Die jüngste Ausgabe der JF berichtet von einer Kampagne gegen Wilhelm von Boddien, den Schloss-Erbauer. Geführt wird er vom woken Vorstand des Humboldt-Forums, das seine Existenz dem gescholtenen von Boddien verdankt. Ein Berliner Spukstück. Hier eine Erinnerungan die Anfänge der Schloss-Rekonstruktion 1998, die ein Sieg über den minimalistischen Tugendterror der zeitgenössischen Architektur und ihrer Proselyten in den Feuilletons bedeutete:

Das Schloß steht in einem gläsernen Schneewittchen-Sarg im Staatsratsgebäude, völlig unbemerkt im ersten Stock. Das Herz des alten Berlin ist ein buntes Märchenmodell, das man schütteln möchte, um es von weißen Flocken umstöbern zu lassen. Und träumen.

Im Moment interessiert sich keiner dafür, denn unten wird die neue Hauptstadt präsentiert. Unten, im Parterre, steht der Regierende Bürgermeister Berlins vor einem riesigen Reliefbrett mit all den weißen Würfeln, mit denen die Architektenstars die Hauptstadt derzeit ins neue Jahrtausend klotzen.

Ein irgendwie unfrohes Gemenge hier unten. Man klopft sich auf die Schultern und tritt sich vors Schienbein, beides gleichzeitig, denn eine Rechnung hat hier jeder offen. Im Grunde läßt sich jeder Berliner Festakt übersetzen mit: Zack, siehste, selber Idiot.

Die Journalisten beißen in Brötchen, und der Regierende verbeißt sich in die Journalisten, die sich dafür wieder in ihren Kolumnen rächen werden, und durch die Tür fällt der Blick auf eine riesige Parkplatz-Ödnis, eine gähnende, brutale Asphalt-Leere im Herzen der Stadt. Ob die seltsame Gereiztheit damit zu tun hat? Jeder Ort hat seine eigene Seelentemperatur.

Merkwürdig, daß keiner hier unten aufs Schloß zu sprechen kommt. Daß keiner das fehlende Gravitationszentrum der Stadt jenseits der Tür beklagt, keiner an dem Mangel würgt, den die gähnende Brache verkörpert, ein Aufmarschgebiet, das nur für Kolonnen schreiender Menschenmassen taugt und den totalitären Terror des Gewöhnlichen.

Unter den Gästen ist nur einer, der vibriert. Der ungeduldig von einem Bein aufs andere tritt. Und als der Spuk sich endlich auflöst, schießt er auf den Regierenden zu: Kaufmann Wilhelm von Boddien. Er zuppelt, lächelt, strahlt, schwatzt und komplimentiert den Regierenden mit sich fort, wie ein Drücker mit einem garantiert unseriösen Angebot.

Die beiden eilen die Treppe hinauf durchs leere Foyer und stehen schließlich vor dem Modell. Diepgen büroblaß und verschlossen, Boddien urlaubsbraun und plappernd. »Schauen Sie mal hier«, und »so sah es mal aus«, und »von hier aus kriegen Sie die Schneise am besten mit«. Und dann knien die beiden vor der Ostecke des Modells, zwei Männer, die Eisenbahn spielen, und sie schauen ehrfürchtig den Boulevard »Unter den Linden« hinab, an der Schloßfassade vorbei und am Zeughaus bis hin zum Brandenburger Tor.

Diepgen erhebt sich. Ob er nicht auch für den schnellen Wiederaufbau ist? Diepgen schaut zu Boddien, der nickt, sonst ist keiner in Sichtweite, dann murmelt Diepgen: »Ist doch klar, daß wir das alle wollen.« Diepgen weiß: Wer zu laut fürs Schloß ist, gilt erstens als Banause, zweitens als rechtsnational und drittens als größenwahnsinnig. Man wird auf stillem Wege dahin kommen. Durch die Hintertür. Doch klappt das, mit einem Symbol wie dem Schloß?

