Wenn es noch Menschenverstand gäbe bei uns Deutschen, müsste man diesem Dichter Denkmäler bauen, in jeden Flecken mindestens eines, und wir Journalisten sollten den Tag beginnen mit ein paar Zeilen seiner Gedichte, Polemiken, Feuilletons, um den Sinn für Schönheit nicht zu verlieren, und nicht den für Widerstand: Heinrich Heine, Weltgenie.
Er umgekehrt rechnete nie mit derartigen Ehren, denn er wusste: „Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel…die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele“. Und: „Man muss die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts.“
Wie um ihn zu bestätigen führten diese Zeilen, eilfertig gemeldet von Denunzianten, zu einer Sperre auf Facebook für den, der sie zitierte – man kann sich sowas gar nicht ausdenken, es passiert derzeit einfach.
Er dagegen, innerlich befreit, war sich seiner Bedeutung früh klar, ja schon seit diesem Treffen mit dem Olympier Goethe, das er sich, blond, blauäugig, spottlustig, schon Jahre herbeigesehnt hatte. Er hatte ihm Proben seiner Kunst gesandt und nun, am Ende seiner Hartzreise 1826 wird er endlich vorgelassen – und er vermasselt es, weil er mal wieder zu witzig ist.
Woran er arbeite will Goethe wissen. „An einem Faust“, schießt es aus Heine heraus. Der Alte, mittlerweile zahnlos und gelb, aber „majestätischen Blickes“ (Heine) versteinert. Seit Jahren quält er sich mit dem zweiten Teil seines Menschheitsdramas, mühsame Steinbrucharbeit.
Die Audienz ist kurz. Goethes Tagebuch-Eintrag auch: „Heine aus Göttingen“.
Dabei hatte Heine sogar recht, er hatte sich tatsächlich den Faust-Stoff vorgenommen, allerdings, wie auch anders, als ein Tanzpoem, als einen Wirbel aus Liebeleien, an dessen Ende eine Mephistophela, verwandelt in eine Schlange, den tollen Faust erdrosselt und in die Hölle reißt.
Sollte Goethe übrigens tatsächlich einen Blick auf die Gedichte geworfen haben, die ihm der junge Lyriker geschickt hatte – er hatte deren Erhalt nie bestätigt, geschweige denn, sich bedankt – gäbe es eine Erklärung für seine Distanz: Sie waren zu gut.
Goethe witterte Größe, um sie zu verkennen. Er gab schon Kleists lodernder „Penthesilea“ eine Abfuhr und er riet Hölderlin, sich an kleineren Sujets zu probieren. Dafür lobte er zweitrangige Gemmenschneider über alle Maßen. Schiller, an dessen Theatererfolge Goethe bis auf den „Götz“ nie heranreichte, hatte Ahnung von dieser Schwäche. Er umwarb ihn wie eine Frau, wie „eine stolze Prüde, der man ein Kind machen muss…“
Vielleicht hat Goethe auch gespürt, dass ihm mit diesem Twen in dem weiten weißen Kragen die Wachablösung im Salon stand. Mit Heine kam die Goethezeit zu Ende, die Klassik, der polierte Marmor, das Dichterfürstentum.
Mit ihrer Geburt übrigens, in andern Worten: ihrem Erwähltsein, gaben sie beide an. Goethe hatte sich eine besonders beeindruckende Sternenkonstellation für seine Geburtsstunde erdacht in seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“, Heine verlegte seinen Geburtstag gleich um drei Jahre nach vorne in die Neujahrsnacht von 1800, um als Erster das Neue Jahrhundert begrüßt zu haben.
Beide treiben sich lieber herum, als zu studieren, und sie verlieben sich unglücklich und sie dichten darüber, ja, sie verlieben sich, um zu dichten.
Aber das ist dann so verschieden.
Der junge Stürmer und Dränger Goethe legt sich mit dem donnergrollenden Zeus an, Heine dagegen eher mit dem Onkel Salomon, dem Vater seiner Angebeteten, dem Banker, den er für seine Geldgeschäfte verachtete und gleichzeitig hartnäckig anschnorrte- er sollte für die prosaischen täglichen Kosten aufkommen.
