„Es ist besser, weiterzulaufen, um die Sonne am Himmel zu halten, den Fluss in seinem Bett, den Baum an seiner Wurzel und den Berg auf der Erde.“

MARIO VARGAS LLOSA: “DER GESCHICHTENERZÄHLER”

 

Gut und Böse sind in Acre, dem westlichsten Staat im brasilianischen Amazonas, leicht auseinander zu halten: Böse sitzt im Gefängnis und Gut auf der Regierungsbank.

Damit es so bleibt, ist für das Böse im blauweiß getünchten Knast am Stadtrand von Rio Branco ein besonderer Trakt errichtet worden, ein Kasten im Kasten, und der wird, auf Anordnung des neuen, jungen Gouverneurs, ausschließlich von Bundespolizisten überwacht.

“Die Jungen da oben machen sich in die Hosen vor Angst”, spuckt Lokalpolizist José Maria verächtlich aus. Er schiebt vor der äußeren Stacheldrahtabsperrung Dienst und brütet darüber nach, warum keiner mehr Respekt vor ihm hat.

Sagen wir es so: Die Jungen da oben trauen niemandem, am allerwenigsten José Maria, denn drinnen sitzt sein ehemaliger Chef Hildebrando Pascoal. Hildebrando, das “Monster”, war nicht nur Ober-Polizist und Abgeordneter, sondern einer der mächtigsten Drogenbosse der Nation. Er kassierte überall ab hier im wilden Westen, wo die grenzüberschreitenden Amazonas-Zuflüsse als Verkehrswege von kolumbianischen und bolivianischen Kartellen genutzt werden.

Er kontrollierte die Politiker und Richter des Staates, und seine Todesschwadronen machten kurzen Prozess mit Verrätern – einem trennte er mit der Motorsäge persönlich Hände und Füße ab. Seit 18 Monaten sitzt er, denn da begannen die Guten, die überraschend an die Macht gekommen waren, in Acre aufzuräumen. Bereits in den ersten drei Prozessen wurde das Monster jeweils zu lebenslänglich verurteilt, acht weitere Prozesse stehen noch aus. Er soll mittlerweile wiedergeborener Christ sein – Ausweglosigkeit macht fromm.

“Wenn der rauskäme”, meint Taxifahrer Pernambuco, “wäre das wie die Wiederkehr des Killers aus ,Freitag, der 13.”, nur schlimmer.” Er lebte in Angst wie viele in Rio Branco, denn nahezu jede Nacht tauchten verstümmelte Leichen am Flussufer auf.

Von jeher war Acre ein gesetzloser Außenposten, ein Schlangennest aus Verrückten und Pistoleiros. Von den 500 000 Einwohnern leben 300 000 in der Hauptstadt – der Rest verstreut sich über Wälder und Reservate in einem Land, das so groß ist wie fünf Belgien.

Und der Sieg der Guten ist immer noch wacklig dort draußen: Derzeit sucht die Polizei im Westen des Staats nach dem Gemeinderat Auton Farias, der einem Indianer die Hoden abgeschnitten hatte, “um ihm eine Lehre zu erteilen”. Auch Farias Vater hofft, dass die Polizei den Sohn schnell findet, und zwar vor den Indianern, denn sonst “machen die mit ihm das Gleiche”.

Acre, ein wildes Land. Kaum irgendwo sonst wurde der Regenwald so rücksichtslos mit Flammen niedergekämpft wie hier; wegen der Rauchglocke blieb der Flughafen der Hauptstadt Rio Branco oft wochenlang außer Betrieb. Doch ausgerechnet Acre gab den Startschuss zur grünen Revolution, zur Gründung der weltweiten “Rettet den Regenwald”-Initiativen, denn in Acre war Chico Mendes zu Hause.

Der kleine, korpulente Gummizapfer hatte als Erster den Widerstand gegen die kokelnden Fazendeiros mobilisiert. Mendes wurde zum Symbol. Er, der ohne Telefon und Fax lebte, erst mit 24 lesen lernte und mit 40 seinen ersten Anzug trug, sprach in der Uno und traf die Herrscher der Welt. Er war der Schutzengel des Waldes, der Apostel grüner Bedürfnislosigkeit. Als der Fazendeiro Darly Alves da Silva den Aktivisten am 22. Dezember 1988 töten ließ, schuf er einen Märtyrer, dessen Konterfei auf T-Shirts, Plakaten und in Hollywood-Filmen um den Erdball ging – und nun war nichts mehr, wie es war.

Die grüne Protestwelle, die damals in die Welt hinausrollte, flutete vor zwei Jahren zurück, mit Urgewalt, und spülte das alte, korrupte Establishment in Acre fort und eine neue Generation an die Macht – und der damals 38-jährige neue Gouverneur Jorge Viana rief eine “Regierung des Waldes” aus.

Die Guten haben gewonnen in Acre, und sie sitzen in den Kolonialgebäuden rund um den Platz der Seringueiros, wo sie eine Art grüner Traumfabrik aufgebaut haben. Man erkennt die Guten daran, dass sie jung sind, Polohemden tragen und mit Handys herumfuchteln. Meistens sind sie aus São Paulo, beraten internationale Regenwald-Stiftungen, tauschen E-Mails aus und sind gegen den Ausbau von Straßen.

Sie produzieren meterdicke Stapel von Hochglanzbroschüren über “nachhaltige Bewirtschaftung” und T-Shirts mit Slogans zur Rettung der Wälder. Oft kommen sie gerade von Kongressen in Berlin oder Los Angeles zurück.

Das alte, hässliche Establishment schmatzt über den Fleischtellern der Churrascaria gegenüber dem Hotel Ignácio. Die neue Elite tafelt gedünstetes Gemüse bei “Alexander”, einem roséfarbenen postmodernen Italiener, der Palmenherzen-Soufflé anbietet und allenfalls mal die Hühnerbrust “Frango au Champagne”.

“Endlich haben wir die Mittel, unsere Projekte durchzusetzen”, sagt Debra, die ein aufregendes Mini zu ihrem Zebra-Handy trägt. Sie ist Assistentin des Umweltministers. Ihr Freund Luiz arbeitet als Abteilungschef im Wirtschaftsministerium.

Wirtschaft? Aber Acre hat doch gar keine Wirtschaft! Die Kautschuk-Industrie ist seit 100 Jahren tot, die paar Viehhirten, die geblieben sind, zahlen keine Steuern, und der Tourismus beschränkt sich auf Schulklassen, die das Geburtshaus von Chico Mendes in Xapuri besuchen. Rund 90 Prozent des Haushalts stammen aus Brasília – der Staat ist nahezu komplett durchalimentiert.

“Nun”, sagt Debra, “es gibt ein 250-Millionen-Dollar-Projekt der Weltbank – eine Riesenbestandsaufnahme des Amazonas.” Na bitte! Das Ziel ist ein übersichtlicher Wald, ist Aufklärung bis zur letzten Wurzel, und dazu braucht man Computer, Radios, Schiffe. “Das alles können wir jetzt endlich anschaffen.”

Das alte Acre hat seine Geschäfte mit Kokain gemacht. Das neue Acre macht seine, ungleich sympathischer, mit dem virtuellen Regenwald. Es ist Amazon Dotcom: eine charmante Hobbybude für junge grüne Techno-Hippies aus dem Süden des Landes.

