Südeuropa wirft uns das Spardiktat vor, bei der Eurovision straft man uns ab – und nun das: Laut BBC liegt Deutschland weltweit in der Beliebtheit auf Platz eins. Haben die Deutschen denn wirklich noch in anderen Disziplinen als im Fußball Schule gemacht?
Ich versteh’ die Welt nicht mehr. Ja genau, die Welt, die gerade von derBBC über die Beliebtheit der Deutschen befragt wurde. Wir – das heißt: die Deutschen – sind doch als arrogant und wenig mitfühlend verschrien, das wissen alle, die an unseren salonlinken Stammtischen mitreden wollen.
Wir sind isoliert in Europa, keiner mag uns, selbst dieEurovision straft uns ab, und nun das: Wir liegen weltweit in der Beliebtheit auf Platz eins. Befragte in 25 Ländern kürten die Bundesrepublik in einer Umfrage der britischen BBC zum weltweit beliebtesten Staat. Endlich vor Kanada, dem Erzrivalen! Und vor Großbritannien! Und das nach dieser vergurkten und verkorksten und erbärmlich gespielten Euro-Saison, die uns KanzlerinAngela Merkel beschert hat, ich sage nur: Eurovision!
Kaum auszudenken, wie wir da gepunktet hätten, wenn wir von der SPD regiert werden würden. Wenn also Steinbrück bereits jetzt schon im Schulterschluss mit Frankreichs Premier die Schulden vergemeinschaftet und die Steuerabgaben nach oben hin angepasst hätte! Wir müssten gar nicht mehr auftreten bei der Eurovision, man würde uns das Kristallmikrofon gleich ins Kanzleramt schicken.
Trotz alledem weltweit die Beliebtesten
Monatelang ist uns eingebimst worden, wie arrogant wir Deutschen “in der Welt draußen” wirken. Gerade erst hat uns Martin Schulz, Europa-Parlaments-Präsident und SPD-Mitglied, in einem großen “FAZ”-Interview berichtet, dass er in Portugal immer wieder bang nach unserer Wahl gefragt wird. “Dort fragt mich jeder: Wie geht die Bundestagswahl aus? Sie fragen das, weil die Menschen dort glauben, dass diese Wahl ihr Leben beeinflussen wird”.
A SPD vai ganhar, wird Schulz in Lissabon auf dem Markt und in den Restaurants gefragt, das heißt im Klartext: die SPD wird doch hoffentlich gewinnen? Schulz, ganz überparteilicher Euro-Staatsmann, macht im Interview nebenbei “darauf aufmerksam”, dass es die SPD war, die die Transaktionssteuer durchgesetzt hat. Bürger der Welt, schaut auf uns, das heißt, auf uns gute Deutsche, die sozialdemokratischen!
Dass die Griechen, die gerade murrend Katasterämter aufbauen und die Korruption bekämpfen und Steuern eintreiben, dass sie auf Demonstrationen Merkel ein Hitlerbärtchen verpassen, findet natürlich auch Schulz geschmacklos und übertrieben. Aber hey, unter uns, so sekundieren und suggerieren Frank Schirrmacher und Soziologe Ulrich Beck im genannten Interview, irgendwas Diktatorisches hat sie ja…
Und jetzt?
Sind wir trotz alledem (Merkel!) weltweit die Beliebtesten. Kann es sein, dass unsere Kanzlerin in ihrer Konsequenz auch bewundert wird, wie es der französische Schriftsteller Alexis Jenni für SPIEGEL ONLINE aufschrieb?
“Typisch deutsch” – das Hassattribut schlechthin
In der gleichen Geschichte lieferte die spanische Kolumnistin Soledad Gallego-Díaz einen Hinweis darauf, wie sehr die Deutschen nicht nur im Fußball, sondern auch in einer anderen Disziplin Schule gemacht haben. “Um die Wahrheit zu sagen: das einzige Land, von dem die Spanier eine schlechte Meinung haben, ist ihr eigenes”. Diese Disziplin heißt Selbsthass.