Der übrigens erwiderte die Verachtung seines Neffen: „Hätt er was Anständiges gelernt, so braucht er nicht zu schreiben Bücher“ ließ er ihn in einem seiner orthographisch höchst mangelhaften Briefen wissen.
Ja, tatsächlich neu ist der Ton, den der junge Heine in seinem „Buch der Lieder“ anstimmt. Er stammt aus der Umgangssprache, ja, er jongliert sie, die Alltagsworte, silbern hinein in den Scheinwerferkegel seiner Kunst. Seit Heine singen wir anders, denken anders, spielen anders, lieben anders. Er hat der deutschen Sprache eine ungeheure Leichtigkeit geschenkt, Tanz und Sentimentalität und Spott, und wir staunen: Dass sie das kann!
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen andern erwählt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermählt
…..
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.
So anstrengungslos klingt das, und so lächelnd, und selbstverständlich hat er damit Spätere in Rage gebracht, Karl Kraus zum Beispiel, der meinte, Heine habe der deutschen Sprache das „Mieder so weit geöffnet, dass jeder Kommis an ihren Brüsten fingerte“, auch der strenge Adorno äußerte den Verdacht auf Gebrauchsware, aber wer kann sich dem Zauber eines Gedichtes entziehen, das mit diesen Worten beginnt?
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Alle Größen der Zeit, ob Clara Schumann oder Franz Liszt oder Felix Mendelssohn-Bartholdy, haben sich an Vertonungen der „Loreley“ versucht, Mark Twain hat das Gedicht auf deutsch auswendig gelernt, Adorno hat es interpretiert, und, laut Wikipedia, auch die Genderwissenschaftlerin Helga Arend, und zwar auf der 3.Fachtagung der Frauen-/Genderforschung in Rheinlandpfalz, woraufhin sich die Lore Ley , so wird kolportiert, mit ihrem Goldkamm den von ihrem Gesang verzauberten und verunglückten Schiffern hinterhergestürzt haben soll, hinab in die Rheinfluten.
Heine war der größte Feuilletonist deutscher Sprache, ach was, er hat es überhaupt erst erfunden, das Feuilleton, nämlich wie man die politische Lage und die Modeschau verknüpft, wie man im Klatsch die Philosophie entdeckt und diese umgekehrt mit Boshaftigkeiten würzt, so, wie er es in der „Romantischen Schule“ für sein französisches Publikum getan hat.
Auch das deutsche übrigens könnte davon profitieren, noch heute. „Er besass jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag“, schrieb sein Bewunderer Nietzsche.
Heine betrat die Bühne der Romantik spät, schon drang der Lärm des Industriezeitalters unter die Giebel und den Sternenhimmel, und das Stampfen und das Rotieren der Druckerpresse. Neue Zeiten, Lesezeiten, und damit Streit und Pamphlet und Niedertracht.
Harry Heine verlangte die höchsten Zeilenhonorare seiner Zeit, und er erhielt sie. Und wo wir schon von Genderwissenschaften gesprochen haben, wie will man sowas gendern?
„Sie hatten sich beide so herzlich lieb
Spitzbübin war sie, er war ein Dieb
Wenn er Schelmenstreiche machte
Sie warf sich aufs Bett und lachte“
Wie überhaupt ließen sich die Liebe und das Gelächter, diese Urelemente unseres Heinrich Heine, bändigen durch die derzeit ausschwärmenden Korrektoren und Zensoren, die unsere Sprache mit schweren Vorhangschlössern „gerecht“ machen wollen. Noch einmal, Leute, Heine lesen und kuriert sein von der Banausen-Idee, unseren Wörtern mit Doppelpunkten und Binnen-I‘s und x-en die Knochen zu brechen!
Nun hatte Heine durchaus Erfahrungen mit der Zensur. Eines seiner berühmtesten Blätter beginnt mit den Worten „Die deutschen Censoren“ und besteht in der Folge aus lauter Zensurbalken bis auf das im unteren Teil eingebrachte Wort „Dummköpfe“.
