Matthias Matussek über den Kampf um das Kiewer Höhlenkloster und die moralische Korruption des Westens. Eine Polemik.


Gerade hatte ich die Verlautbarung der deutschen katholischen Bischöfe zu…nein, nicht zu Gott oder zum Glaubensschwund in Deutschland und zur ansteigenden Austrittswelle der Herde gelesen, sondern zu einem noch viel heißeren Eisen: zu den Wärmepumpen.

 

Sie begann mit den Worten „Wir sind bereit“, dem Wahlkampfslogan der Grünen. Sie forderte in einem Appell an die Gläubigen die „verbindliche Energie-Effizienz und Wärmewende“, und das quer durch alle Lager in diesem Verein. Das Schreiben hatte ein Jesuiten-Pater namens Jörg Alt verfasst, der für die „Letzte Generation“ wirbt und auf „Systemüberwindung“ (Tagespost) abzielt.

 

Gut zu wissen: die Katholiken in Deutschland sollen sich sich nicht um ihr Seelenheil kümmern, sondern um das Klima. Und ansonsten für den Zauberreigen der woken Religion. Im Netz lassen sich mittlerweile Priester in Regenbogentalaren finden und solche, die auf Gay-Pride-Paraden mitmarschieren.

Kurz danach erhielt ich ein Video, das einen bärtigen orthodoxen Bruder zeigt. Er setzt mit den Worten ein: „Ehre sei Gott, Ehre sei Jesus Christus, ich bin der Samuel“.

 

Da steht dieser Mann mit rotblondem Bart in schwarzer Mönchskutte auf einer Wiese in Basel und klagt sein Leid. Nein, falsch, er jammert nicht, es ist eher eine Anklage, er ist gefasst, aber man merkt ihm in diesem Video seine Bewegtheit an.

Bruder Samuel stammt aus der Slowakei und ist Lektor der Orthodoxen. Getauft wurde er 2013 in einem Kloster in Georgien. Soeben ist er zurückgekehrt aus der Ukraine und dort aus dem Höhlenkloster in Kiew, dem ältesten und heiligsten Ort der russischsprachigen Orthodoxie. Er hat Filme auf seinem Handy mitgebracht, das prügelnde Einsatzgruppen im Auftrag des ukrainischen Kulturministerium zeigt.

Es sind die berüchtigten Rotkappen, die bereits im Maidan-Putsch gegen den Präsidenten Janukowitsch aktiv waren. Jetzt riegeln sie die heiligen Stätten ab und gehen gegen Mönche und Gläubige vor. Sie stützen sich auf einen Beschluss zur Schließung des Klosters, das verdächtigt wird, für die russische Seite zu arbeiten und Waffen zu horten.

Selbstverständlich sind die Vorwürfe aus der Luft gegriffen. Man könnte den weltabgewandten Mönchen allenfalls vorwerfen, für den Frieden zu beten. Ja, das wäre die Geheimwaffe der Orthodoxie, nach den Worten in der Bergpredigt (Matthäus 7,7): “Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.”

So wenden sie sich also an den Vater im Himmel, die Mönche und die Gläubigen im Kiewer Höhlenklöster. Nichts anderes kann noch helfen, das ist ihre Überzeugung, in dieser verfahrenen, ja höllischen Situation, in der sich die Kriegsparteien einander zerfleischen. Beten! Viele Frontsoldaten kommen hierher, aus dem Donbass, aus Bachmut, um genau das zu tun. Samuel schätzt ihren Anteil auf 70 Prozent. Viele von ihnen sind hier getauft.

 

Samuel, den ich schließlich sprechen kann, hat eine bewegt Geschichte hinter sich.  Seine Eltern waren wie im kommunistischen Herrschaftsbereich üblich Atheisten, doch als Samuel nach seinen „wilden Jahren“, wie er sagt, „gerettet wurde durch göttliche Gnade“, begann ein neues Leben für ihn, bisweilen schmerzreich, aber auch voller Schönheit und Widerstandsmut.