Das Stadtschloß. Ein Denkmal, das sich durchaus mit den ersten Europas messen kann, ein Monument der Baukunst, »immer wichtiger, je weniger die Zeit im Stande sein wird, sich auf so große und vollkommene Werke einzulassen«. Das sagte einer, der den prosaischen Berliner Brummschädel kannte. Einer, der ein künftiges Zeitalter der Gartenzwerge und Fußgängerzonen zumindest geahnt haben muß. Seine Zauberformel gegen die Verrohung: das Schloß.

Er muß auch den Streit über knappe Etats geahnt haben und die demokratische Vorliebe für Mehrzweckhallen. »Selbst in den ungünstigsten Zeiten«, wußte er, seien die aufs Schloß »zu verwendenden Mittel nie als eine Verschwendung anzusehen«, denn sein immaterieller Nutzen sei »zu allgemein und zu groß«.

Gerade in ungünstigen Zeiten! Baumeister Karl Friedrich Schinkel wußte 1817 mehr über Anmut und Würde, Proportion und Pracht, mehr über die Bedeutung von Symbolen als die meisten nach ihm – er wußte, wie nötig die tägliche Provokation durch Schönheit ist. Es war genau diese Provokation, die das Schicksal des Schlosses besiegelte. Die Hohenzollernresidenz, die die barocken und klassizistischen Architekturen am Lindenboulevard krönte, die über Jahrhunderte gewachsen und von Genies wie Andreas Schlüter und Schinkel ausgestaltet worden war, die Besatzungen, Regime und Kriege überdauert hatte, wurde auf Ulbrichts Geheiß am 6. September 1950 gesprengt.

Es war eine kulturelle Geiselerschießung. Vorgeblich im Kampf gegen den Klassenfeind, vorgeblich ein Racheakt am Feudalismus – in Wahrheit aber einer an einer architektonischen Kraft, die wie ein stummer Vorwurf das nachwachsende Gekröse überdauert hätte.

Die zynische Rechnung der Sprengmeister schien aufzugehen. An eine Rekonstruktion des Juwels wagte sich keiner, weder während der Restaurationsphase der Honecker-Zeit noch in der historischen Hochstimmung nach dem Mauerfall.

Als die Vereinigungseuphorie in die Ernüchterungen der Auf- und Gegenrechnungen mündete, war es ausgerechnet dieser merkantile Erbsenzähler, dieser Hamburger Händler Wilhelm von Boddien, der Schinkels Vision aufnahm – in einer träumerischen, naiven Korrespondenz über Generationen hinweg.

Wilhelm von Boddien, Vater von fünf Kindern, Hobbyhistoriker, Preußenfan. Ein Essay Joachim Fests hatte ihn für die Idee begeistert, das Schloß neu zu errichten. Er bot sich einer Gruppe von Gleichgesinnten an: als Motor, als Klinkenputzer, als PR-Mann. Das Schloß muß her, ganz einfach, weil es dahin gehört, ans Kopfende des Boulevards »Unter den Linden«.

Ulbricht sollte nicht das letzte Wort haben, nicht gegen Schinkel. Doch Boddien lernte schnell, daß sein Traum als politischer und ästhetischer Skandal gehandelt wurde – hier, im Herzen Berlins, wurde die festbetonierte Macht des Faktischen plötzlich zum politischen Reinheitsgebot.

Da Boddien allerdings nicht nur Träumer, sondern ergebnisorientierter Unternehmer ist, gab er nicht auf. Er wußte, wie er für seine Idee zu werben hatte. Er argumentierte visuell. Er baute die Schloßfassade 1993 teilweise als Kulisse auf. Er setzte sich nicht in Gremien, sondern appellierte ans Herz. Er spannte Plastikplanen, die von der französischen Künstlerin Catherine Feff bemalt worden waren, neben die Spiegelfront des Palasts der Republik, der nun ausgerechnet die Schönheit der liquidierten Vorgängerin reflektierend zu verdoppeln hatte.