Diese Dummköpfe hatten zwar kein Talent und keine Gehör für Musik, aber sie hatten die Macht, wie heute, und daher musste Heinrich Heine, der sich über die Juli-Revolution 1830 begeisterte, ja sich selber einen „Revoluzionär“ nannte, ins Exil nach Paris, von wo er den Deutschen die Franzosen erklärte und den Franzosen die Deutschen.
Er verachtete die fanatischen Nationalisten, aber er war ein Patriot, er liebte sein Vaterland, und was klingt sehnsuchtsvoller als diese Zeilen seines „Wintermärchens“, als er heimlich die Grenze nach Deutschland überquert, um nach seiner Mutter zu schauen.
„Und als ich die deutsche Sprache vernahm
Da ward mir seltsam zu Mute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute“
Seine Übersiedlung nach Paris 1830 übrigens mag, wie Marcel Reich-Ranicki vermutete, nicht nur politisch motiviert gewesen sein – als Jude (und Revolutionär) war Heine auch gesellschaftlich ein Außenseiter.
Zunächst war er mit Ludwig Börne, einem anderen Polemiker des Vormärz, befreundet. Doch bald – wechselseitige Eitelkeiten mögen eine Rolle gespielt haben – entzweiten sie sich, ganz besonders über der Frage, ob die Kunst Partei zu ergreifen habe oder nicht. Eine Debatte, die später noch Benn und Becher austragen sollten.
Die Misere des entstehenden Proletariats entging ihm nicht, und in seiner ergreifendsten Parteinahme dichtete er unter dem Eindruck des schlesischen Weberaufstandes die Zeilen:
„Im düstern Auge keine Thräne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne;
Deutschland, wir weben dein Leichentuch.
Wir weben hinein den dreyfachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
Aber zugleich bestand Heine auf der Autonomie der Kunst. Ja, ein Jahr vor seinem Tode schrieb er von seinen Befürchtungen, dass mit einem Sieg des „Communismus“ auch all das Schöne verschwinden werde. Er ahnte die Barbarei im Namen der Gerechtigkeit.
„Sie hakken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffeln […] und ach! mein Buch der Lieder wird der Krautkrämer zu Tüten verwenden um Kaffe oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft“.
Ferdinand Lassalle, Gründer der SPD, besuchte ihn, den halbblinden Heine, in seiner „Matratzengruft“, wo er in seinen letzten Jahren die Schmerzen mit Opium betäuben musste – die Vermutungen reichen von einer Bleivergiftung über Typhus bis zur Syphilis. Er wurde umsorgt von seiner Ehefrau, der ungebildeten aber über alles geliebten, temperamentvollen Mathilde, die von seiner Bedeutung nicht die geringste Ahnung hatte („er macht ständig Gedichte…aber er ist nie damit zufrieden“), die aber durchaus clever über seinen Nachlass verhandelte.
Und der ist für uns zur Welterlösung neigenden Deutschen in diesen Tagen die allerwichtigste Medizin. Heine spottete:
„Franzosen und Russen gehört das Land.
Das Meer gehört den Briten.
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.“
Auf seinem letzten Museumsbesuch bricht er im Louvre vor der Statue der Venus von Milo zusammen – er sinkt ein letztes Mal vor weiblicher Schönheit zu Boden.
Um noch einmal Nietzsche zu zitieren: „Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süssen und leidenschaftlichen Musik.“
Heinrich Heine, der ewige deutsche Außenseiter, starb am 17.Februar 1856 und wurde drei Tage später auf dem Friedhof Montmartre beerdigt.
Kämpfen Sie mit!
Wie Sie sicher gesehen haben, kommen meine Beiträge ohne Werbung aus. Daher: wer mich in meinem Kampf gegen eine dumpfe Linke, die auf Binnen-Is und Gendersternchen besteht, aber Morddrohungen nicht scheut, unterstützen möchte, besonders für allfällige gerichtliche Auseinandersetzungen, kann es hier tun.