Die Projekte? “Wir wollen eine Wirtschaft aufbauen, die vom Wald lebt, ohne ihn zu schädigen.” Grüne Möbel, grüne Gummireifen, grüne Öle aus Rinden, Nüssen. Keines der Modelle rechnet sich bisher, noch nicht mal in der Computersimulation, doch sie schaden auch nicht, und deshalb fließen die internationalen Gelder. So zaubert der grüne Hightech-Traum in Acre Dollar aus dem Nichts, ähnlich wie es dem Neuen Markt gelang – als vages Versprechen auf die Zukunft.

Natürlich öffnet so viel guter Wille die allerbreiteste Einflugschneise für Betrüger. Für Öko-Abzocker wie jene von Forever Green, die sich gefälschte Besitztitel über Regenwald-Areale von der Größe dreier Belgien verschafft hatten, um sie an ausländische Naturschutzorganisationen zu verkaufen – eine der Flächen gleich fünfmal. Das brasilianische Gesetzbuch hat eine überaus treffende Bezeichnung für diese Art des Betrugs: “falsificação ideológica”, wörtlich: ideologische Fälschung.

Doch die Hightech-Kids von Acre sind grundehrlich und liebenswert. Sie bauen sich kleine Häuschen in Flussnähe. Sie schwören auf indianische Medizin. Und an den Wochenenden tankt die grüne Avantgarde spirituelle Energie in den zahllosen Santo-Daime-Kirchen in Rio Branco, deren sanfter, fröhlicher Irrsinn jeden Klotz zu Nächstenliebe und mystischer Naturnähe zu überreden vermag.

Dabei hilft, ganz klar, der legendäre Rausch-Tee der Indios, ein präkolumbianisches Rezept aus Ayahuasca-Liane und Chacruna-Blättern. Er hat der Kirche, die hier in Rio Branco um die Jahrhundertwende gegründet wurde, einen unglaublichen Popularitätsschub quer durch Brasilien beschert, vor allem bei der jüngeren Kundschaft: High völlig ohne Tech.

Der Gottesdienst beginnt wie eine Methadon-Ausgabe – mit einer langen Schlange weiß gekleideter Gläubiger, die vor dem Teeausschank anstehen. Mit brennenden Kerzen, Litaneien singend, ziehen sie sodann ins Kirchenschiff ein und nehmen, links die Frauen, rechts die Männer, auf den Bänken Platz.

Die Gesänge erinnern von ferne an Gregorianik und die Wirkung des Tees an einen sehr angenehmen, sanften LSD-Trip. “Den indianischen Schamanen”, so der Ethnopharmakologe Christian Rätsch, “zeigt Ayahuasca den Weg zu den Herren der Tiere auf.” Offenbar gilt das nicht nur für Schamanen, sondern auch für Reporter: Tigerflecken und geometrische Schlangenmuster tauchen vor dem inneren Auge auf, ein Schmetterling, und immer wieder Debras Minirock, der absolut nichts verloren hat in diesem magisch-erhabenen Bilderreigen.

Es bleibt zwar schleierhaft, wie sich in dieser Flut angenehmster Rezeptoren-Stimulationen ein ernsthaftes Zwiegespräch mit Gott entfalten soll, doch wen der Rausch nach etwa vier Stunden weichgespült in die schwüle, sternenüberglänzte Tropennacht entlässt, der möchte jeden Baum einzeln umarmen und glaubt ganz sicher, dass “nachhaltige Bewirtschaftung” funktioniert.

DIE AMAZONE

Nur die böswilligsten Holzschädel können in den friedlichen Versammlungen der Santo-Daime-Jünger finstere Verschwörer am Werk sehen. Alle kommen hier her: Alte und Junge, Christen und Nichtchristen, Reiche und Arme, und selbst Marina Silva, die Senatorin, ist hier schon gesehen worden: Marina, die Jeanne d”Arc des Waldes.

Wo immer man ihren Namen nennt im Amazonas-Becken, klaren die Gesichter auf. Sie ist die imponierendste Politikerin Brasiliens, und ihre Lebensgeschichte liest sich wie die Legende einer Heiligen, einer Mystikerin aus dem Mittelalter.

Sie wächst im Wald auf, als Tochter eines Seringueiros, eines Gummizapfers, und der Wald ist für sie mehr als ein Fruchtkorb. “Hier spüre ich Gott”, sagt sie. Als Teenager will sie Nonne werden, doch dann treibt sie das Elend der Armen aus den Klostermauern, sie organisiert Streiks, geht während der Militärherrschaft in den Untergrund und gründet gemeinsam mit Chico Mendes die Gewerkschaft der Gummizapfer.

Sie erobert die politische Bühne im Sturm, eine zarte, schöne Frau mit mächtiger Stimme, eine, die Gedichte schreibt und träumt, aber im Kampf unerbittlich ist. Tatsächlich eine moderne Amazone, unermüdlich unterwegs zu den Siedlungen am Fluss, den Hütten im Wald. Ihr Schlachtruf: “Sag ihnen, dass ich komme.” Mit Rekord-Margen wird sie als einzige linke Kandidatin in den Gemeinderat gewählt, dann ins Landesparlament, und schließlich 1995 zur Senatorin. Sag ihnen, dass ich komme – die Amazone Marina Silva ist seither der Fleisch gewordene Alptraum für die korrupten politischen Männercliquen in Brasília und weit erfolgreicher als ihre Ahnen im Kampf gegen die Kolonisatoren des Waldes.

Längst agiert sie auf der internationalen Bühne, und zum zehnten Jahrestag des Mordes an Chico Mendes kann sie ausrufen: “Wir haben gewonnen, wir haben das Bewusstsein des Landes verändert und das der Welt.” Und sogar das in Acre – drei Viertel der Bevölkerung sind für eine Wirtschaftsentwicklung, ohne den Wald zu zerstören. “Vor zehn Jahren noch wollten sie Straßen.”

Ihr Engagement ist ein Kraftakt, den sie einer geradezu lächerlich schwachen Konstitution abtrotzt. Schon früh musste sie mehrmals gegen Hepatitis behandelt werden, später kommt eine heimtückische Metallvergiftung hinzu. Ihr Leben ist ein Wechsel aus politischem Glühen und Krankenhausaufenthalten, aus Protestmärschen und rigorosen Diäten. “Gott hat mir einen starken Geist gegeben”, sagt sie lächelnd, “aber einen schwachen Körper, damit ich meine Grenzen erkenne.” So ähnlich hätte das auch Petra Kelly sagen können.

Sie ist schmal und hat violette Schatten unter den Augen, die vermutlich von ihrer Vergiftung herrühren. Braune Seidenbluse, Holzperlenkette, offene schwarze Haare. Ihr Büro liegt im schäbigen Teil der Stadt, neben einer Kfz-Werkstatt. Nur ein kleiner Verschlag – die vorderen Räume hat sie ihrem Assistenten als Wahlkampfbüro zur Verfügung gestellt. Der ist jung und trägt ein Polohemd und will im Rathaus das Internet für den Kampf gegen die Armut nutzen.

