Ich bin umgezogen, wahrscheinlich zum letzten Mal in meinem unruhigen Leben, also langer Landeanflug in ein Nest an der Ostseeküste, gleich gegenüber liegt ein Friedhof, im Alter schätzt man kurze Wege.
Merkwürdigerweise habe ich mich früh und melancholisch aufs Älterwerden eingestellt, so mit 12, 14, im Internat, da gab es diesen jähen Erkenntniseinbruch in die Endlichkeit des Daseins, da war ich empört und unglaublich traurig über die Tatsache, dass ich mal sterben werde, trauriger, als ich es heute bin. Warum ist das so, dass ich in einem kalten feuchten Stück Erde landen werde?
Melancholie mitten im Lebensübermut
Damals dachte ich, wie wird das wohl werden im Alter, so viel näher am Tod, ich wurde regelrecht rührselig, vor allem wenn ich Paul McCartneys „When I’m sixty four” hörte, Song Nummer 9 auf Sgt. Pepper, der besten Pop-Platte aller Zeiten, wenn man der Fachzeitschrift „Rolling Stone” folgen möchte. Und noch merkwürdiger ist es wahrscheinlich, dass Paul gerade mal 16 war, als er das Lied geschrieben hat. Er muss die gleiche Melancholie gespürt haben, ganz plötzlich, mitten im Lebensübermut, Altersahnung mitten in der Pubertät, die Beatles spielten den Song, wenn die Anlage mal ausfiel, noch zu Zeiten ihrer Auftritte im „Cavern” in Liverpool. Auf Stgt.Pepper (1967) kam der Song mit klassischem Klarinettentrio und lustigem music hall Tempo, als ob er Gespenster verscheuchen wollte. Und dann wird er ohnehin von dem albernen „Lovely Rita” abgelöst. Aber ich merke gerade, ich weiche dem Ernst der Frage aus.
Also: das Älterwerden ist selbstverständlich Grund zur Empörung, denn es ist „alternativlos“, auch wenn du dich dagegen anstemmst mit Sport und Heilkräften in Kapseln und Pillen, und manchmal schreist du in dich hinein vor Verlangen nach einer Zigarette, denn natürlich hast du das Rauchen aufgegeben, nein, den Verfall zu meiden ist die Freiheit, die du NICHT hast. Altern bedeutet die ungerührte und systematische Vernichtung deiner Kräfte, die Annullierung all deiner Anstrengungen und kleinen Siege. Man denkt sich, 66 ist das neue 50, doch auch das ist aus der Perspektive eines albernen 14-Jährigen (älter war ich nie) schon ziemlich alt, vor allem, wenn ich ächze bei dem Versuch, aus dem Auto zu steigen, und dann wird mir klar: es ist alles so schnell dahin gegangen. In Psalm 90 heißt es: „Unser Leben währet siebzig Jahre und wenn es hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin als flögen wir davon…“
„Bei allem Schaudern vor dem Ende in der
feuchten Erde, auf das ich unausweichlich hinlebe, fühle
ich in diesem Moment jedoch auch eine Art Befreiung“
Als Katholik hege ich die Hoffnung, dass meine Seele hinüberschwingt und einmündet in die unendliche und unfassbare Liebe Gottes, sofern ich das Gericht bestehe. Meine hingebungs- und aufopferungsvolle Mutter flüsterte mir eine Woche vor ihrem Tod – sie war 93 und lebenssatt bis hin zur Lebensmüdigkeit – die Worte zu: „Ich hab Angst vor dem Richter.“ Sie war die eine Person auf der Welt, die ausgerechnet diese Angst nicht haben musste. Ich habe sie nicht, diese Angst. Ich nehme an, dass auch Gott bei mir beide Augen zudrückt, wie es nicht wenige meiner Freunde tun. Bin ich zu leichtsinnig? Bin ich nicht fromm genug? Bin ich immer noch leichtsinnige 14?
Bei allem Schaudern vor dem Ende in der feuchten Erde, auf das ich unausweichlich hinlebe, fühle ich in diesem Moment jedoch auch eine Art Befreiung. Endlich loslassen! Nichts mehr beweisen müssen. Natürlich habe ich in Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit geblättert, um meinen Betrachtungen intellektuelles Gewicht zu geben, und stieß auf die Stelle „Das Alter aber hat die Heiterkeit dessen, der eine lange getragene Fessel los ist und sich nun frei bewegt.“ Das wusste ich auch ohne ihn (s.o.), aber es ist schön, diesem Gefühl höhere philosophische Weihen umhängen zu können. Und gleichzeitig komisch, dass ein so großer Kopf das gleiche banale Zeug denkt wie ich.