Und siehe, sie war bei weitem die Schönere im Land – eine märchenhafte Pointe.

Der Palast der Republik war 1973 als Grabstein auf Teile der alten Schloßfundamente gelegt worden und soll, bei erträglichen Tortenpreisen, einige ausgelassene FDJ-Feten erlebt haben – eine SED-Honoratioren-Baracke mit verstellbaren Wänden und uniformen Volkskammer-Abstimmungen, ein grausamer Witz selbst für viele DDR-Bürger, besonders die aus der Provinz.

Doch bis zu Boddiens listiger Eulenspiegelei galt er, erstaunlicherweise, als unantastbar. Eine große Koalition aus SED-Nostalgikern, Dogmatikern kunstfeindlicher »Ehrlichkeit« und SPD-Sympathisanten erklärte das rostbraune Kleinbürger-Kacka zum großen Geschäft, und wahrscheinlich wäre es dem in architek- tonischen Nachkriegshäßlichkeiten verrohten und abgestumpften Berliner nie aufgefallen, daß da was anders sein könnte, hätte es nicht diesen sonderbaren Wilhelm von Boddien gegeben.

Sein Fetzen Tuch war wie eine Luftspiegelung, die jedem Spaziergänger am Lustgarten eine merkwürdige Sehnsucht ins Herz senkte: Aha, so also könnte es aussehen. Schön.

Trotz aller Baukran-Symphonien am Potsdamer Platz, aller modernistischen Fassadenzaubereien in der Friedrichstraße, aller Grundriß-Rekonstruktionen am Pariser Platz – das neue Berlin zeigt Muskeln und Tempo und läßt merkwürdig kalt. Sicher, Schultes’ Kanzleramt stört nicht, Rossis bunte Parade ist lustig und Nouvels Glasschürze vor dem Kaufhaus Lafayette elegant – ins Herz senken sich diese Architekturen nicht.

Der Wiederaufbau des Schlosses hingegen, so kalkulierte Boddien, als er predigend durch die Talkshows des Landes marschierte, könnte jene kollektive Begeisterung herstellen, die in der Neuerfindung Berlins bis dato ausblieb. Ein Auftrumpfen in Schönheit, ein bürgerstolzes Bekenntnis zur feudalen Stadtgeschichte.

Dabei geht es im wesentlichen nur um die Fassade. Selbst von Boddien ist nicht so vermessen, daß er glaubte, die innere Vielfalt der Formen und Figuren wiederaufleben lassen zu können. Kapelle oder königliches Konzertzimmer, Pfeilersaal oder Bildergalerie – für immer dahin.

Im Inneren sollen, mit Hotelbetrieb und Ballsälen, Bibliothek, Konferenz- und Theaterhallen vielfach bespielbare Räume entstehen. Doch es ist die Schloßfassade, die das alles zusammenhält.

Boddien geht es ums sichtbar Äußere, um die urbane Theatralik: Die Kuppel, ganz sicher. Die Barockfassaden mit allen Portalen und der Schlüterhof – all das soll mitsamt plastischem Schmuck archäologisch exakt in ursprünglicher Materialbearbeitung rekonstruiert werden.

Boddiens Optimismus wird von Architekturhistorikern wie dem Schlüter-Fachmann Professor Goerd Peschken geteilt. Aufwendigen figuralen Schmuck gab es nur auf der Lustgarten-Seite, der Rest war weitgehend Architektur. Daß deren Kapitelle und Gesimse neu erarbeitet werden können, demonstrierte Boddien bereits auf seiner Schloßausstellung von 1993 – dort wurde, vor Publikum, ein Kapitell angefertigt.

Der figurale Schmuck ist weitgehend erhalten. So die Genien »Herbst« und »Winter« von Balthasar Permoser, die das ins Staatsratsgebäude eingefügte Portal IV des Schlosses flankieren. Doch auch von den Figuren »Frühling« und »Sommer«, die das weggesprengte Portal V schmückten, sind zumindest die Köpfe geborgen worden – Boddien fand sie, einem Tip nachgehend, bei Ahrensfelde auf freiem Platz. Sie lagern derzeit im Depot der Kulturverwaltung.

