Philosophen sind nicht gerade dafür bekannt, besonders geschäftstüchtig zu sein. Sofern sie eine akademische Stellung einnehmen, mag dies auch nicht besonders problematisch sein. Aber viele Philosophen waren historisch gesehen keineswegs auch Philosophieprofessoren. Das gilt auch für denjenigen deutschen Philosophen, der wie wenige andere gerade den Philosophieprofessoren gegenüber in höchstem Maße kritisch-polemisch gegenüberstand: Arthur Schopenhauer.

Schopenhauer war ein Denker, dem es vor allem anderen um die Wahrheit zu tun war. Und zwar ohne Rücksicht auf die Einschränkungen, jene „hundert Absichten und tausend Rücksichten“, denen beamtete Philosophieprofessoren nolens volens unterworfen sind und denen sich diese grosso modo mehr oder weniger willig unterwerfen. Die konkreten Formen dieser Unterwerfung wandeln sich mit den Zeitläuften. Schopenhauers Kritik an der akademischen Philosophie richtete sich zunächst gegen ganz bestimmte Philosophieprofessoren, nämlich Fichte, Hegel und Schelling, die er zugleich als Konkurrenten um das knappe Gut der öffentlichen Aufmerksamkeit empfand. Schopenhauers Kritik an diesen Denkern, die ihm als üble Sophisten erschienen, war zwar nicht frei von Ressentiments und somit von Ungerechtigkeit, kann aber in ihrem Kern nicht als bloße persönliche Spinnerei oder Marotte abgetan werden.

Schopenhauers zentrale Kritik am beamteten Denken ist heute so gültig wie eh und je. (Ausnahmen bestätigen die Regel. Denn erfreulicherweise hat nun zumindest die verfahrene Corona-Politik und die aktivistische Cancel Culture auch einige Professoren (beiderlei Geschlechts) aus der Reserve gelockt.) Das sonst allzu weit verbreitete beamtete Denken steht mit der Philosophie im eigentlichen Sinne auf dem Kriegsfuß. Weil es ein Denken in festen Gleisen ist. Und weil es ein anderes, freieres Denken ablehnt, gerade weil es anders und nicht offiziell approbiert ist.

Für Schopenhauer aber ging es um die Verteidigung des freien Forschens, Denkens und Schreibens, das nie einfach so „gilt“ und fraglos gewährleistet ist. Die enger werdenden „Meinungs- und Gesinnungskorridore“ auch hierzulande zeigen dies nur zu deutlich. Deshalb reagierte Schopenhauer ausgesprochen empfindlich darauf, wenn logisch unhaltbare Wortklaubereien unter dem Titel der Philosophie wieder und wieder an den Mann gebracht wurden. Deshalb aber auch sein skeptischer Blick auf das, was aus der Philosophie an den Universitäten zu werden droht, wenn der Stachel fehlt, der von den außeruniversitären Denkern – man scheut sich, heute noch von Querdenkern zu reden – ausgeht. Und gäbe es nicht die Texte Schopenhauers selbst, die als Ur- und Vorbilder das philosophische Leben verkörpern, fiele es noch schwerer, sich seinen eigenen Kopf zu bewahren.

Schopenhauer, der die Ausbildung eines Kaufmanns durchlaufen hatte, konnte sich indes seine gegen die akademische Philosophie gerichtete Haltung leisten, weil er sich ökonomisch unabhängig zu machen und zu erhalten verstand. Dazu mußte er mit geschärfter Aufmerksamkeit seine finanziellen Interessen im Blick zu behalten – teils auch gegen die Angehörigen seiner eigenen Familie, Mutter Johanna und Schwester Adele. Denn zumal Schopenhauers Mutter, seinerzeit als Schriftstellerin sehr bekannt und gut mit Goethe befreundet, hatte in Arthurs Augen das Erbe des Vaters mehr schlecht als recht verwaltet.

Schopenhauer aber legte großen Wert auf den richtigen Umgang mit Geld. Daraus lassen sich auch philosophische Schlüsse ziehen, gehörte doch der Umgang mit Geld in hohem Maße zur Lebensweisheit, die dem Philosophen so wichtig war. Schopenhauer hatte das große Glück, von seinem Vater so viel zu erben, daß er davon auskömmlich leben konnte – und war seinem Vater . Doch da sein Mutter weit fahrlässiger mit dem Erbe umging, hatte er mehrfach zäh und verbissen um den Erhalt seines Vermögens zu kämpfen. Er mußte sich daher bei Mutter und Schwester unbeliebt machen – keine leichte, aber im wohlverstandenen Eigeninteresse ein höchst notwendige Sache, auch wenn dies Schopenhauers Sympathiewerte nicht unbedingt nach oben treibt.

Schopenhauer lehrte nur ganz am Anfang seiner Karriere als Denker überhaupt an einer Universität und fand bald keine Hörer mehr, da die Studenten lieber zu Hegel, dem damaligen Starphilosophen. in die Vorlesung rannten. Kolleggelder konnte Schopenhauer so keine erwirtschaften; die Philosophie selbst ernährte ihn nicht. Auch seine Bücher waren Zuschußgeschäfte ohne Ertrag.

Nicolás Gómez Dávila hat es einmal treffend auf den Punkt gebracht: „Entweder man gehört zur Nachkommenschaft Hegels oder man gehört zur Nachkommenschaft Schopenhauers. – Tertium non datur.“ Wenn es aber ein Drittes zwischen Hegel und Schopenhauer, verstanden als Verkörperungen  eines philosophischen Prinzips, nicht gibt, kommt es darauf an, sich zu entscheiden. Das Eine was not tut, ist dann das sorgfältige Studium dessen, worum es Hegel wie Schopenhauer im Letzten ging. Dabei kann es keineswegs darum gehen, sich in den Details von Lehren zu verlieren, die als solche historisch geworden sind. Wenn es einen grundlegenden Unterschied in den Denkbewegungen und im Denkstil, wie man das nennen könnte, gibt, dann betrifft dies zum einen zweifellos die Stellung gegenüber dem akademischen Betrieb, den Schopenhauer mit Hohn und Spott überzieht.

Schopenhauers Distanz zu seiner Zeit war so groß, daß er mit seiner eigenen Wirksamkeit ebenfalls nicht eigentlich in dieser Zeit rechnete. Schopenhauer war auch kein Aufklärungsoptimist:

„Ein denkender Kopf kann mit seinem Zeitalter zufrieden seyn, wenn solches ihm vergönnt in seinem Winkel zu denken, und sich nicht um ihn bekümmert; – und mit seinem Glück, wenn es einen Winkel schenkt, in dem er denken kann, ohne sich um die Andern bekümmern zu dürfen“.

Das ist das Ideal des Denkers in halkyonischen Zeiten, in denen man also von Anderen und vor allem vom Staat in Frieden gelassen wird. Unsere Zeiten sind leider nicht danach. Aber als Ideal bleibt Schopenhauers Philosophie der geistigen und ökonomischen Selbstbehauptung höchst aktuell.

Till Kinzel

Lese-Hinweise:

Manfred Wagner: Schopenhauer und das Geld. 2., erweiterte und überarbeitete Auflage. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2018. 144 S., EUR 24.80.

Arthur Schopenhauer: Cogitata. Philosophische Notizen aus dem Nachlass. Hg. von Ernst Ziegler. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2017. 488 Seiten, EUR 58.00.