Die neue Generation – lauter Sieger. Marina Silva stört der Rummel. “Lass uns raus hier”, sagt sie. “In den Garten.” Der Botanische Garten hinter dem Platz der Seringueiros ist auf ihr Betreiben hin angelegt worden, eine grüne Oase. “Marina”, ruft der Kokosmilchverkäufer am Tor, als sähe er eine verschollene Tochter wieder. “Ich komme zu selten hierher”, sagt sie.

Sie spricht über ihre vier Kinder und über ihren Glauben, und plötzlich erklärt sie, dass sie sich bald aus der Politik zurückziehen wird. “Ich bin nicht wichtig, nur ein Punkt in einem Netz.” Die Bewegung sei mittlerweile so stark, sie brauche sie nicht mehr. Und dann erzählt sie von Chico Mendes, von seinem Mut, seinem Humor, und es klingt ein wenig so, als ob sie ihn um Verzeihung bitten wolle dafür, dass sie müde geworden ist.

Plötzlich bleibt sie stehen, neben einem gefällten und zersägten Baum, der vor einer Bambusgruppe auf der Wiese liegt. “Wer hat das gemacht?”, ruft sie. Ihre Assistentin zuckt ratlos mit den Schultern. Der einzige gefällte Baum im Botanischen Garten ist ausgerechnet eine Hevea brasiliensis – ein Kautschukbaum.

Er liegt da wie zu Unterrichtszwecken, ein präpariertes Fossil, an dem die Lehrerin ihren Schulklassen erklärt, wie das einst gewesen ist mit dem Kautschuk.

Und das ist die hinterhältige Pointe im Kampf Marina Silvas und Chico Mendes”. Sie haben womöglich den Amazonas gerettet, aber den Kampf um ihre Gummibäume gründlich verloren.

CHICO MENDES, DAS KONDOM

Acre brennt. Rauchschwaden liegen über der Straßenpiste nach Xapuri, und die Felder sehen aus, als hätte es schwarz geschneit. Aus den kokelnden Baumstrünken und geborstenen Stämmen schießen noch kleine Flammen, und in einiger Entfernung liegt der Wald wie eine grüne Festung. Nichts, was Clovis Brasileiro, den 54-jährigen Professor, sonderlich nervös machen würde. “Das ist traditionelle Flurbereinigung”, sagt er.

Was hier brennt, ist nicht Primärwald, sondern überwuchertes Weideland. Die Mehrzahl der Brände, die die Weltöffentlichkeit alarmieren, stammt von solchen Rodungen, und die Aufregung darüber ist falscher Naturschützer-Alarm. “Wichtig ist, dass richtig gebrannt wird.”

Für die Umweltorganisation Amigos da Terra reist Brasileiro mit seinen Beratern durch Acre und spricht mit den Kleinbauern und organisiert Meldesysteme, denn gefährlich sind die Feuer nur, wenn sie außer Kontrolle geraten. “Ideal wäre natürlich, wenn sie ihr Land anders roden”, sagt er, “aber was ist schon ideal auf der Welt?” Er hat gelernt, mit Kompromissen zu leben, und immerhin konnten bereits jetzt die Brände um 25 Prozent reduziert werden.

Das Verblüffende an Xapuri, dem Wallfahrtsort der sanften, grünen Aktivisten: es ist Dodge City, das Gestalt gewordene falsche Bewusstsein. Eine Ansammlung von Holzhütten in Cowboy-Land, 5000 Seelen an einem schlammigen Ausläufer des Rio Acre, die davon träumen, reich zu werden – und Vieh ist nach Drogen immer noch das beste Geschäft, so viel rentabler als Gummi.

Am Abend findet auf dem Feld hinter der Schule ein Rodeo statt, mit Westernmusik und Tacacá und Popcorn, und die Helden hier sind keine grünen Waldschützer, sondern Kerle wie Argel Ferreira de Souza in seiner Fransenhose, dem das linke Ohr fehlt, weil eine Kugel im letzten Jahr seine Stirn nur knapp verfehlt hat. Unter trüber Kirmesbeleuchtung besteigt er den Muskelberg eines weißen Zebu-Stiers, das Gatter hebt sich, und dann rast eine Tonne Fleisch in die Arena, die Mädchen kreischen verzückt, und ihre kleinen Brüder reißen bewundernd die Augen auf.

Argel hält sich 15 Sekunden, und dann wird er abgeworfen wie eine Feder. Für seinen Einsatz, für den er buchstäblich Kopf und Kragen riskiert, kassiert er 50 Mark, und wenn er gewinnt, noch mal 150. Er klopft sich den Staub aus der Hose, er keucht, und dann sagt er: “Gummizapfer zu werden kam für mich nie in Frage – die leiden zu sehr.” Was ist schon ein Knochenbruch beim Rodeo gegen ein Leben im Wald!

Die Seringueiros leiden, und das ist es, was sie als Heilsgestalten im Westen populär gemacht hat. Es ist ihre unendliche Plackerei aus nächtlichem Baumanstich und Sammeln im Morgengrauen und stundenlangem Räuchern der Gummiballen, ihre harte, entbehrungsreiche Waldmenschenexistenz, weit entfernt von allem Zivilisationskomfort. Es war Chico Mendes, der dieses Leiden verkörperte, und seit den tödlichen Schüssen ist er der Martin Luther King des Waldes.

Die Schüsse wurden im Hinterhof eines kleinen, bunten Holzhäuschens am Stadtrand abgefeuert, das heute ein Museum ist.

“Hier saß er und spielte Domino”, steht auf dem Schild, das im Wohnzimmer von der Decke hängt. Und über der Tür zum Hof: “Ich gehe jetzt duschen.” Und dann das andere Schild: “Ilsa, sie haben mich erwischt.” Ein Schrotschuss in die Brust – auch der Pyjama mit den blutigen Einschusslöchern ist in einer Vitrine ausgestellt.

Ein rein wirtschaftlicher Interessenkonflikt: Mendes und seine Seringueiros lebten vom Kautschuk, das sie aus den Bäumen gewannen; der Fazendeiro Darly dagegen brauchte Viehweiden. Er wollte den Wald niederbrennen, und Chico Mendes stand mit seiner Protesttruppe im Weg. “Empate”, rief Chico, “bis hier hin und nicht weiter.”

Selbst nach den Schüssen auf Mendes und den internationalen Protesten hatte der Killer Freunde in Acre – sie ließen ihn aus dem Knast in Rio Branco entwischen. Er blieb lange Jahre untergetaucht, lebte mit vier Frauen und ging sogar, wie er nach seiner Wiederfestnahme gestand, unter angenommenem Namen wählen. Er gab seine Stimme Präsident Fernando Henrique Cardoso, denn “der versteht etwas von Wirtschaft”.

Dionisio Barbosa Daquino, ein vierschrötiger alter Caboclo, den sie “Dau” nennen, hat mit Chico gekämpft. “Chico war einfach, er konnte gut singen, er hat viel gelacht – und er war ein lausiger Dominospieler.” Letztendlich hat er wohl gewonnen, meint Dau vorsichtig. Politisch gesehen. “Und das andere muss sich zeigen.”

In Wahrheit sind die Seringueiros von Xapuri nur noch Ausstellungsstücke. Sicher, sie gehören zum Gründungsmythos der neuen Regierung, und die tut für sie alles. Sie hat den Zapfern eine gewaltige Reserva zur Nutzung überlassen, mit fast einer Million Hektar das größte Naturgehege des Bundesstaats.