 

Samuel berichtet von den Schikanen durch das ukrainische Kulturministerium, das bewaffnete Spezialkommandos losgeschickt hat, um das berühmte Höhlenkloster in Kiew zu schließen. Mönche werden auf dem weiten Gelände aus ihren Klausen vertrieben, Gottesdienste werden verhindert, protestierende Gläubige zusammengeknüppelt. Aber wie lässt sich der Glaube ausrotten?

 

Das Höhlenkloster hat die Mongolenherrschaft von 1240 bis 1480 überlebt. Es blühte auf im Barock und wurde um weitere prächtige Kirchbauten erweitert. Und es überlebte die Bomben der Nazis. Deren Reichskommissar in der Ukraine Erich Koch wusste, dass unterworfene Völker keine identitätsstiftenden Kultstätten haben sollten, die ihren Freiheitswillen beflügeln könnten. Aber Religion schafft genau das. Sie verknüpft den Menschen mit einer höheren Instanz als jener, die zufällig gerade herrscht.

Ja, das Kiewer Höhlenkloster hat auch den atheistischen Stalinistischen Winter überlebt und blühte erneut auf nach dem Ende des Eisernen Vorhangs. Das Anbetungsbedürfnis des Menschen lässt sich offenbar nicht in Ketten legen. Ganz besonders nicht an diesem Ort.

Das Kiewer Höhlenkloster wurde von den russischen Mönchen Antonij und Feodossi 1051 gegründet, die ihre Namen den großen Eremiten und Wüstenvätern in Ägypten Antonios und Theodosios aus dem Dritten Jahrhundert entliehen hatten. Nach ihrer Rückkehr bei den Mönchen aus Griechenland heim in die Kiewer Rus lebten die beiden in Höhlen, die sie in die Flößböden der Berge südlich von Kiew gegraben hatten.

Antonij zog sich zurück, als die Gruppe der Mönche die Zwölfzahl der Jünger Christi überstieg, kurz darauf übernahm Feodossi das Amt des Abtes und gewann schnell eine riesige Gefolgschaft.

Im „Väterbuch des Kiewer Höhlenklosters“, das mir ein umfassend gebildeter Freund jüngst bei einem Berlinbesuch schenkte, werden die mythischen Anfänge und die Mysterien des Klosters in andächtigen Legenden und Holzschnitten aus dem 17.Jahrhundert verklärt, eine Lektüre, die wie erleuchtet ist im Goldglanz von Ikonen und geschwängert ist vom Duft des Weihrauchs und der Kerzen.

Dieses Buchentführt in eine Gegenwelt.

Es ist eine unwiderstehliche Mischung aus Historiographie und Hagiographie, in der etwa der Mönch Nestor vom Gründervater Feodossi erzählt, dem klugen Knaben, ganz im Stil der apokryphen Jesus-Legenden. Vom jungen schriftgelehrten Feodossi also und seiner – im Gegensatz zur Jungfrau Maria – gar nicht huldvollen Mutter, die den Jungen verprügelte, weil er sich immer wieder hinausstahl zu den Mönchen, und die ihn schließlich in Ketten legte, allerdings aus keinem anderen Grund als dem der übergroßen Liebe – sie wollte ihn nicht verlieren.

In dieser Mischung aus durchaus irdischer Derbheit und dem Sehnen nach Heiligkeit geht das weiter, von schurkischen Bojaren bis zu den Heiligen Asketen. Erbauliches darüber, „Wie Räuber kamen und ein Wunder geschah“ oder „Vom Mut und von der Festigkeit des Heiligen“, „Vom Begräbnis des heiligen Feodossi“ ebenso wie vom „Wunder des Heiligen an dem gestohlenen Silber“ und „Vom Bau der großen Höhlenkloster-Kirche“.

