„Wild thing, you mooo…“ Dann brach der Leadsänger mit einem „Tock“ im Lautsprecher, brach auch der Gitarrendonner ab. Das Jahr war 1968 und ich war 14 und in der Aula des Jesuiteninternats Aloisius-Kolleg in Bad Godesberg (Ako) hatte sich das Parkett gebogen. Gefeiert wurde die Übergabe der Abiturzeugnisse unter anderem an meinen großen Bruder, und in diesem Jahr war das angereichert durch eine Einlage der Ako-Band „Rattlesnakes“ oder so ähnlich.

Fing gut an. Mit Gerüchten. Und dann, so der Pater Direktor: „Unsere jungen Leute haben sich was ausgedacht“. Roter Vorhang, der unter plötzlich einsetzendem Schlagzeug-Krach zur Seite getreten wurde durch ein Bein und einen Gitarrenhals, und der Typ drüber trug die Haare bis über die Augen, und dann, ohrenbetäubend, wramm wramm, ramm bamm bamm bamm… „Wild thing…you make my heart sing, you make eeeverything groovy…“ heavy metal das Ganze, auch wenn ich den Fachausdruck dafür noch nicht kannte.

Ich hätte aufschreien können vor Vergnügen, es war so herrlich laut und schön überraschend, die Eltern runzelten die Brauen, und die Patres schauten verdutzt, bis einer von ihnen aufsprang auf und buchstäblich den Stecker zog und für bleierne Stille sorgte.

Ich wollte den Song unbedingt zu Ende hören, der von da draußen kam, von einer Gruppe namens Troggs, aus einer Welt lustiger Tumulte und Aufbrüche…und ich hörte den Song dann  tatsächlich zuende drei Jahre später, als ich bereits in einer maoistischen aber dennoch Kiffer-WG wohnte, und ich hörte ihn in einem Programmkino, das den Auftritt von Jimi Hendrix auf dem Montery-Pop-Festival 1969 zeigte.

In memoriam!, denn Hendrix war überraschend gestorben. Tot aufgefunden in seinem Hotelbett am 18.September vor genau 50 Jahren. Ein weiterer aus dem Club der 27-jährigen, wie Brian Jones von den Stones vor ihm, und Jim Morrison, Janis Joplin, und Generationen später Kurt Cobain und Amy Winhouse nach ihm.

In Hendrix‘ Version war der Song „Wild thing” ein brodelner zischender  Elektro-Orgasmus auf offener Bühne, die Patres im Ako müssen sowas geahnt haben, er kniete über seiner Gitarre und ritt sie wie im Rodeo und spritzte schließlich Benzin in den Korpus und zündete ihn an und ließ die Flammen zwischen seinen Knien hochschießen…“Wild thing…you mooove me“.

Klar wollte ich damals wissen, wie der Song weitergeht und wie er aufhört!

Jimi Hendrix war der Blitz aus heiterem Himmel, die geniale früh vollendete Stichflamme des Rock, Gitarrengott der Hippie-Ära, der schwarze Psychedelic-Rocker, der bunteste aller Fransenträger, Erfinder atemloser Läufe über den Gitarrensteg, fast eine Vaudeville-Nummer, wenn er die Saiten mit den Zähnen traktierte oder das Instrument auf dem Rücken spielte. Darüberhinaus Erfinder des Hendrix-Akkords E7#9 mit dem „Purple Haze“ eröffnet, ein Riff, das schwer aus dem Kopf geht.

Mit diesen drei Akkord-Hammerschlägen, die sich dann in ein Riff aus vier Tönen zerlegen, wischte er unsanft die Harmonien der Beatles beiseite, die jenes legendäre Jahr 1967 in allen Charts der Welt mit ihrem „Stgt. Pepper“-Album dominierten – bis Paul McCartney dann auf dem folgenden „White Album“ 1968 mit „Helter Skelter“ eine eigene Heavy Metal Nummer über rollenden Bässen herausbrüllte und Trommler Ringo Starr nach dem 30. Durchgang im Studio verzweifelt rief „I got blisters on my fingers“ – ich hab Blasen an meinen Fingern.

Aber zuvor war Jimi Hendrix wie ein Meteorit in die Szene gecrashed, an jenem Abend, als Chas Chandler von den Animals seinen ersten Auftritt in einem Londoner Club organisierte, und die Poparistokratie (Beatles, Stones, Who)  neugierig gemacht hatte und Eric Clapton von einer Offenbarung sprach, die alles verändert hätte: sein Leben und die Art, zu spielen, zu hören, das ganze Paket.

Dabei war dieser lächelnde junge schwarze Indianer, der so erstaunlich schüchtern hinter dem von ihm angerührten Höllendonner verschwand, schon länger im Business, er war in den Jahren zuvor mit den Isley Brothers getourt, hatte als Studiomusiker für Little Richard und viele andere gespielt, hatte in Tennessee gelernt, mit den Zähnen zu spielen. „Da unten musst du das tun, sonst wirst du erschossen – die ganze Bühne ist übersät mit gebrochenen Zähnen“, flachste er.