Außerdem hat sie der Gummi-Kooperative eine Verarbeitungshalle auf das freie Feld hinter dem Sportplatz gestellt und den Latex-Preis mit 400 Prozent subventioniert. Warum eigentlich nicht, die europäischen Regierungen machen das Gleiche mit ihren Bauern, mit Weizen oder Wein oder Butter. Doch gegen den Weltmarkt, das weiß Dau, wird der Seringueiro auf Dauer nicht ankommen, und trotz aller Subventionen verdient ein Zapfer in einer Woche gerade mal 60 Mark.

Daus Hoffnung ist ein Engagement der italienischen Firma Pirelli, die Arbeit bringen wird. Sie will aus hiesigem Kautschuk den Autoreifen “Xapuri” herstellen. Weitere Produkte sind denkbar, Schutzhandschuhe etwa oder das Kondom “Chico Mendes” – für den guten Zweck zahlt der grüne Verbraucher im Westen sicher einen Aufpreis.

Doch die Wahrheit ist: Auch die Seringueiros haben längst entdeckt, dass sich mit Vieh mehr Geld verdienen lässt. Auf dem Weg nach Chapoeira, ins damals umkämpfte Waldstück, treiben sie ihre weißen Zebus, und Chico Mendes” legendäre Siedlung ist heute nur noch eine Art Museumsdorf auf einer Waldlichtung, mit Schule, Kirche und Gästehäusern für internationalen Schulungsbesuch. Mendes” Tante Cecilia brüht frischen Kaffee und erzählt vom Präsidenten, der letztes Jahr hier eine Rede hielt, und Chicos Neffe führt die Besucher in den Wald und lässt sie mit dem Stichmesser an den Fischgräten-Narben der Kautschukbäume herumfummeln. Siehe da, die Milch fließt – aber er macht sich noch nicht einmal mehr die Mühe, eine Konservenbüchse darunter zu stellen.

Die Waldmenschen von Chapoeira treffen sich in ihrer kleinen Holzkirche, um der Predigt zu lauschen und vor dem Segen Gemeindeangelegenheiten zu besprechen. Freiwillige für den Kindergartendienst werden gesucht. Keiner meldet sich. Deutlich verärgert stimmt die Gemeindeschwester den Schlusschoral an, und hinten steht Karen Kainer und schmettert mit.

Vor acht Jahren hat die amerikanische Biologin bereits einmal hier im Seringal gelebt. Damals hatte sie, für das “Tropical Conservation and Development”-Programm der Universität von Florida, eine Plantage von Paranuss-Bäumen angelegt. Jetzt zieht sie Bilanz. “Die Setzlinge sind eingegangen, weil sich niemand drum gekümmert hat.” Aber sie ist keine Spur wütend. Sie lächelt, wie über Sorgenkinder, die sie liebt. “Es war ein Versuch, mehr nicht.” Und ist es nicht ohnehin absurd, den Wald flachzulegen, um ihn mit Nutzbäumen neu aufzuforsten. Was bleibt? In Zukunft wird man die Seringueiros für nichts anderes bezahlen als dafür, dass sie im Wald bleiben und ihn in Ruhe lassen. Als Parkwächter im Amazonas, hoch subventioniert wie die Alpbauern in der Schweiz – eine ökologische Trachtengruppe.

DAS GELOBTE LAND

Der aufregendste Amazonas ist der im Kopf. Von jeher war er die unermessliche Leinwand, auf der Generationen ihre Träume hinterlassen haben. Heldenträume. Entdeckerträume. Träume von Reichtum und Ruhm. Und der schönste von allen: der Traum vom Garten Eden, in dem edle Wilde im Einklang mit der Natur leben, ohne Besitz, ohne Neid. Es gibt keine glühendere Liebeserklärung an den Dschungel als die Essays Montaignes, der nie einen Fuß in diese Breiten gesetzt hat, aber über die Ureinwohner der gerade entdeckten neuen Welt “verlässliche Zeugnisse” hatte: Sie tanzen den ganzen Tag. Sie sind von völliger Reinheit. Sie haben nichts von unserer Verderbtheit.

Natürlich tanzte da nichts außer Montaignes Phantasie. Der Essayist und begnadete Spötter hat die Indios in erster Linie deshalb geliebt, um seine dekadenten Zeitgenossen überzeugender verachten zu können, und der Trick funktioniert bis heute: Grüne Schwärmerei ist immer Gesellschaftskritik – die Welt vor dem zivilisatorischen Sündenfall wird attraktiv in Stellung gebracht gegen die Welt danach.

Allerdings hat der Dualismus das Problem, dass er nicht stimmt. Er ist ungerecht, sowohl gegen die Zivilisation wie gegen den Dschungel. Als der Rockstar Sting 1989 mit dem tellerlippigen Kayapó-Häuptling Raoni auf Welttournee ging, griff das Spenden-Publikum gerührt zu den Schecks, denn es ging darum, den Regenwald zu retten und damit den Indios einen Teil jenes Paradieses zurückzugeben, aus dem sie einst vertrieben worden waren. Zwei Jahre später wurde Raoni dabei ertappt, wie er illegal geschlagene Edelhölzer im Wert von 150 Millionen Dollar aus genau diesem Paradies verschob, und das Publikum wendete sich enttäuscht ab. Ein Argument gegen die Reservate? Ganz sicher nicht. Aber eines gegen die grüne Verkitschung.

Insofern war die katholische Kirche immer schon aufgeklärter als die Aufklärer, da sie predigte, dass es das Paradies auf Erden nicht geben kann – selbst das Gelobte Land, das als biblischer Trostpreis auf Erden versprochen wurde, erweist sich nun ja als düstere, blutige Hypothek. Der Mensch ist sündig, egal wo er lebt.

Von allen Entdeckern im brasilianischen Indianergebiet gehörten die Missionare von jeher zu den furchtlosesten, und ihre Bekehrungsglut hielt sogar die Gier der Dschungelplünderer in Schach – lange Jahre war die katholische Kirche Schutzmacht der Indios gegen die kolonialen Sklavenjäger. Zu einem Preis allerdings, den viele heute als beschämende Hypothek empfinden – sie zertrümmerte die Stammestraditionen, löste die Malocas auf, tauschte Macheten gegen Seelenheil.

Nun sind es junge Padres, die diese Fehler wieder gutmachen wollen. Sie beleben ihre Gottesdienste mit indigenen Ritualen und steigen umso mutiger auf die Barrikaden, je mehr die Kirchenschiffe sich leeren – ganz besonders in São Gabriel, der Hauptstadt im Indianerland. Mit einem letzten dramatischen Bibel-

zitat hatte sich Padre Nilton am Nachmittag an seine Hörer im Dschungel gewandt, aus seiner wunderschönen Basilika, die wie eine koloniale Festung hoch über den Stromschnellen des Rio Negro thront.

“Gott aber vernahm die Stimme seines Volkes …”, donnerte er ins Mikrofon seines illegalen Senders hinter der Sakristei, und dann drehte ihm die Polizei den Saft ab.

Eine anonyme Anzeige, schon wieder, aber Padre Nilton kann sich denken, wer dahinter steckt. Vielleicht hätte er nicht sagen sollen, dass der gottlose Kandidat Cardoso seine Rechnungen nicht bezahlt, und das drei Tage vor der Bürgermeisterwahl?

