Auch beim Fasten sind sie uneins: Der Katholik will Reue und Verzicht, also kein Facebook und keinen Nuckelkram. die Protestantin liebt es innerlicher. Er findet das kitschig und butterweich.

Claudia Becker: Wir Protestanten sind nicht gegen Verzicht und eine bewusst gestaltete Fastenzeit. Aber genauso, wie wir nicht glauben, dass wir uns durch einen Ablass einen Platz im Himmel erkaufen können, glauben wir nicht, dass wir durch Askese Gott milder stimmen. Wir sollen nicht einfach hungern oder zwanghaft auf Vergnügungen verzichten, weil man das so tut, wir sollen bewusst entscheiden, worauf wir verzichten.

Matthias Matussek: Na, das hört sich ja wieder butterweich an. Ihr habt doch die Kampagne “Sieben Wochen ohne …” Ein Pastor will die Bänke entfernen, damit die Gläubigen beim Knien den harten Boden spüren. Buße, Askese, ich dachte, da kommen wir mal zusammen!

Becker: Es gibt eben so manche protestantische Torheit. Übrigens hat besagter Pfarrer einer Düsseldorfer Gemeinde nicht mit Askese argumentiert, sondern mit einer Wischiwaschi-Begründung: Den Besuchern soll ermöglicht werden, sich die Kirche “auf unterschiedliche Weise neu zu erschließen.” Blabla. Da wäre mir ein klares Wort zum Fasten schon lieber. Jesus jedenfalls mochte es gar nicht, wenn die Superfrommen beim Fasten mit Leidensmiene und ungewaschenem Gesicht durch die Gegend liefen. Wenn man fastet, dann im Verborgenen.

Matussek: Ja, ganz große Stelle bei Markus, wurde bei uns Aschermittwoch verlesen. “Sie stellen sich beim Gebet gern an die Straßenecken, damit sie von den Leuten gesehen werden.” Jesus hatte Humor, großer Satiriker! Aber Fasten tut gut, ich hab’s grad zehn Tage gemacht, es hält ein reiches inneres Erlebnis bereit. Betonung liegt auf “Inneres”, ich schreib trotzdem drüber, was soll ich machen als Journalist. Übrigens hat auch Jesus gefastet, vierzig Tage lang, und hat sich vom Satan versuchen lassen.

Becker: Und er hat ihm widerstanden mit diesen großen Worten: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.” Eine tolle Erkenntnis, zu der wahrscheinlich wirklich nur kommt, wer bewusst verzichtet. Fasten – finde ich ja gut. Aber im Sinne von Leere aushalten, Stille, nicht ständig in die Mails gucken, nicht alles haben wollen. Auch jenseits von Ostern.

Matussek: Richtig. Stille, nicht zustopfen, ich verzichte auf Facebook – weitgehend, auch auf Nuckelkram. Aber um die Buße, liebe protestantische Kollegin, machen Sie einen Bogen, dabei können wir alle, sollten wir alle Buße tun, in dieser Passionszeit, wir Sünder, ernsthaft, gerade wir Journalisten. Wir hauen so auf die Kacke, dabei verfehlen wir die Wahrheit so oft. Also: auf die Knie und Reue!

Becker: Wenn Fasten dazu führt, dass der Journalismus wahrhaftiger wird, dann werfe ich alle meine Vorbehalte über den Haufen und verzichte auch auf Kirchenbänke. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die selbstverzehrende Buße der richtige Weg ist. “Deine ganze Reue sei eine schönere Tat”, sagt Jean Paul. Das gefällt mir besser. Und meine biblische Lieblings-Büßerin ist “die Sünderin”, die mit ihrem Haar die Tränen von Jesus’ Füßen wischt. Reue ist gut, Liebe ist besser.

Matussek: Das ist mir zu kitschig. Och nööö. Zu wahrer Liebe gehört auch die Bereitschaft zur Reue.

Erschienen am 28.02.15 www.welt.de