Von den Adlern, die sich rechts und links vom Hauptgesims in die Lüfte erhoben, ist einer gerettet worden – keine sehr komplizierten Plastiken, die sich leicht reproduzieren lassen.

Auch der Schlüterhof kann in alter Pracht rekonstruiert werden – seine Figuren aus der antiken Mythologie sind sämtlich im Depot des Bode-Museums gelagert.

Die verbleibenden Lücken ließen sich mit Hilfe historischer Fotos und Pläne schließen. Ein Kraftakt, aber ein machbarer – hat man nicht auch die Götter und Musen des Belvedere in Potsdam nach Fotos neu erarbeitet und das Figuren-Programm des Zeughauses?

Handwerke und Kunsttechniken würden wiederbelebt werden. Werkstätten würden direkt am Bau entstehen, in denen arbeitend gelernt würde. Berliner und Gäste könnten, nach dem Dresdner Vorbild, Steine und Fassadenteile kaufen in einer Art demokratischem Sponsoring, das jeden einzelnen direkt in den Wiederaufbau einbezöge. Kosten für die Fassadenrekonstruktion, die Boddiens Schloßgesellschaft so finanzieren will: 110 Millionen Mark.

Ein sehr langwieriges, fast utopisches Projekt, das eine ungewöhnliche Energieleistung voraussetzt. Aber hat nicht der komplette Neubau des Warschauer Schlosses diese Energien freigesetzt, als Sache der nationalen Würde und gemeinsamen Anstrengung? Man stelle sich diesen deutsch-deutschen Vereinigungsschub vor: die gemeinsame Anstrengung zur Wiederherstellung eines Schmuckstücks, die sinnliche Repräsentation gemeinsamer Vergangenheit.

Das Schloß aufzubauen wäre darüber hinaus eine schöne antimoderne Paradoxie. Eine untergegangene Fürstenresidenz könnte wiederkehren als Entwurf kollektiver Erinnerung. Bisher war es umgekehrt: Da ersonnen sich Architektenfürsten in genialem Terror jene Silos, die das Volk abzuwohnen und auszubaden hatte. Nun könnte sich das Volk als Gesamt-Architekt den Palast zurückerträumen.

Doch der Einspruch der Nein-Sager ist mächtig: Ein Wiederaufbau des Schlosses, so heißt es in den Feuilletons, würde auf verlogene Weise die deutsche Wunde schließen. Das dürfe nicht sein. Berlin müsse »Trauerarbeit« leisten, müsse »Eilande des Eingedenkens« schaffen – als könne sich deutsche Schuld im Starren auf ästhetische Monstrositäten abtragen lassen, als könne der Holocaust architektonisch abgebüßt werden, als sei ein Parkplatz der Asphalt gewordene Ablaßzettel.

Raus aus dem deutschen Schuldsumpf in die flotte, autogerechte Moderne – so waren nach dem Krieg die deutschen Innenstädte kaputtsaniert worden. Unter anderem auf der Liste abgehakter Kulturgüter: Teile des Frankfurter Römerbergs, das Stuttgarter Neue Schloß, der Knobelsdorff-Flügel in Charlottenburg. Doch in diesen Fällen schaffte man es nicht, sich gegen eine störrisch-nostalgische Bevölkerung durchzusetzen, die den Anmutszauber der Geschichte der neuen Silo-Ödnis nicht opfern wollte. Der Mensch lebt nicht von der Neubauwohnung allein.