Ein glückliches Leben ist nicht unbedingt ein geglücktes
Da dies hier eine Art Bilanzstück ist, fällt mir die Weisheit eines Paters ein, der das Leben eine Herausforderung nennt, und die besteht nicht darin, glücklich zu sein. Wir verwechseln das oft. Ein glückliches Leben, sofern es das geben sollte, ist nicht notwendigerweise ein geglücktes Leben. Dieses wäre eines, das die je eigene Lebensaufgabe erkennt und erfüllt. Goethe, der große Heide, hat sein Leben als Werk, als Architektur betrachtet. Ich glaube, der Pater meinte es leicht anders. Im Sinne einer Mission. Jedes Leben, auch das der Nicht-Goethes, ist mit seinem unverwechselbaren immanenten Sinn ausgestattet. Schrecklich stelle ich mir die Todesstunde vor, in der man erkennt, dass man an diesem Sinn, an diesem Auftrag vorbeigelebt hat. Selbstverständlich fällt mir hier die Türhüterlegende „Vor dem Gesetz“ aus Kafkas „Prozess“ ein. Der Wartende sieht das Strahlen im Innern des Palastes, und dann wird am Ende seines langen Lebens, da er auf den Einlass gewartet hat, die Tür, die nur für ihn reserviert war, vor ihm verschlossen. Wahrscheinlich besteht die Schwierigkeit im Leben darin, herauszukriegen, was der Auftrag war.
Zur Dankbarkeit: In meinem jetzigen Stand ohne allzu große Gebrechen, sieht man ab von dem ewigen Kampf gegen Übergewicht oder Bluthochdruck (Herzinfarkt!) etc., erfüllt mich ein großer Frieden, eine von Dankbarkeit gespeiste Gelassenheit. Die gibt es trotz aller düsteren Ausblicke in die Zukunft, trotz aller Polemiken gegen eine Regierung, die aus scheinheiligen Utopisten besteht oder abgrundtiefen Zynikern, es gibt sie trotz des Verfalls meines Berufes, dessen beste Jahre ich miterleben, ja mitabenteuern durfte als Journalist mit Erfahrungshunger, als Geschichtenerzähler mit meiner Liebe zu Außenseitern und Geächteten. Ich habe es geliebt trotz aller Feindseligkeiten, mit denen der Weg des Dissidenten gepflastert ist. Es hätte alles sehr viel schlechter laufen können.
„Viele aus meiner Hippiejugend sind
an Drogen gestorben; ja vielleicht waren Drogen
unsere Kriegserfahrung“
Wenn ich an den Moment in Thailand denke, als plötzlich der Kühlergrill des LKW über meinem Motorrad auftauchte, oder mein Überroller von der vereisten Autobahn bei München in den Graben, der Schlaganfall, der Herzinfarkt, die Schüsse an der Grenze zum Kosovo: Kurz, meine Frau behauptet, dass sich Geschwader von Schutzengeln bereit machen, wenn ich einen Fuß auf die Straße setze, entweder das, oder eben sagenhaftes Glück schon von meiner Frühgeburt an. Ein Wunder, dass ich es bis in dieses Alter geschafft habe, über das Udo Jürgens sang „Mit 66 Jahren, da fängt‘s erst richtig an…“ Viele aus meiner Hippiejugend sind an Drogen gestorben; ja vielleicht waren Drogen unsere Kriegserfahrung.
Dass ich das Glück hatte, die Liebe meines Lebens zu finden, und Freunde und einen Beruf, der mir zur Leidenschaft wurde und mit dem ich den Lebensunterhalt für die Familie bestreiten konnte, und einen prächtigen Sohn habe, der seinen Weg machen wird. Brüder, die ich liebe und die leider verstorbenen Eltern, diese Schicksalsgeneration, die nicht an sich, sondern nur an uns Kinder dachte – das ist mehr an Glück, als ich wahrscheinlich verdient habe.
Jeder Atemzug ein großes „Danke“
Für die ganz große Karriere fehlte mir die Selbstbeherrschung, die Disziplin, vielleicht auch der Wille, aber das ist in Ordnung. Ich bin damit völlig ausgesöhnt, und wenn ich mit meinem Retriever Simba in der rosigen Sommerabendstille am Meeressaum entlanglaufe, nachdem die Touristen-Familien mit ihren Kindern in ihre Ferienwohnungen zurückgekehrt sind und ihre Muscheln vergleichen, wenn ich den Schwalben in ihren waghalsigen Flugmanövern über den Rapsfeldern zusehe und dem Mann in der Lederjacke begegne, etwa mein Alter, der manchmal abends auf einem Geröllbrocken am Meer unter der uralten, schiefen Eiche mit seiner akustischen Gitarre sitzt und improvisiert und seine Saiten klingen lässt, für sich selber, für die sanft plätschernden Wellen, die singenden Vögel, für mich und meinen Hund und den Schöpfer, der alles so wunderbar eingerichtet hat – dann ist jeder Atemzug ein großes DANKE.