Da ist ein ganz großer Atem, ein überwältigendes Glaubensbrausen, die Orthodoxie in ihrer reinsten Form, die noch Wunder kennt und allertiefste Frömmigkeit und Demut vor dem Göttlichen, die jedem deutschen Kirchenmann die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Wir haben kaum noch einen Begriff des Heiligen, besonders derzeit, wo die deutschen Kirchen an der Seite der Grünen und der LGBTQ-Community um eine Revision der Schöpfung kämpfen.

Anders das Höhlenkloster. Es ist nicht verwunderlich, dass das Beten der Mönche auf den Prüfstand der tagesaktuell herrschenden Fleischwölfe geraten ist. Nun werden Allianzen ausgelotet, wird der Kontaktschuld in den Tiefen der Seele nachgeforscht, kommt die Liturgie und das Heilige selbst auf den Prüfstand.

Um dieses zu schützen, haben die Kiewer Mönche notgedrungen ihre Unabhängigkeit von der russischen Orthodoxie unter ihrem Patriarchen Kyrill erklärt. Sie dachten, sie könnten damit eine Brandmauer errichten, um den Bezirk der Gebete gegen die Welt der Schnüffler und Ermittler zu schützen. Allerdings geht die Loyalitätsforderung tief in diesen Tagen. Gewissenserforschung, und zwar die der anderen, ist schwer im Trend.

Tatsächlich hat die Nato jüngst ihr Taktik-Arsenal um die „kognitive Kriegsführung“ erweitert, die mit „Manipulations-Waffen“ arbeitet – Russen und Chinesen haben Ähnliches. Die großen Mächte wollen an das Unterbewusstsein ran, wollen sich in die Seelen wühlen, mit Techniken im Internet, mit Gesichtserkennungen, der Einzelne soll erobert werden.

Immer schwieriger also wird es in diesen Tagen für die Mönche, nicht als Kollaborateure des Feindes identifiziert zu werden, denn ihre jahrhundertealten Gebete und Gesänge im Kirchenslawischen, der slawischen Ursprache, stammen noch aus Zeiten der Kiewer Rus und den folgenden, als die Ukraine noch zu Russland gehörte und die Liturgie russisch war.

In der Zeit des prowestlichen Poroschenko wurde eine offiziell genehmigte „Orthodoxe Kirche in der Ukraine“ unter dem Patriarchen Bartholomäus in Konstantinopel gegründet, der zurzeit linientreu der Verdammung von Putins Russland das Wort redet.

Ähnliches haben die chinesischen Katholiken erlebt, denen eine von der KP offiziell geduldete „Katholische Kirche in der Volksrepublik China“ gegenübergestellt wurde – und es gehört zu den großen Tragödien des Papsttums Franziskus‘, dass er mit dieser und ihren von Parteikadern ausgewählten Bischöfen und Kardinälen offizielle Beziehungen geknüpft und damit die vitale katholische Untergrundkirche im Stich gelassen hat.

Unterdessen kämpfen die Mönche der Höhlenkirche um ihr Bleiberecht. Sie stellen sich vor ihre Klausen, sie lassen verhaften und abführen. Sie leisten passiven Widerstand. Und sie beten. Unseren Zeitungen und ihren Reportern sind sie verdächtig, da sie sich in ihren liturgischen Gebeten dem Patriarchen Kyrill I. verpflichtet fühlen statt dem erwiesenermaßen korrupten Schauspieler, der in seinem olivgrünen Pullover um Sympathien und Milliarden und Vernichtungswaffen – derzeit ist es die geächtete Streumunition – bettelt und diese auch prompt erhält.