Egal. “Wir sind bald wieder auf Sendung”, versichert der Padre ein paar Stunden später, angriffslustig und bestens gelaunt zwischen den Karussells auf dem Kirchenvorplatz, wo die Indios der Gemeinde das Fest des Namenspatrons feiern. Padre João, der Dessano-Indio, nickt. Gott wird sein Volk nicht vergessen.

Ein Kreuz mit dem Motto “Komm, sieh und verkünde” strahlt unter farbigem Glühbirnenkranz in die Nacht, die nach einem Wolkenbruch dampft und schwanger ist mit den ausgewaschenen Pflanzendüften des Waldes. Bruder Stefano, zu Besuch aus Bahia, prahlt an einer Stockfisch-Bude damit, wie er einmal fast gelyncht worden wäre. “Die Stimme des Volkes ist manchmal eben unbequem für die Herrschenden.”

Die Herrschenden? Diese paar Hängemattenverkäufer in einem Städtchen von 5000 Einwohnern? Der Wahlkampf, den sie führen, ist ein hingerissen zelebriertes Kriegsspiel, in dem ein paar radikale Priester mitmischen und ein Krämer das finstere Großkapital darstellt. Ein politischer Boi Bumbá mit Feuerwerken und Lautsprecherkolonnen und lauter weißen Kandidaten, weil die Indianersippen untereinander so zerstritten sind, dass kein Maku je einen Tukano zum Bürgermeister wählen würde.

Nun werden sich die Baré und Maku und Dessano in ihren Hütten draußen in der Dschungelnacht fragen, was da wieder los ist in São Gabriel. Die “Stimme des Volkes” ist plötzlich verstummt, und man kann nur hoffen, dass die Tukano am oberen Flusslauf noch mitbekommen haben, dass deutsche Reporter zu ihnen unterwegs sind.

Das Volksradio ist nämlich nicht nur die institutionalisierte Brandstifterei der Befreiungstheologen von São Gabriel, sondern auch die einzige Nachrichtenbrücke zu den Indiosiedlungen der Schwarzwasserflüsse, in diesem endlosen Dschungelgebiet vom wolkenverhangenen Pico Neblina bis hin zur Grenze nach Kolumbien, das man “Hundekopf” nennt, weil es auf der Karte genauso aussieht.

Dabei geht es nicht nur um die Sicherheit der Reporter, die unter dem Schutz der Indianerbehörde Funai stehen, sondern auch um die der Indianer. Es ist noch nicht lange her, dass dieser verrückte Deutsche Rüdiger Nehberg ohne Funai-Erlaubnis die Gegend unsicher gemacht und darauf bestanden hat, Ameisen zu essen und Indianer zu retten.

Retten, ausgerechnet hier? Das Land, das den Indianern einst geraubt wurde, gehört seit drei Jahren wieder ihnen. In den achtziger Jahren wurde das 5. Dschungelbataillon der Indiosoldaten erheblich ausgebaut. In den neunziger Jahren warf man die letzten weißen Goldschürfer hinaus und erklärte das Gebiet, so groß wie drei Belgien, zum Indianergebiet. Es ist das größte im Amazonas.

Die Hauptstadt: vier asphaltierte Straßen mit Kirche und Missionskolleg, Armeeläden und Indianerbüros, eine Flusspromenade mit Buden und Orchideen, die aus rostigen Butterfässern treiben. Hier wirft dir der Taxifahrer die Schlüssel zu und ruft “fahr selber”, weil er lieber einen trinken geht. Wo soll man auch hin? São Gabriel ist nur über die Luft oder das Wasser zu erreichen.

Es ist Indianerland, und für Sergeant Severino, der aus dem Süden hierher versetzt worden ist, ein lebensfeindlicher Planet. Ihn hauen die Orientierungsmärsche im Dschungel, ausgerüstet mit nichts als Kompass und Messer, regelmäßig um. Und die Indios in seinem Trupp? “Die legen zu – für die ist das Erholung vom Barackendienst.”

In seiner Freizeit schneidet er seinen Freunden die Haare, auf einem echten Barbierstuhl, den er aus Manaus mitgebracht hat. Danach sitzt er mit ihnen zusammen vor seiner selbst gezimmerten Hütte auf der Bank, trinkt Matetee, starrt in den Dschungel und träumt vom Meer. Über dem Rambo-Plakat tickt eine Uhr, auf deren Sekundenzeiger ein kleiner Schmetterling geklebt ist. Immer die gleichen Runden unter Glas. Fünf Jahre hat der Sergeant noch abzusitzen. “Ich bin hier nur Gast”, sagt er.

Und sie sind wieder die Hausherren des Waldes, die Tukano und Maku, die sich schon in den Haaren lagen, als Pizarros Leute den Rio Negro heruntertrieben. Und die Arawak, die immer tiefer in den Dschungel getrieben wurden von weißen Eindringlingen, deren Expeditionscorps sie niedermetzelten und deren Priester ihnen das ewige Leben versprachen. “Zuerst fallen die Soldaten auf die Knie”, schrieb Amazonas-Forscher Alexander von Humboldt, “dann fallen sie über die Indianer her.” Hier – und nicht bei dämlichen Bäumen – ist der Begriff “Holocaust” angebracht.

Doch das ist blutige Vorgeschichte. Nun ist São Gabriel ein grüner Triumph: geschützter Wald, geschützte Indianer. Und die Population wächst. Einst sollen fünf Millionen Indios in Brasilien gelebt haben. Vor zehn Jahren dagegen hätten die verbliebenen Reste in Rios Maracanã-Stadion Platz gehabt. Doch nun nimmt ihre Zahl wieder zu, zum ersten Mal seit 500 Jahren, was von den Regierungsbeauftragten in Brasília so entzückt quittiert wird wie ein erfolgreiches Wiederaufforstungsprogramm.

Nun kann Padre João den 30 Frauen und zwei Hunden in der Basilika in der Abendandacht Jeremias 31,2 zitieren: “Das Volk, so übrig geblieben ist vom Schwert, hat Gnade gefunden in der Wüste.” Gott hat sein Volk schließlich heimgeführt.

Doch nun hat ein anderer Exodus begonnen – der ins 21. Jahrhundert. Nun liegt das indianische Offizierskasino mit seiner Parabolantenne über dem Strom wie der steingewordene Triumph auch über die eigene Mythologie: Im Innern des Hügels, so die Sage, wohnt eine Riesenschlange, die ihre Opfer unter den spielenden Kindern am Strand sucht. Früher hat Cabo José Maria Nascimento, der hier die Baracke schrubbt, einen großen Bogen geschlagen um diesen Hügel – heute ist die Schlange nur eine verblassende Legende aus seiner Jugendzeit.

Und im Colégio São Bosco organisiert die junge Raquel Medo vom Stamm der Dessano den Unterricht für die 400 Indiosiedlungen im Dschungel, der auf die Jagdzeiten abgestimmt ist. “Im März und April, wenn die Flüsse fischreich sind, fällt er aus.” Trotz dieser Handicaps absolvieren 70 Prozent aller Indiokinder die Grundschule. São Gabriel ist eine Erfolgsstory, die selbst Präsident Cardoso in seinen Reden erwähnt.