Jahrzehntelang war das unsere Domäne. “Typisch deutsch” gilt für jeden, der sich kosmopolitisch wähnt, als Hassattribut schlechthin. Die Deutschen sind der ewige Störenfried auf der Weltkarte und die braune Gefahr schlechthin, und die lauert überall, das war schon so, als Deutschland 2006 die Fußball-WM ausrichtete und Uwe-Karsten Heye, der ehemalige Regierungssprecher der SPD, no go areas für Ausländer vorschlug – um sie vor dem vermuteten braunen Mob in unseren Straßen zu schützen!
Ich war kurz zuvor, nach langen Jahren im Ausland, nach Deutschland zurückgekehrt und hatte, erstaunt über diese neurotische nationale Verklemmtheit, mein Deutschen-Buch herausgebracht, Untertitel: “Warum die anderen uns gern haben können”.
Mir waren außer Heinrich Heine tatsächlich noch ein paar andere, aktuellere Gründe eingefallen, weshalb man mich in verschiedenen Kultursendungen und Talkshows der Psychiatrie empfahl, doch kurz darauf gingen unseren ausländischen Gästen vor lauter schwarzrotgoldenen, friedlich und beschwingt feiernden Familienvätern und jungen hübschen Frauen die Augen über und sie staunten: Man kann sie tatsächlich mögen, die Deutschen, und sie können feiern, wie mir mein Kollege vom “Guardian” anerkennend schrieb.
Was für ein Rückschlag für die “Nie-wieder-Deutschland”-Fraktion der Grünen und der Jusos und der Kreuzberger Anarchos und der eigenen Kollegen, denn es gab doch mittlerweile diese Ausweich- und Fluchtidentität “Europäer”, die mit Deutschland und der vermaledeiten deutschen Geschichte nichts mehr zu tun haben musste.
Doch unsere Europa-Enthusiasten dürfen in Merkel den Machiavellismus geißeln und die schiere Gefahr sehen, sie dürfen zurückgreifen zuBismarck und zu Kaiser Wilhelm, sie dürfen Deutschlands Führungsrolle schaudernd beschwören, kurz, sie dürfen – und das nicht nur heimlich – den Merkel-Hitler-Demonstranten in den Athener Straßen recht geben. Oder denen, die sich besorgt an den Präsidenten des Europa-Parlaments Martin Schulz (SPD) wenden.
Komisch nur, dass Merkel zuhause immer noch die beliebteste deutsche Politikerin ist.
Im Spiel mit deutscher Schuld und südeuropäischen Schulden und der demokratischen Hausordnung gibt es übrigens die lustigsten Verzerrungen. Als Peer Steinbrück den Ausschluss Ungarns aus der EU wegen “klar antidemokratischer Tendenzen” vorschlug und der ungarische Premier Viktor Orbán protestierte, schlichtete Angela Merkel mit den Worten, man müsse ja “nicht gleich die Kavallerie losschicken”.
Damit ironisierte sie ein Wort ihres SPD-Herausforderers, des schneidigen Peer Steinbrück. Orban hatte nicht richtig hingehört und warf nun Merkel “Nazimethoden” vor, und sagte zum Thema Kavallerie: “Es hat damals nicht geklappt und es wird auch diesmal nicht klappen”.
So schnell geht das mit dem braunen Mustopf. Der wird einfach rumgereicht, und manchmal eben von der SPD.
Erstaunlich nur, dass sich unsere britischen Nachbarn in letzter Zeit so sparsam daraus bedienen. Wahrscheinlich mögen sie den Pragmatismus unserer Kanzlerin.
Und ansonsten, wie wir Fußball spielen. Da sind sie tatsächlich “alternativlos”, denn im Endspiel in Wembley stehen nur deutsche Teams.
Erschienen am 25.05.2013 www.spiegel.de
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