Er kam 1942 in Seattle zur Welt. Die Eltern waren Tänzer, beide hatten Afroamerikaner und Cherokee-Indianer unter ihren Vorfahren. Beide tranken und dann gingen sie aufeinander los, so dass sich der kleine James öfter im Kleiderschrank versteckte oder auf der einzigen Saite seiner Lukulele spielte, die der Alte aus dem Müll gezogen hatte – möglicherweise hatte er sich da schon das bending antrainiert, das Verschieben der Saite auf dem Gitarrenhals, um unterschiedliche Tonlagen zu erzeugen.

Mit 15 erhielt er seine erste eigene Gitarre, auf der er als Linkshänder die Saiten umgekehrt aufzog und die Rock n Roll Champs der Stunde nachspielte, Chuck Berry und Little Richard, aber oft auch stundenlang versonnen improvisierte.

Zwei Jahre später wurde er beim Autoklau erwischt und vor die Alternative Knast oder Army gestellt. Er wählte Letzteres und absolvierte die notwendige Anzahl an Fallschirmsprüngen, um den Golden Eagle zu erwerben.

Ja, Jimi Hendrix ist wahrscheinlich der einzige Rockstar der Hippiezeit, der vom Himmel fiel.

Seine Armyzeit verkürzte er durch Disziplinlosigkeiten, die ihm eine unehrenhafte Entlassung einbrachten, aber das konnte ihn nicht besonders jucken, denn er hatte in den Baracken den Bassisten Billy Cox kennengelernt, mit dem er seine erste Band „The King Kasuals“ gründete. Gleichzeitig trat er als Begleitmusiker für etablierte Größen wie Ike & Tina Turner, die Supremes, Little Richard oder King Curtis auf, dessen Manager auch ihn unter Vertrag nahm – für einen Dollar und ein Prozent der Einspielergebnisse!

Natürlich zieht auch die Showbranche, auch die Musikbranche zwielichte Figuren an, und eine solche war Michael Jeffery, der Manager der Animals, ganz sicher.

Nachdem Ches Chandler, der Bassist der Animals, Hendrix im New Yorker „Wah?“-Cafe gehört hatte, wo dieser mit dem Balladen-Klassiker „Hey Joe“ aufgetreten war, hatte er ihn gemeinsam mit Michael Jeffery, unter Vertrag genommen. Jeffery wird in der Zukunft dafür sorgen, dass die Konzerteinnahmen Hendrix‘ auf seinem Konto in den Bahamas landeten und der umjubelte Gitarrengott ständig pleite war.

Chandler besorgte die künstlerischen Seiten des Unternehmens „Hendrix“ – er fand für ihn den Bassisten Noel Redding und den Schlagzeuger Mitch Mitchell und verwandelte den „Jimmy“ in einen „Jimi“ Hendrix.

Wie Chandler bereits nach dem Auftritt im New Yorker „Wah?“ geahnt hatte, wurde „Hey Joe“ ein Hit, gefolgt von „Purple Haze“, der Kifferapotheose,  dem akustischen Denkmal für das stärkst Kraut mit den größten psychedelischen Wirkungen, das damals aus Marihuana zu gewinnnen war.

Mit anderen Worten: man musste sich schon ziemlich gut anschnallen, wenn man mit diesem Zeug auf Reisen ging.

Seine Sativa-Blume hatte violette Knollen und Jimi beschwörte den violetten Nebel, der ihm ins Hirn kriecht und ihn den Himmel küssen lässt, bis er ihn schachmatt setzt und er nur noch „help me“ rufen kann, „hilf mir…keine Ahnung, ob es morgen ist oder schon das Ende der Zeiten, hilf mir…“

Während die beiden Songs in den Charts hochschosssen, bastelte Hendrix, der sich inzwischen mehrheitlich auf LSD befand und von vielen Freundinnen umringt war, an der nächsten Dröhnung. Das Album hieß „Are you experienced“ und war ein Wunderwerk aus Rythm and Blues, Pop und Science-Fiction, aus raffiniertesten Klangcollagen und endlosen Studio-overdubs. Es hielt sich 33 Wochen in den Charts und wurde an der Spitzenposition nur durch dieses Kostümalbum der Beatles, durch „Stgt. Pepper“, gehindert.

Und er erwies den Beatles Referenz mit einem Auftritt im Londoner Saville Theatre drei Tage nach Erscheinen des Albums, Paul McCartney und George Harrison saßen im Zuschauerraum, und Jimi spielte als Eröffnungsnummer „Stgt. Pepper“ und rief vorher: steckt euch was in die Ohren, denn er entfesselte tatsächlich einen Orkan mit dem Song, an den sich Paul McCartney noch knapp 50 Jahre später in einem Konzert erinnerte. Voller Stolz.