Und ich bin meinem Ende schon wieder einen Tag entgegengegangen. Und mir fallen die trauerschönen letzten Zeilen des großen Zynikers Gottfried Benn ein aus seinem Gedicht „Menschen getroffen“:„Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, woher das Sanfte und das Gute kommt, weiß es auch heute nicht und muss nun gehen.“ Und dann denke ich mir: so schlimm sind wir alten weisen Männer doch gar nicht.
Auch Poeten, Priester und Philosophen werden älter – und sogar Journalisten. Wie kann man damit umgehen? Empörung bringt nichts. Mag der innere Teenager dies auch wollen. Vorteil für Katholiken: Mit dem Glauben wird das Loslassen leichter, der Blick auf die Ewigkeit tröstet und die Fähigkeit, Danke zu sagen, nimmt zu.
Kämpfen Sie mit!
Wie Sie sicher gesehen haben, kommen meine Beiträge ohne Werbung aus. Daher: wer mich in meinem Kampf gegen eine dumpfe Linke, die auf Binnen-Is und Gendersternchen besteht, aber Morddrohungen nicht scheut, unterstützen möchte, besonders für allfällige gerichtliche Auseinandersetzungen, kann es hier tun.
3 Kommentare
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Lieber Matthias Matussek.
Mein Name ist Christa Chrostek, geb. 2.9.194
Ich wohne in Fulda und habe schon öfters Exerzitien im Kloster Frauenberg Fulda , bei Pater Max gemacht.
Mir gefällt es, mich mit religiösen Themen zu beschäftigen. Ich will “dahinter kommen” nicht hinterher laufen,
was so landläufig üblich ist. Vieles hinterfrage ich und möchte auch Erklärungen bekommen.
Mir fehlt unser Papst Benedikt XVI, Von ihm konnte man vieles in den Alltag übernehmen.
zu Ihm ist mir folgendes eingefallen:
Die Welt ist schön….
Weil Gott uns diesen Papst geschenkt hat, der im rechten Moment das Richtige sagt.
Der uns darauf aufmerksam macht , was den Menschen fehlt in unserer Welt.
Der mit leiser Stimme doch laut Signale setzt. Der keine Scheu hat delikate Themen anzusprechen.
Der keine Verbote ausspricht, sondern Möglichkeiten zeigt.
Der uns den Weg bereitet, um im Glauben fester zu werden.
Der sich immer treu geblieben ist und unerschütterlich seinen Weg im Namen Gottes geht.
Ch.Chrostek
Aber all das ist es nicht, was mich bewegt Ihnen zu schreiben.
Es ist der obige Beitrag…..
In letzter Zeit mußte ich öfters an Sie denken, und wenn ich es richtig wahrgenommen habe, sieht man Sie wenig im TV. Drum hab ich mal im Internet geschaut , wo, was und ob…
Mit Freude seh ich Sie sind noch “voll” da ! Danke !
Zu Ihrem Text: “Bei allem Schaudern vor dem Ende in der feuchten Erde, auf das ich unausweichlich hinlebe, fühle ich in diesem Moment jedoch auch eine Art Befreiung“….
fielen mir meine Gedanken ein, die ich mir mal über mein Sterben machte
Ich schrieb es am 23.Juni 2015 um 23.30 ” Das Weggehen aus dieser Welt”
Dieses Weggehen aus dieser Welt -ob mir das gefällt ? Werd ich es spüren ?
Was wird geschehen in dieser Zeit, bin ich dann auch bereit ?
wohin wird es mich führen….
Tut es weh ? Tut es (mir) gut ?
Braucht es Mut oder wird es einfach geschehen?
Bin ich bei mir, wo meine Gedanken ? Kann ich’s verstehen, überwind ich Schranken ?
Was werd ich erfahren, was werd ich sehen
Durch eine Wolke…. durch ein Tor….. ? Wie nur stell ich mir das vor ?
Dieses Gehen aus ( von) dieser Welt… ob mir das gefällt …..
Ch..Chrostek
Auch ich stelle mir viele Fragen über das “Hinterher” aber ich denke das ist unnötig , Gott wird es mir
zeigen und alles was ich wissen will dann beantworten. Doch zu manchen Zeiten beschleicht mich doch so
ein merkwürdiges Gefühl, niemand weiß die Stunde, es ist schon so ne Sache mit dem Ende des Lebens.
Obwohl es ja da erst richtig schön werden soll, so hat uns Jesus es verheißen, im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen….
Es gibt ein Gedicht: “Bevor Du stirbst”:
Text und Musik: Otto Reutter
“Bevor Du stirbst, und einziehst in die Fremde…..usw.”
Wird zu lang wenn ich es hier reinschreibe…..sorry…
Sicher kennen Sie es schon….
Ich wünsche Ihnen alles Gute , Gesundheit und Frohsinn.
ganz liebe Grüße und Gottes Segen
Christa Chrostek
Liebe Frau Chrostek,
Ihr Brief ist berührend – danke dafür.
Herzlich
Matthias Matussek
wird gemacht.
auch Ihnen alles Gute
Ihr
MM