Der Staat verbietet Karfreitag das Tanzen. Viele tanzen trotzdem – aus Prinzip. Das ist bedenklich. Denn eine Gesellschaft, die Trauer nicht erträgt und Religion nicht ernst nehmen kann, ist krank.

Nun werden wir sie wieder erleben, die mutigen, aufmüpfigen, mitteljungen Tänzer, die am Karfreitag an irgendwelchen Berliner oder Frankfurter Straßenecken abzappeln und an diesem “Tag der Stille” demonstrativ die Sau rauslassen. Sie nennen es tanzen.

Was zunächst auffällt: Sie können gar nicht tanzen.

Meistens ist es eine Art Gefuchtel zu Lärm mit verzerrten Gesichtern. Was daran liegt, dass sie nicht tanzen wollen, sondern demonstrieren. Ihr Tanz ist kein Ausdruck von Freude und Lebenslust. Sie tanzen aus Prinzip. Um gegen dasTanzverbot zu protestieren. Und meistens sprechen sie schwäbisch. Oder sie berlinern und tragen schwarze Halstücher, was genauso grausam ist.

Eine Gesellschaft, die Trauer nicht erträgt

Sie tanzen gegen den Staat, der für den Karfreitag und ein paar andere weitere kollektive religiöse Trauertage (Volkstrauertag, Totensonntag) Tanzverbote ausgesprochen hat. Den lassen sie sich nicht bieten, diesen Eingriff in die Privatsphäre, den die jungen Liberalen (jawoll, die Sache hat politisches Profilierungspotenzial) so formulieren: “Die individuellen Glaubensansichten Einzelner führen hier dazu, dass Andersdenkende in ihrer persönlichen, wirtschaftlichen, individuellen und kollektiven Freiheit eingeschränkt werden.”

Nun, was die “individuellen Glaubensansichten Einzelner” angeht: So ganz individuell sind sie nicht, immerhin bekennen sich zwei Drittel unserer Gesellschaft als kirchensteuerzahlende Christen, die am Karfreitag den Tod unseres Herrn am Kreuze betrauern.

Dem jungen Liberalen dagegen, der diesen Pressetext formuliert hat und sich durch das Tanzverbot nicht nur in seiner persönlichen, sondern auch individuellen Freiheit eingeschränkt fühlt, möchte ich nicht im Dunkeln begegnen.

Wer so was schreibt, verkennt die Realität in monströsem Ausmaß und tanzt schlecht.

Nun ist eine Gesellschaft, die Trauer nicht erträgt, sei es die individuelle oder die kollektive, im Kern krank. Ebenso eine Gesellschaft, die ihre religiösen Grundierungen nicht mehr ernst nehmen kann.

Doch die jungen Liberalen sind ja nicht die einzigen glühenden Verfechter der Karfreitagstanzerei. Die bayerischen Jungsozialisten wehren sich dagegen, dass “der Staat im Namen einer Religionsgemeinschaft allen Menschen aufzwingt, wie sie sich an einem bestimmten Tag zu verhalten haben”. Man muss sich das, in einem christlichen Land, auf der Zunge zergehen lassen: “Im Namen einerReligionsgemeinschaft”.

Die Islamverbände lachen sich schief

Die Piraten, also diese bärtigen Nerds und Flanellhemdenträger, die man mit allem, nur nicht mit körperlicher Bewegung, Tanzen gar, in Beziehung bringt, zogen bis vor das Bundesverfassungsgericht, um sich das Tanzen am Karfreitag zu erstreiten. Doch auch die Bundesrichter wollten sich den Anblick tanzender Piraten nicht antun und wiesen die Klage ab.

Interessant ist jedoch, wie sehr unser religiöses Selbstverständnis als Christen in einer “säkularen und religiös vielfältigen Gesellschaft” (Jusos) zur Debatte steht. Unsere Islamverbände lachen sich schief. Und die Muslime weltweit verstehen nur Bahnhof.

Früher hatten sie es doch noch mit wehrhaften Christen zu tun, die das Kreuzzeichen machen, nun stoßen sie in unserer trägen Spätgesellschaft in Watte. Pardon: in Zuckerwatte.

In eine ignorante, seelisch erloschene Gleichgültigkeit, die im Ernst keinen Respekt verdient.

Wir erinnern uns nicht mehr an unsere Leitkultur

Christlich ist unsere Herkunft, unsere Tradition, christlich ist unser Menschenbild (“Die Würde des Menschen ist unantastbar”), christlich ist unsere Bildung, christlich ist unsere gesamte Anthropologie inklusive der gleichen Rechte für Frauen, die erkämpft wurde, christlich auch die Aufklärung seit Thomas von Aquin, christlich die Überzeugung, dass Männer, die sich küssen, nicht an Kränen aufgehängt werden und Frauen, die sich in einen anderen Mann vergucken, nicht gesteinigt werden sollten – aber wir erinnern uns nicht mehr.

Wir erinnern uns nicht mehr an unsere Leitkultur – es gibt so viele andere. Zum Beispiel die tolle Türkei “mit all dem Görek und Sonne, Mond und Sterne” und der Sirtaki-tanzenden Claudia Roth.

Unsere Kulturvergessenheit hat jüngst das Bundesverfassungsgericht auf beängstigende Weise bestätigt, mit der Aufhebung des Kopftuchverbots, mit der Begründung, dass christliche Werte und Traditionen nicht gegenüber anderen Religionen bevorzugt werden dürften.

Aha?

Und wieso nicht?

Bekennt sich nicht jedes Land zu den ihm eigenen Werten und Traditionen?

Sind wir bereits derart vertrottelt und verblödet, dass uns alles egal ist? Was ist so schlecht an christlichen Werten, was so unangenehm an den Zehn Geboten, dass man sie neben Islam und Scharia allenfalls zur Wahl stellen möchte?

Insofern ist auch das Tanzverbot am Karfreitag inkonsequent und wird sicher mit der nächsten Generation an Bundesrichtern kassiert. Danach: kultur- und glaubenslose Ödnis.

Zuvor aber hätte ich den Vorschlag, dass all unsere tanzwütigen Rebellen ihre Shaker- und Mover-Partys bitte vorerst während des Ramadan in Dschidda und Riad ausrichten.

Erschienen am 03.04.15 www.welt.de