Sein flammender Auftritt im gleichen Jahr auf dem Monterey-Festival, der auf Paul McCartneys Empfehlung zustande kam, etablierte ihn endgültig als Ikone seiner Ära.

Als ob er ahnte, dass ihm nicht viel Zeit bleiben würde, schloss er die Arbeiten an dem 2.Album „Axis: Bold as Love“ mit einer magisch-eindringlichen Titelnummer gleich an und begann mit den Sessions zu seinem 3.Album „Electric Ladyland“, die sich allerdings bis weit ins Jahr 1968 hinzogen, da das Studio bevölkert wurde durch Freunde und Dealer und Frauen.

Bassist Redding erinnerte sich: „Man konnte sich kaum bewegen, das war mehr Party als Aufnahme-Session“. Er schmiss hin, so dass Hendrix den Bass selber einspielte. „Produktion: Hendrix“ stand auf dem Cover. Dennoch und vielleicht deshalb war das Endprodukt für Peter Doggett vom Magazin Record Collector „eine Präsentation musikalischer Virtuosität, die kein Rockmusiker je erreicht oder überholt hätte“.

Danach legte er ein halbes Jahr Pause ein. Mittlerweile war die Gruppe zerfallen. Hendrix logierte in einem Dorf in Upstate New York in einem 6-Zimmer-Haus, das Manager Jefferey angemietet hatte in der Hoffnung, dass Hendrix neues Material produzierte.

In jenen Tagen war er der höchstbezahlte Rockstar, und sein Auftritt beim Woodstock-Festival war gebucht. Als er dort allerdings auftrat, waren die meisten Besucher, offenbar durch falsche Ansagen ermuntert, bereits aufgebrochen. Sie sollten den brillantesten und geschichtsträchtigsten Auftritt des ganzen Festivals verpassen: Jimi Hendrix spielte für die verbliebenen vielleicht 30 000 Zuschauer die amerikanische Nationalhymne.

Er spielte und zerlegte gleichzeitig das „Star Spangled Banner“, ließ die Melodie optimistisch in den Himmel steigen, um sie dann abstürzen zu lassen in Trommelfeuergeräuschen, Raketeneinschlägen, melodischen Fetzen, mit denen er das Kriegsgeschehen in Vietnam akustisch illustrierte – die Hymne der Kriegsdienstverweigerer, gleichzeitig die bitterste aller Anklagen gegen die amerikanische Politik.

Danach tourte er Europa mit der „Cry of Love“-Tour. Er brauchte tatsächlich viel Liebe und jede Menge Frauen schenkten sie ihm.

 Ein erschöpfter Auftritt auf dem Isle of Wight Festival und dann einer auf Fehmarn im Dauerregen und dann kehrte er zurück nach London. Abgeledert und wie stets pleite, da ihm Jefferey die Einnahmen weggaunerte.

Er kam unter bei einer Freundin in London, und verbrachte die letzten Tage vor seinem Tod – den er vor Freunden immer wieder vorausgeahnt hatte – auf drogengesättigten Parties mit vielen Frauen, unter anderem seiner deutschen Freundin Monika Dannemann.

Sie hatte für ihn in ihrem Appartment im Samarkand Hotel gekocht und Wein getrunken, bis in den Morgen hinein mit ihm geredet und war dann eingeschlafen, bis sie mittags, wieder erwacht, erfolglos versuchte, ihn zu wecken. Der Coroner notierte, dass Jimi Hendrix an seinem eigenen Erbrochenen erstickt sei.

Es gibt andere Versionen, ohne Monika Dannemann, eine spricht von einem Auftragsmord durch die Mafia und gewaltsamer Zwangseinführung von Wein, an der er erstickt sei.

 Allerdings: der 27er-Club (Rockmusiker, die im Alter von 27 verstarben) hat den Tod durch Drogen praktisch zum Eintrittskriterium erhoben…so sie sind sie dahingegangen, natürlich alle zu früh, auf der Suche nach Entgrenzung und Entkörperlichung, und diese haben sie dann ja tatsächlich erreicht, denn der Tod ist nichts anderes als das.

Und einige aus meiner Kohorte sind ihnen auf diesem Weg gefolgt, in den violetten Nebel, einige schon früh, andere waren vielleicht länger unterwegs, aber letztlich genauso schmerzhaft, und von einem hörte ich vergangene Woche, dessen Organe schließlich aufgegeben haben, denn auch das war die Hippiezeit für viele – der Start zum langen Flug in Wahn und Sucht und Tod.

Und diejenigen, die diesen schaurigschönen Sirenengesang überstanden haben, waren die, die sich wie Odysseus an den Mast der Bürgerlichkeit ketten ließen, und sie starben lauter kleine Sehnsuchtstode.