In der Discothek “Luizinho” am Ufer hämmert der gleiche Techno-Pop, der auch in Düsseldorf zu hören ist, und die Kriegsbemalung der Indio-Teenager besteht aus Lippenstift und Mascara. Jetzt hat sogar ein Internet-Café aufgemacht: “Porango”. Das ist Tukano und heißt “schön”.

Da können die radikalen Padres noch so viel indigenen Budenzauber in ihrer Kirche entfalten – das gelobte Land, von dem in ihren grünbewegten Predigten so viel die Rede ist, liegt nicht im antikapitalistischen Wald, sondern in der merkantilen Stadt. Tradition? Warum, fragen sich die Teenies, haben sie unseren Großeltern genau diese Traditionen ausgetrieben, die sie nun beschwören? Nun, wo die neue Party beginnt, Spaß zu machen, sollen wir zurück in die Maloca? Nie im Leben!

Die Trauer über die verlorene Waldunschuld hält sich bei den Indio-Teenagern durchaus in Grenzen. Sie ist eher bei Reiner und Michaela zu finden, zwei Medizinstudenten aus Würzburg, die, idealistisch in ihren Batikhemden dampfend, bei einer der Gesundheitsstationen aushelfen. Sie schwärmen von indianischer Naturmedizin. Eines allerdings hat Michaela verstört: “Die Indios sind auch irgendwie total patriarchalisch.” Das kriegt sie hier mit: “Die Typen schwingen das große Wort, und die Frauen hocken in der Ecke.” Pfui.

Das ist wohl das Schicksal der Indios: Sie können es niemandem recht machen, weder ihren Feinden noch ihren Helfern. Was würde Michaela erst sagen, wenn sie erführe, dass die noch naturnäheren Aguaruna vom oberen Marañón das Hymen ihrer Töchter herausreißen und es essen, wenn sie zum ersten Mal bluten?

Nein , die Indios im Hundekopf-Gebiet sind auf dem Weg in die Moderne. Und damit ist es Zeit, die Verluste zu mustern.

DER INDIANERFREUND

Anthropologen leben ein großes Dilemma: Sie wollen den Wilden, den unberührten Stamm, um ihm die Geheimnisse vom Beginn der menschlichen Entwicklung abzulauschen – so weit zurück, dass manche von ihnen dort das Paradies vermuten. Doch bereits der erste Kontakt kontaminiert und verfälscht die Ergebnisse, ist, sozusagen, der Sündenfall. “Am besten, man lässt sie ganz in Ruhe”, meinte der Indianerfreund und Funai-Funktionär Sydney Possuelo.

Allerdings möchte jeder Anthropologe, der auf sich hält, diese heroische Selbstenthaltung nicht als Versager verkünden, sondern von der Höhe eines Entdecker-Triumphes herab – genau so, wie es Possuelo tat, als er im letzten Jahr Kontakt zu einer bisher völlig unbekannten Sippe der Corubo hergestellt hatte. “Mir klopfte das Herz bis in den Hals”, sagte der abgebrühte Waldläufer, als die Indiogruppe aus dem Wald trat. Der erste Blick! Welches Bild nehmen sie von uns auf? Und die Landschaft hinter diesen dunklen Augen, wie sieht sie aus?

Die Teilnehmer dieser Exkursion erzählen eine weitere, durchaus komische Geschichte: Wie sich auf jeder Corubo-Brustwarze drei Reporter-Kameras festsaugten, wie die sich gegenseitig anbrüllten, nicht “durchs Bild zu latschen”, um die grüne Wand jungfräulich und das Pastoral stimmig zu halten.

Der Treff diente einem noblen Zweck. Mit ihm sollte auf die Gefährdung des Stammes durch vorrückende Goldgräber aufmerksam gemacht werden. Nun gab es vorrückende Reporter und Anthropologen – man kann die Unschuld nicht genießen, ohne sie zu zerstören. Es gibt sie nur im Kopf. Kein Anthropologe ist ohne diese Verlust-Trauer, ohne diese Melancholie, und sie hat sich auch tief in Renatos Gesicht geschrieben.

Renato Athias ist Sohn eines marokkanischen Juden und einer Portugiesin aus Santarém, und er kam nicht aus Liebe zu den Indios. Er wusste nicht mehr von ihnen, als dass es sie gab. Er musste untertauchen, denn als radikaler Studentenaktivist in den siebziger Jahren stand er auf der schwarzen Liste der Diktatur. Da hörte er, dass die Salesianer im Dschungel Portugiesischlehrer für ihre indianischen Gemeinden suchten. Ein ideales Versteck.

Er blieb. Er lebte lange Jahre ausgerechnet bei einem Hupdé-Clan der zwergwüchsigen Maku-Indianer, die in der Dschungelhackordnung die Allerletzten sind: nomadisierende Jäger draußen im Wald, ohne nennenswerten Ackerbau und besonders ohne Maniok. Die Tukano dagegen, Flussbewohner, haben Maniok.

Sie beschäftigen die Maku allenfalls als Gastarbeiter, zum Hüttenbau etwa, wenn sie ihr Feste feiern, und kein Tukano käme je auf die Idee, sich eine Maku-Frau zu nehmen. Sie sind, ganz naturwüchsig, Ausländerhasser. “Für die sind die Maku keine Menschen”, sagt Renato. Damals entschied er sich, Maku zu sein und unter ihnen zu leben, ausgestoßen wie sie.

Mittlerweile ist Renato Professor in Recife, verheiratet, hat vier Kinder. Doch immer wieder kehrt er zu seinem Stamm zurück. In São Gabriel organisiert er den Gesundheitsdienst “Saúde Sem Límites” – Gesundheit ohne Grenzen, der mit EU-Geldern finanziert ist. Tuberkulose und alle möglichen Parasitenkrankheiten breiten sich aus, seit die Indios in der Nähe der Kirchen und Missionen im Dschungel sesshaft wurden. Früher zogen sie alle 20 Jahre weiter, in kleinen Gruppen, zu neuen Ufern. Nun bleiben sie in immer größeren Dörfern hängen, und die Flussläufe, an denen sie leben, sind zunehmend verseucht.

Dabei ist Renato kein dogmatischer Naturschützer. Mit einer Gruppe von Dessano hat er eine Maloca gebaut, in der sie versuchen, mit indianischem Kunsthandwerk ein paar Centavos zu verdienen. Immer mal wieder schließen die Behörden solche Boutiquen, weil Federn von geschützten Vögeln verarbeitet werden. Roberto schaut sich kurz um. “Soweit ich erkennen kann, sind wir im Moment ökologisch korrekt”, sagt er grinsend, “aber das ist Zufall.”

Er steht auf der Seite der Indianer, doch das hat selbst in Indianerland überraschende Risiken. Kürzlich geriet er zwischen die Fronten zweier Clans, die sich mit bösem Zauber bekämpften. Der eine Clan verlor einen Mann, der andere zwei kleine Kinder, und dort war Renato gerade zu Besuch. “Plötzlich hatte ich Schmerzen in der Nierengegend”, sagt er. “Ich fiel in Ohnmacht.” Der Medizinmann zog ihm drei Steine aus der Bauchdecke, durch magisches Handauflegen, ohne die Haut zu verletzen. “Der Pagé”, sagt Renato, tief überzeugt, “hat mich gerettet.”