Doch die Stadtplaner setzten sich weitgehend durch, und selbst die Nähe zur totalitären Geste im Osten war ihnen nicht peinlich. Im Osten Berlins war Ulbricht mit Dynamit gegen das falsche Bewußtsein vorgegangen. Im Westen leisteten die Theoretiker der Moderne ganze Arbeit. Schnörkel galten als Junkerschrott. Tatsächlich gaben sozialdemokratische Kommunalpolitiker in Berlin »Stuckabschlags-Prämien« an Hausbesitzer aus – bourgeoise Gesinnung wurde mit Spritzbeton weggeputzt.

Das Ergebnis? Ein Blick auf den Ernst-Reuter-Platz, den Mehringplatz oder den Ku’damm genügt. Ein zweiter lohnt nicht. »Berlin ist«, wie der Publizist Rainer Haubrich in seinem provokanten Bildband eindrücklich belegt, unter den Metropolen »die häßlichste Hauptstadt Europas«.

Den Plan, das Berliner Stadtschloß nun wiedererstehen zu lassen, verstehen die Moderne-Puristen nicht ganz zu Unrecht als Kampfansage. Die Schloßrekonstruktion wäre ein sinnlich überzeugendes Eingeständnis: Es war ziemlicher Mist, den wir uns in die Städte karren ließen. »Wir sind am Ende unserer Zuversicht angelangt«, bekannte – auf einer Podiumsdiskussion zum Schloß – freimütig der Erbauer des Kanzlerpavillons, Axel Schultes.

Wilfried Wang, Chef des Frankfurter Architekturmuseums, bekräftigt: »Der ideologische Machtanspruch einer minimalistischen Monumentalität hat dazu geführt, daß diese Architektur jegliche interne und externe Daseinsberechtigung verloren hat.« Wang bezieht Architekturstars wie Ungers in seine Kritik mit ein, deren Kästen die neue Hauptstadt prägen.

Die Schloßdebatte – eine Zeitenwende. Resigniert müssen wir erkennen, daß es keine Baumeister vom Range der Schinkel oder Schlüter mehr gibt, und nichts zeigte das so deutlich wie jener Wettbewerb des Berliner »Tagesspiegel«, der moderne Bebauungsvarianten in den Raummaßen des Schlosses einholte: nur noch periphere Pointensetzerei, gebaute Kommentare.

Doch der politisch-moralische Einspruch gegen das Schloß hat den schwächeren ästhetischen kräftig abzuschirmen. Die Betroffenheitsgeste – sie stattet jeden verantwortlichen Bezirkspolitiker mit einer moralischen Größe aus, die er sich zulegen möchte. Etwa einen wie Peter Strieder.

Hinter seinem Schreibtisch hängt eine Reminiszenz an die WG-Zeiten der siebziger Jahre: Gorellas »Philosophen«-Gemälde, Marx und Hegel in einer Altbauwohnung. Peter Strieder gilt als die linke Hoffnung der SPD, wahrscheinlich weil er schwarze Hemden trägt, einen Laptop hat und weiß, was die elfte Feuerbach-These ist. Daß es darauf ankommt, die Welt zu verändern, statt sie nur zu interpretieren, gilt hier besonders für Bäume: Strieders spektakulärste Amtshandlung als »Senator für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie« war es, die Linden im Lustgarten abzuhacken – und schon sieht die Welt ganz anders aus.

Sicher ist es nicht fair, Berliner Kommunalpolitik nur mit einem ihrer Vertreter zu erklären, aber da sich Strieder von der SPD-Basis als Kandidat für den Regierenden Bürgermeister handeln läßt – er traut sich das »durchaus« zu -, könnte er durchaus Stadtgeschichte machen.

Strieder kämpft für den Palast. Warum? Als Symbol für den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden? So ungeschützt läßt sich das nicht mehr sagen. Also verkörpert der Palast für Strieder eine »Erlebniszone«.

Sozialismus light: Er hat die staatssozialistische Barrikadenrhetorik vorerst in einem ideologiefreien Freizeit-Park-Vokabular zwischengelagert. Der Palast sei »gesellschaftlicher Mittelpunkt« gewesen, heißt es bei Strieder – eine sprachliche Asbestsanierung des politisch korrumpierten Kastens.

