

 

Ach ja, es wird viel geflüstert in der Politik und manchmal hat das Geflüster Konsequenzen:  im alten System war dein Parteiausschluss 1983 eine logische Folge, und im neuen System, das sich überraschender Weise unter einer ähnlichen Einheitssucht zu gruppieren begann –  mit Parteien, die sich nicht mehr voneinander unterscheiden wollten, mit Zeitungen, die ebensowenig Lust dazu hatten –  hattest Du dich bereits 2012 auch in der CDU schon in der Nähe des Notausgangs positioniert, in einer mit „Bürgerkonvent“ benannten Gruppierung, die sich für den Abbau von staatlichen Subventionen stark machte und gegen alle Fraternisierungen der Konservativen mit linksliberalen Schwärmern und SED-Nostalgikern. Kurz drauf betrat mit der AfD tatsächlich eine Alternative die politische Bühne in Deutschland und Du warst erneut Gegenstand von Beobachtungen, diesmal durch die politischen Hilfssheriffs in den Medien, und du wurdest von meinen einstigen Kollegen in großem Eifer als rechtsverdächtig beschmiert.

Übrigens Schicksalsjahre auch für mich – ich hatte mich damals, von Harvard aus, auf eine meiner letzten großen Reportage-Reisen für den Spiegel aufgemacht, auf den Spuren Mark Twains, der oft aus dem nahen Hartford herüberwanderte. (https://www.spiegel.de/video/matthias-matussek-auf-den-spuren-von-mark-twain-video-1223301.html)

Auch ich galt beim Spiegel im Grunde als nicht mehr vorzeigbar, ich sammelte Abmahnungen, und man wäre mich gerne früher losgeworden, wenn nicht meine Titelgeschichten stets die ängstlich betrachtete Millionen-Auflagen-Marke ganz erfreulich überschritten hätten. (Im gleichen Jahr war meine Hesse-Titelgeschichte die erfolgreichste des Jahres – in der Woche des Erscheinens wurde ich in die Chefredaktion gerufen, um mir die zweite Abmahnung abzuholen):-)

Aprospos dein Parteiausschluss: Der bedeutet eine weitere Parallele zwischen uns: ich wurde allerdings schon 1971 aus der marxistisch-leninistischen Schülergemeinschaft wegen kleinbürgerlicher und trotzkistischer Verirrungen ausgeschlossen, ich hatte Wilhelm Reichs Orgasmus-Theorie diskutieren wollen, einer der Chefs dieser Truppe, des Kommunistischen Arbeiterbundes ML, war Winfried Kretschmann, heute grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs.

Du siehst, ich habe dir nachgeeifert, bevor ich dich überhaupt kannte, aber das Personal, die Phänotypen, mit denen wir ins Gehege gerieten, ähnelten sich.

Übrigens auch den Zungenschlag kenne ich, diesen ihren Eppendorfer Allerwertesten zusammenkneifenden linksliberalen Spießersound der Zeit mit ihrem missbilligenden „ts ts“– bei dir wurde er erstmals sichtbar in einem Porträt genannten Schmierenstück von 2009 unter der Überschrift „Eine Frau, die gerne aneckt“, mit der Unterzeile: „Wo sie ist, gibt es Probleme, denn sie macht, was sie will. In der DDR wurde Vera Lengsfeld so zum Star, nach der Wende zur Nervensäge“.

Wir halten fest: Du bist berühmt, weil du machst, was du willst. In der Diktatur, so sehen wir das hier über unserm Cafe Latte, war das nicht etwa mutig, sondern eher ganz schön raffiniert, um berühmt zu werden. Hier aber, im grenzenlos freien Westen, gehst du uns auf den Keks, und wir werden dir schon zeigen, wo es lang geht! Du wirst uns kleine Probleme mehr machen.

 

Mittlerweile hast du dich als Publizistin etabliert, ohne das politische Engagement aufzugeben – sie sind bei dir ein uns das gleiche. Für mich – und nicht nur für mich – bist du der Urmeter demokratischer Unerschrockenheit, der Massstab. Verhaltenspsychologen würden dich als innengelenkten Menschen bezeichnen, einen, der unbeirrt durch äußerlichen Zuspruch oder Belehrungen oder Diffamierungen einem inneren Kompass folgt.

Mit deinem Blog Vera Lengsfeld spannst du ein großes Netz aus politischen und kulturellen Verknüpfungen, dabei stoße ich jüngst auf die Empfehlung zu einem chinesischen Film über die Terrorzeit unter Mao genauso wie auf den Verriss der Netflix-Produktion „Gray Man“ mit Ryan Gosling, die ich weniger unterirdisch fand als du, aber das hält unsere jahrelange Freundschaft aus, zumal wir in unserer Grundhaltung übereinstimmen: Unserem Ungehorsam.

Herzlichen Glückwunsch zum deinem 70.Geburtstag, der mich demnächst ebenfalls ereilt! Wir lachen ihn einfach vorbei…

Zu deiner Feier übrigens erlaube ich mir, meinen Freund, den Geheimrat Goethe, mitzubringen, der seinen Götz von Berlichingen sagen lässt:  “So gewiß ist der allein glücklich und groß, der weder zu herrschen noch zu gehorchen braucht, um etwas zu sein!”

Mit anderen Worten: Aufrecht gehen, und das machst Du uns vor!

Übrigens, dass jetzt an bayrischen Schulen Goethes Faust aus dem Curriculum genommen wurde, erfuhr ich durch dich. Tatsächlich, sie haben den Faust, den Sucher und Grübler, den Dränger und rücksichtslosen Eroberer, der eine Art Wasserzeichen der deutschen Seele ist, und als solches im Weltkulturkanon verankert, sie haben ihn aus dem Lehrplan genommen und mit Lessings gutgemeintem und ledernem Märchen „Nathan der Weise“ ausgetauscht. Für Lessings Multikulti-Beitrag – Christentum, Judentum, Islam sollen sich bitte schön versöhnt in die Arme fallen – spricht, dass er in den woke-ideologischen Aufbruch fällt.

Für den Faust wiederum der Schlüsselsatz aus seinem zweiten großen Monolog, nachts, im Studierzimmer, dramatisch, denn er bereitet seinen Selbstmord vor: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen…“

Alles andere, dass nicht erworben und nicht genützt wird, ist nur Last.

Unsere Kinder und Enkel könnten von ihm lernen, dass sie sich nicht auf die Straßen kleben müssen, um den sofortigen Weltuntergang zu verhindern, ja, dass es womöglich nützlicher wäre, den Hosenboden hinter der Lektüre des „Faust“ fest zu kleben, der so viele Antworten auf die Rätsel unseres Lebens enthält – fast so viele, wie die Fragen, die er stellt. Den „Faust“ aus unseren Lehrplänen zu streichen, ist nichts anderes als ein weiterer Vergessens-Anschlag unserer Gegenwart auf eine Wurzel unserer Nation, die sich, wie bekannt sein dürfte, erst durch die Gedichte und die Lieder und die Sprache hergestellt hat, bevor sie sich auch politisch und staatlich etablieren konnte.

Um es in Abwandlung von Pep Gardiola zu sagen, als es um die Verpflichtung von Thiago bei Bayern München ging: „Faust oder gar nichts“.

Ich auf jeden Fall freue mich auf unser Wiedersehen – Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Geheimrat Lengsfeld!

 

 

 

 

 

 



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