Renatos Vater ist ein berühmter Doktor in Rio de Janeiro, er selbst ein respektierter Wissenschaftler – doch er hat den Mythenzauber des Amazonas in sich aufgenommen wie eine zweite Seele. In diesem Dämmerlicht, dieser Zwischenzone hat er sein Leben eingerichtet. Er hilft den Indios mit den Segnungen der Moderne, mit Medizin und Hygiene, und gleichzeitig erliegt er ihrer Magie und sammelt trauernd die Fragmente einer zerbrechenden Welt.

Er zeigt den Maku, wie ihre Malocas einst aussahen, anhand von Fotos, die der deutsche Forscher Theodor Koch-Grünberg 1904 aufgenommen hat. Und einer von ihnen bat Renato, ihm die “Stimme seines Großvaters zu geben” – der Anthropologe hatte sie in den frühen achtziger Jahren aufgezeichnet. “Es ist Zeit, zurückzugeben”, sagt er. Und aufzuheben, was war.

An diesem Nachmittag besucht er seinen Freund Feliciano Lana, einen Tukano-Indianer. Er hat Papier und Farben für ihn, denn Feliciano illustriert für ein Buch die Mythen, die ihm der Clanälteste einst als Kind erzählt hat. Feliciano hat seine Hütte auf eine Anhöhe gleich neben dem Schlangenhügel gebaut. Von hier aus ist der Blick frei, den Fluss hinauf, bis er sich weit hinten im grünblauen Dunst des Dschungels verliert. Von da ist er vor fünf Jahren mit seinem Kanu herabgetrieben, um sich in São Gabriel niederzulassen. Warum? “Es war wegen der Kinder”, sagt er. “Sie sollen hier zur Schule gehen.”

Die Hütte enthält kaum mehr als ein Bettgestell, drei Obstkisten und einige hochgeknotete Hängematten. Ein Stapel mit Skizzen auf dem gestampften Boden – das Gedächtnis eines Volks, das seine Erinnerung verliert. Er ist katholisch, sagt Feliciano, aber seine Schöpfungsgeschichte ist eine andere als die der Priester, denn hier sind die Tukano das auserwählte Volk.

Felicianos Blätter haben die Deutlichkeit von Kinderzeichnungen. Sie leuchten im Dämmerlicht der Hütte und treiben im Strom seiner Erzählung wie Beschwörungen einer großen Vergangenheit: Am Anfang war die Frau, und aus dem Rauch einer Zigarre schuf sie den Gott Wank. Der wiederum erschuf die Menschenwesen, die im Bauch der himmlischen Anaconda vom Milchsee aus den Amazonas stromaufwärts schwammen, vorbei am heutigen Manaus, den Rio Negro hinauf bis zu den Stromschnellen des Uaupés bei Ipanoré.

Eine Entwicklungsreise, denn die Schlange setzt an den Ufern des Flusses immer wieder Gruppen von Passagieren aus, und jedes Langhaus, das auf dieser Reise passiert wird, ist ein Schritt hinauf zu einer höheren Seinsstufe. Die Weißen werden ziemlich früh bereits im Osten abgesetzt. Dann die Maku und die Arawak. Die letzten Wesen, die die Schlange verlassen, sind die Tukano – die Krone der Schöpfung, die Herrenrasse.

Einige von Felicianos Geschichten erinnern an den christlichen Kosmos, etwa wenn die ersten Menschen von einem Samen essen, der vom Himmel fällt, und wenn später der große Straf-Regen über sie hereinbricht, den sie in einem ausgehöhlten Baum überdauern. Andere sind von delirierender, fremder Erotik:

“Die ersten Frauen hatten keine Vagina”, sagt Feliciano. Auf dem Blatt, an dem er gerade arbeitet, sitzt eine Frau mit gespreizten Schenkeln über einem Blutstrom, denn ihr ist gerade erst das Geschlecht eingeschnitten worden. Später wird sich das Blut in einen roten Nebel verwandeln und die ersten Rausch-Visionen des heiligen Getränks Capí hervorbringen, das von den Weißen, noch viel später, Santo Daime genannt wird.

Keine Mythologie, die die feministische Zensur überstehen würde: Da ist Inamu, das göttliche, bemalte Kind, aus dessen Poren Musik dringt. Es steigt vom Himmel herab und bringt den Menschen die Zauberflöte, und die ist bis heute Männersache – wenn sie auf Zeremonien geblasen wird, darf keine Frau sie erblicken, bei Strafe des Todes.

Die jüdisch-christliche Genesis hält sich nicht lange mit der Erschaffung der Natur auf. Die ist ein eher lässig skizzierter Masterplan – “die Erde bringe hervor lebendiges Getier” -, um sich sehr ausgiebig mit dem Sündenfall zu beschäftigen. Die Tukano dagegen halten es umgekehrt: Wie das Maniok in die Welt gekommen ist, die Zigarre, der Piriquiri-Vogel, das sind phantastisch ausschweifende Legenden, während die Sünde hier nur als Schicksal vorkommt.

Immer wieder schaut Feliciano, während er erzählt, hinüber zu Renato, als ob er die Geschichte mit ihm gemeinsam erzählen wollte, und der macht Einwürfe, ergänzt und lehnt sich hinüber in die Mythenwelt des Indios, als wolle er die Seiten wechseln. “So war es doch, oder?” Und Renato nickt. “So war es.”

In diesen Momenten erinnert Renato an den jungen Juden Saúl in Vargas Llosas Amazonas-Roman “Der Geschichtenerzähler”, der irgendwann Ernst macht und für immer im Dschungel verschwindet, wo er, als mysteriöser Waldgänger, von Clan zu Clan wandert. Er “kennt sie bis in ihr Inneres”, kennt alle ihre Geheimnisse, und er unterhält sie mit ihren eigenen Geschichten und Legenden.

Vorher, draußen in der Welt, vertraut der Geschichtenerzähler seinen Freunden an, sei er nur eine Hülle gewesen, “dessen Seele aus der höchsten Stelle des Kopfes entschlüpft ist”.

Was er gelernt hat bei den Maku? “Vieles, über mich selbst”, sagt Renato Athias. Die Jahre bei den Indios seien eine Meditation über die eigene Identität gewesen, das eigene Außenseitertum, die Zugehörigkeit zu einem Volk, das verfolgt und zerrieben und ermordet wurde. Was das heißt? “Zum Beispiel, dass ich Jude bin”, sagt er. “Das wurde mir erst hier klar.”

DIE GÖTTER VOM SCHWARZEN FLUSS

“Ich habe keine Ahnung, was ich mit ihnen anfangen soll”, sagt Henrique Veloso Vaz. Schon seit Tagen kampieren die zehn Yanomami hinter seinem Funai-Büro, einer wetterschiefen Holzbaracke, deren einziger Schmuck ein altes Poster ist, das vor Aids warnt. Sie sind aus dem Norden gekommen, mit ein paar Säcken Maniok, um sie gegen Haken und Kleider und Streichhölzer einzutauschen. “Beim Sonnenaufgang singt der Pagé seine Gebete, und dann verschwindet er in irgendeiner Kneipe.” Man bräuchte dringend eine Schlafbaracke für all die Indianer, die in die Stadt strömen. Aber das Geld fehlt.