Doch dann bricht durch, was auch in Strieders Hülsen eigentlich mitgeschleppt wird. Die ästhetische Debatte übers Schloß hält er für »Quatsch« – sie sei politisch. »Wir können doch in der Stadt nicht nur Preußens Gloria und Nazibauten restaurieren.« Man müsse eben auch die Erfolge der Arbeiterbewegung verewigen. Also doch: Wer für den Palast ist, respektiert den Sozialismus, und wer das Schloß will, ist abwechselnd rückschrittlich oder Nazi.

Für Strieder bedeutet die gerade bewilligte Asbestsanierung des Palastes nur einen ersten Schritt für dessen Wiederaufbau. Man könne Erichs Lampenladen sogar auf Schloßgröße ausbauen. Irgendwann könne er sich statt der FDJ-Feten dort durchaus mal den »Juso-Bundeskongreß« vorstellen.

Auf alle Fälle, so gelobte er bereits dem einstigen FDJ-Blatt »Junge Welt«, wolle man besondere Behutsamkeit walten lassen, etwa bei der Rettung der Bestuhlung des beliebten »Jugendcafés«. Für die »denkmalgerechte« Zwischenlagerung von Marmorplatten und zeitlos schönem Proletenkitsch kalkuliert er 10 Millionen Mark. Ein Klacks.

Für die Zwischenzeit hat Strieder eine tolle Idee: im wesentlichen die von Boddien, mit einer gewendeten Pointe. Er will ein Stahlgerüst in den Ausmaßen des Schlosses mit bunten Tüchern behängen. Nicht so ‘ne olle Schloßkulisse, sondern »einen Multimedia-Screen«. Und schon geht die Post ab fürs Volk. Da könnten »Filme von Popkünstlern« laufen und »E-Mails aus aller Welt vergrößert werden«. Wow! Oder man könnte zum Beispiel »Echtzeit-Aufnahmen von Zügen zeigen, die in Stadtbahnhöfe einfahren, das ist doch spannend«.

Die Berliner Bevölkerung hat, paradoxerweise, den Populisten längst überholt. Auch im Osten. Ihr ist klar, daß die Entscheidung fürs Schloß fallen muß, wenn man erst durch das Gestänge der asbestsanierten Honecker-Kommode hindurchschauen kann. In einer 1994 veröffentlichten Forsa-Umfrage sprach sich zwar die Mehrheit im Osten für den Erhalt des Palasts der Republik aus. In der Alternative: »Schloß oder moderner Neubau« hingegen votierten die Ossis mit der überwältigenden Mehrheit im Westen – für den Schloßaufbau.

Dennoch: Der linke Einspruch gegen das Schloß findet Sekundanten in den Feuilletons, die die letzten abgelederten Pirouetten der einst stolzen Kritischen Theorie drehen: Ausgerechnet Adorno, ein formbewußter Großbürger, muß nun als Kronzeuge für einen Parkplatz herhalten!

Da ist etwa Ulrich Greiner in der »Zeit«, der gegen den »raumgreifenden Herrschaftswillen« des alten, neuen Schlosses wettert – immerhin, so flüstert es durch die Zeilen, es war mal Junkerburg, und das wollen wir doch bitte schön nicht mehr.

Er und andere sehen im Schloß-Wiederaufbau eine Mogelpackung, die die »historische Differenz« verschwinden ließe. Wahrscheinlich findet man das in selbstanbetender Feuilletondrechslerei toll gedacht – unehrlich bleibt es dennoch: Als ob nur ein einziger dieser Sitzriesen beim gelegentlichen Berlin-Besuch den unfrohen Blick über die Brache schweifen ließe und hauchte: Gott sei Dank ist die historische Differenz erhalten! Doch für sie ist der Parkplatz nicht einfach ein Parkplatz – sondern Endpunkt einer preziösen Reflexionskette, das Beste, was das Gremien-Palaver derzeit hervorzubringen imstande ist.