Ein trüber Morgen. Der Himmel hängt wie ein toter Tierbauch über dem Fluss. Im Brackwasser am Hafen sucht eine Ziege, knallrot bepinselt mit der Listennummer eines Kandidaten, nach Obstabfällen. Zwei Benzinfässer werden verladen, ein Bündel Bananen, Trinkwasser, dann zieht der Mann am Ruder das flache Schnellboot den Fluss hinauf, in weiten Schleifen, um den tückischen Stromschnellen auszuweichen.

Es ist gut, den Funai-Beamten an Bord zu haben – manche Indiostämme haben Kidnapping als Erwerbszweig entdeckt. In Roraima tauschen Yanomami mittlerweile die Schürfrechte auf ihrem Land gegen Waffen, und die Kayapó in Maranhão haben jüngst 15 Touristen gefangen gesetzt.

Doch noch ist der Oberlauf des Rio Negro ruhig. Hier könnte es allenfalls flussaufwärts, an der kolumbianischen Grenze, Probleme geben. Die Farc-Terroristen sollen bereits 600 Indios rekrutiert haben – der Drogenschmuggel ist lukrativ. Das 5. Bataillon fährt seine Einsätze und brennt die Koka-Pflanzungen der Maku nieder. “Drogen”, sagt Henrique, “sind auch in São Gabriel schon ein Problem, besonders bei den Kids.” Er kennt sich aus – er war Lehrer, bevor er den Job bei der Funai übernahm.

Nach einiger Zeit öffnet sich der Rio Negro für den Zufluss des reißenden Uaupés, und auf der vorgeschobenen Landzunge im Strom steht eine kleine Salesianerkirche, ein mittlerweile baufälliger, verwaister Brückenkopf im Kampf gegen das nackte Heidentum. Gegen das vor allem: Die ersten Brandpredigten der Missionare galten den kollektiven Wohnhäusern der Indios, den Malocas, die sie als Einladung zur Unzucht verdammten. So hat die Christianisierung vor allem den Bau von Einfamilienhäusern mächtig angekurbelt.

“Der obere Rio Negro ist mittlerweile evangelisiert”, brüllt Henrique in den Motorenlärm, “hier ist noch alles fest in katholischer Hand.” Aber die Sitten sind offenbar lockerer geworden – auf einer Anhöhe steht eine lang gezogene Maloca, in der sich die Sippen der Umgebung zu ihren Dabucurís treffen, den Zeremonien und Gelagen, die sich oft tagelang hinziehen.

Auf der rechten Flussseite tauchen Hügel auf und auf der nackten Flanke eines Felsens die Zeichnung eines Vogels. “Sie wechselt alle paar Tage”, sagt der Bootsführer. “Und ich habe nie jemanden dort gesehen.” Für ihn ist klar, dass es sich um Abwehrzauber eines mächtigen Pagés handelt, der für so was noch nicht einmal von der Matte aufstehen muss. Jeder Hügel, man nennt sie Hütte des Teufels oder Schlangenhügel, hat seine eigenen Legenden.

Es sind nur noch ein paar Kilometer zu jenen Stromschnellen, an denen die Tukano von der himmlischen Anaconda abgesetzt wurden, als die grüne Wand erneut aufbricht und den Blick freigibt auf ein paar Hütten, ein Kreuz. Ein Dutzend Tukano stehen schweigend auf der Uferböschung und beobachten, wie das Boot am kleinen Anleger vertäut wird. Längst ist der Himmel aufgebrochen, die Sonne steht hoch, und über der Wiese vor dem Kreuz tanzt ein Schwarm zitronengelber Falter.

Offenbar hat Padre Paulo seine Nachricht doch noch absetzen können, denn wir werden erwartet. In der Versammlungs-Maloca stehen klobige Schalen mit Chibo, einer Mischung aus Maniok und Wasser, und daneben liegen ein paar geräucherte Tukunaré-Fische. Einige der Männer sind am Tag zuvor in die Stadt aufgebrochen, um zu wählen – was das Schnellboot an einem Tag schafft, dazu braucht ein Kanu eine knappe Woche.

“Jahrelang ist es ruhig, aber vor den Wahlen bricht der Reiseverkehr los”, sagt der Pagé. “Dann kommt sogar der Bürgermeister.”

Seine Hüttenwand hinter der Feuerstelle hat der Pagé mit Bildern einer Kinderbibel tapeziert, die ihm der Priester einst geschenkt hat: die Mauern von Jericho, Joseph in Ägypten, der Auszug der Israeliten ins Gelobte Land. Ihm haben die Bilder gefallen, sagt der Mann in kehligem Nheengatu. “Es hat lang gedauert, bis sie da waren, wo sie hinwollten.” Ob das auch für die Tukano gilt? Nun, die Sippe ist vor zwei Jahrzehnten vom Tikiri-Fluss hierher gezogen. Der Boden ist einigermaßen, es gibt Fische, was soll er sagen? Was der Grund für den Aufbruch war? “Wir haben Teresa gestohlen.” Teresa lacht und zeigt drei Zähne. Sie stammt aus einer Dessano-Sippe, und mittlerweile hat sie drei Enkel.

Der junge Kazike führt uns auf einem schmalen Pfad in den Dschungel. Er balanciert über Baumstämme, die über einen Sumpf gelegt sind, und zeigt uns sein Feld, auf dem er Ananas zieht und Maniok und Zuckerrohr. Jede Familie brennt ihr eigenes Stück in den Wald. Es wird zweimal abgeerntet, dann kann es sich vier Jahre lang erholen, bevor man es erneut rodet. “Selbstverständlich mit Feuer – es ist einfach die wirksamste Methode.”

Die Tukano sind freundliche Gastgeber, aber sie wirken angespannt. Eher geistesabwesend antwortet der Pagé auf all die Reporterfragen nach der Geschichte der Sippe, nach den wirksamsten Zeremonien gegen Krankheiten, nach katholischen Glaubensvorstellungen und denen ihrer Ahnen. Und dann bricht es aus ihm heraus.

Man hätte da ein Anliegen. Er stottert. Henrique ermuntert ihn. Nun, die Sippe wolle die Deutschen fragen, ob sie etwas für sie besorgen könnten. Nämlich?

“Einen Fernseher!”

Sie müssten immer zu einer Maloca ein paar Stunden stromaufwärts paddeln, um ihre Lieblings-Soap-Opera anzuschauen, mit all den schönen Stars, deren Namen sie mittlerweile besser kennen als die ihrer Götter. Die Tukano dort haben einen, und der ist durchaus gemeinschaftsstiftend, denn das Benzin für den Generator wird mit gemeinschaftlichen Maniok-Anbau erlöst.

Böse Moderne! Vargas Llosas Geschichtenerzähler, der Mythenproduzent, der von Sippe zu Sippe zieht – er ist sesshaft geworden. Er hat sich in eine Maschine verwandelt, zu der sich nun umgekehrt die Indios in Bewegung setzen.

Der grüne Sieg im Amazonas, er zerrinnt zwischen den Fingern! Es gibt sie einfach nicht, die Unschuld; das gelobte Land, auf Erden ist es nicht zu finden. Was es gibt, sind die Geschichten. Und unsere unstillbare Sehnsucht nach dem Paradies.