Es ist unehrlich und obendrein falsch. Wolf Jobst Siedler, ein vehementer Schloßbefürworter, wies mit Recht darauf hin, daß in der Architekturgeschichte Falsifikate überwiegen. Knobelsdorffs Oper: mehrfach ausgebrannt und wiedererrichtet. Das Kronprinzenpalais: eine Baugrube mit Grundwasser, in neuer Schönheit wiedererstanden. Nicht nur das Warschauer Schloß war bei Kriegsende komplett zerstört – auch der Campanile in Venedig war zu Beginn des Jahrhunderts eingestürzt und nur noch ein Haufen Schutt.

Nun hätten die Venezianer – aus Sorge um das »Verschwinden der historischen Differenz« – die Brache konservieren und später einen Avantgardisten einen Schuhkarton aus Glas und Stahl hinstelzen lassen können. Aber sie sind nun mal konzeptionell weniger streng, die Venezianer sind unverbesserliche Sinnesmenschen. Und wenn sich so mancher deutscher Feuilletonist von seiner Gattin vor dem Campanile knipsen läßt, ist ihm die historische Differenz ziemlich piepe, Hauptsache, Mutti wackelt nicht wieder oder schneidet die Füße ab.

Eine der verlogensten Gedankenblüten trieb in der »Süddeutschen Zeitung«. Erstens, hieß es da, sei ein Schloß nostalgische Lüge. Und zweitens würde es – da es sich doch kommerziell tragen müsse – durch Geld entweiht werden. Da könne man, rief der Kritiker in heiliger Empörung, ja gleich eine Bankfiliale in der Dresdner Frauenkirche aufmachen!

Wie nun? Zunächst also wird das Schloß als Disney-Attrappe verhöhnt, dann aber wieder ist es so heilig wie eine Kirche, die nicht geschändet werden dürfe – und das in einem Atemzug?

So ist der Stand. Die meisten Feuilletonisten sind gegen urbane Heilung durch Restauration. Sie möchten dem Normalbürger das »Zeitgemäße« über den Schädel ziehen wie eine historische Kopfnuß. Sie beten Adolf Loos’ »Ornament und Verbrechen« nach, finden Le Corbusiers Wohnsilos fürs gemeine Volk interessant und flippen heimlich aus vor Freude, wenn ihre Altbauwohnungen Stuckreste aufweisen.

Sie verachten die historisierende Tendenz (ohne die es Renaissance und Klassizismus nicht gegeben hätte) als rückschrittlich und verordnen der Großstadtherde den schmucklosen Korridor, so wie Ulbricht, der seinem Volk den Feudalismus unter dem Hintern wegsprengte, um sich anschließend am gleichen Ort auf eine bronzene Tribüne zu setzen und die Volksameisen vorbeidefilieren zu sehen.

Sie sitzen noch immer da oben, die Avantgardeprediger und Volkserzieher, und verordnen den Berlinern mit hoher Phrase die Brache – eine gähnende Mitte, in der sich eigentlich nur Skinheads wohl fühlen. Und sie säßen noch immer dort oben, gäbe es nicht diesen Wunderstoff.

Auch Boddien wäre steckengeblieben, obwohl er einflußreiche Mitstreiter gefunden hat. Da sind respektable Kulturkonservative wie Wolf Jobst Siedler, der mit »Melancholie und Resignation« für den Wiederaufbau plädiert. Da ist der Architekturkritiker Michael Mönninger, der in der »Berliner Zeitung« schrieb: »Das Schloß ist nicht alles – aber ohne das Schloß ist alles nichts.«

Auch Josef Paul Kleihues, einer der Superstars der Berliner Architekturszene, äußerte sich wohlwollend. Gegen die Kahlschlag- und Reißbrettplanung der Berliner Nachkriegsjahre hatte Kleihues mit seiner Internationalen Bauausstellung bereits in den achtziger Jahren die behutsamere und spielerische Stadtsanierung vorgespielt. Auf Boddiens Seite sind Freundeskreise in Ost und West, auch verständige SPD-Ost-Politiker wie Wolfgang Thierse. Doch alle wären sie ohne diesen Stoff ihrem Ziel bis heute keinen Schritt näher gekommen: Asbest.

Asbest war in die Scheußlichkeiten der siebziger Jahre geblasen worden, um sie Ewigkeiten überdauern zu lassen. Nun bietet der Stoff die Handhabe, dieselben flachzulegen. Asbest, kein Ewigkeitsschutz, sondern ein implantiertes Selbstmordprogramm für Bausünden wie das Ku’damm-Eck – oder eben den Palast der Republik.

Nun also darf man auch in der Schloßfrage aus Sorge um die Volksgesundheit handeln. Mit dem Plädoyer für Würde und Schönheit und den heilenden Zauber eines anmutigen Anblicks ist in deutschen Debatten nicht durchzudringen – aber mit dem Hygiene-Hinweis ist bei uns jeder auf der Überholspur. Nun wird der Palast weggeputzt: nicht etwa, weil er die seelische Gesundheit gefährdet, sondern die körperliche.

Und dann? Eine lange Strecke liegt vor Boddien, für die er sich Mut macht. Schließlich stehe sein Schloßmodell hier im Staatsratsgebäude ja schon im Vorzimmer des provisorischen Kanzlerbüros, und der Kanzler wird es nicht vergessen.

Nun hätte er sich, unseligerweise, keinen schlechteren Bündnispartner aussuchen können. Der Kanzler ist ein auslaufendes Modell, und alles, was er anfaßt, wird wahrscheinlich mit ihm in der Vergessenheit verschwinden wie eine überalterte Fußballmannschaft. Und wenn die Strieders erst einmal die Bundesregierung stellen, könnte Boddiens Schloßmodell wohl ein exzentrischer Attrappentraum bleiben.

Da ihnen das Gespür für Symbolik, für »das Vollkommene auch in ungünstigsten Zeiten« völlig abgeht, würden sie den Schloßaufbau gegen jedes Hallenbad, jeden Kindergarten ausspielen, oder, noch wirkungsvoller, in den endlosen Flachtälern der sogenannten öffentlichen Diskussion verenden lassen.

So kann es gut sein, daß das Schloß nie gebaut wird und irgendeine provisorische Pommesbude das letzte Wort hat. Einen Ruck aus Bonn müsse es jetzt geben, sagt Boddien nicht zu Unrecht. Wichtig wäre ein Signal der vermutlich neuen Regierungsspitze.

Tatsächlich müßte Schröder auch den linken Beton-Fans in der eigenen Partei klarmachen, daß er Banausentum nicht mit Modernität verwechselt und daß er das gleiche Gespür für symbolische Gesten und historischen Respekt hat wie der noch amtierende Kanzler. Vielleicht könnte ihn auch die Aussicht locken, die Regierungschefs eines Gipfels nicht in den gesichtslosen Hotel-Klitschen an der Budapester Straße unterzubringen, sondern in einem repräsentativen Prachtbau in der historischen Mitte.

Was für eine Chance, im Wahlkampf nicht nur die Brieftasche der Bürger zu adressieren, sondern ihr Bedürfnis nach Schönheit! Ohne nationale Metaphern, einen zumindest rudimentären Patriotismus geht es auch in einem vereinigten Europa nicht, das hat man in Paris begriffen, in Rom und in London erst recht.

Was Schinkel beschwor, nämlich das »Vollkommene« zu riskieren, gerade in »ungünstigen Zeiten«, und was die Amerikaner das »vision thing« nennen, meint im Grunde dasselbe: den elektrisierenden Appell an Stolz und Tradition. Schröders Chance: in Terrains vorzudringen, die jenseits der Deutschland-GmbH liegen.

Dorthin, wo das Schloß steht. Im Moment nur ein Modell in einem Glassarg, bunt und klein und aus Pappe.

 

 



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