Wie ließ die evangelische Kirche Deutschlands jüngst verlauten? „Waffen sind Christenpflicht“? Nun, Waffen töten. Im Netz ist eine Mutter aus dem westukrainischen Lemberg zu sehen, die fleht und flucht und zittert um ihren Jungen, der als Kämpfer in die Ostukraine geschickt wurde. „Was hat er dort verloren?“ Und sie spuckte vor den Offizieren auf den Boden. „Alles hat mit dem Maidan angefangen.“

Nun ließ der Freund, der mir das „Väterbuch“ schenkte, dem oben erwähnte Video von Bruder Samuel weitere folgen, wie um dessen dramatische Aktualität zu unterstreichen. Erschreckende Videos. Eines zeigt Bilder eines Kämpfers an der Front, offenbar mit einer Helmkamera aufgenommen. Man sieht den Gewehrlauf wie im Videospiel, die Einschläge in der Nähe, hört ratternde Schüsse peitschen, die Rufe oder Kommandos der Kameraden und dann fällt das Bild auf die Erde – der Soldat hat seinen eigenen Tod aufgenommen. Könnte es der Sohn der Mutter aus Lemberg gewesen sein?

Doch da ist kaum eine Zeitung, kaum ein Reporter, die sich in diesen Tagen dem Druck widersetzen könnten, eindeutig für den Krieg Partei zu ergreifen und damit gegen Russland. Perverse Gewissenserforschung auch hier. Die NZZ streng: “Orthodoxe, aber auch andere christliche Kirchenvertreter auf der ganzen Welt kritisierten (den Putin-Sympathisanten) Kyrill für seine Äußerungen und forderten ihn dazu auf, den Krieg zu verurteilen. Ihre Rufe verhallten ungehört. In der Folge strichen mehrere orthodoxe Kirchen in der Ukraine und in der Diaspora Kyrill aus ihren Gebeten.“

 

Hier ein Wort zu Kyrill, dem Patriarchen.  Bürgerlich Wladimir Michailowitsch Gundjajew. Er wuchs in einer Leningrader Priesterfamilie auf. Sein Vater wurde unter Stalin 1934 für drei Jahre ins berüchtigte Gulag Kolyma im Nordosten geschickt. Dort hatte er unter unmenschlichen Bedingungen unter Tage gearbeitet, um nach Gold und Uran zu kratzen.

Sein Bruder, der die Einkesselung Leningrads durch die Deutschen überlebte, trat 1965 ins Priesterseminar ein.

Gundjajew studierte in Regensburg und wurde 1969 zum Priester geweiht. Ab 1970 diente er dem Leningrader Metropoliten Nikodim, der ein starker Befürworter der Ökumene war. Kurz darauf trat er dem KGB bei, „was ihn“, so Wikipedia, „mit dem russischen Präsidenten Putin verbindet“. Der KGB warb besonders unter den Eliten.  Nichtsdestotrotz setzte sich Gundjajew für eine Öffnung der Orthodoxie ein und wurde, mittlerweile zum Archimandriten erhoben, offizieller Vertreter Moskaus im Weltkirchenrat.

 

Eine imponierende geistliche Karriere. Gundjajew saß in der Folge in unzähligen Gremien, lehrte, wurde Bischof und Metropolit, und er war einer der wenigen Prominenten, die öffentlich gegen den russischen Einmarsch nach Afghanistan proteestierten. Er erarbeitete das Grundsatzpapier der Soziallehre der russisch-orthodoxen Kirche. Nach dem Tod von Patriarch Alexius II. wurde er 2006 zum Nachfolger bestimmt, auf einem der schnellsten Konzilien der Orthodoxie, mit überwältigender Mehrheit.

 

Das wiederum verbindet ihn auf interessante Weise mit der nahezu zeitgleichen, schnellen und überzeugten Papstwahl Benedikts XVI.. Der hatte nach dem Tod des hl Johannes Paul II. und vor dem Konzil die Una Sancta zur Entweltlichung ermahnt und zur Absage an den moralischen Relativismus der Zeit aufgefordert. Kyrill war einer der ersten, die ihm gratulierten, der ihm sogar den Ring küsste, was zu Protesten der orthodoxen Hardliner in den eigenen Reihen führte. Da muss mehr gewesen sein als nur persönliche Sympathie, da leuchtete wohl auch eine Art spiritueller Gemeinsamkeit auf.

 

In einer Ansprache vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf kritisierte Kyrill I. die neu verfasste EU-Menschenrechtscharta für ihre relativierende Laxheit, für den Wegfall jener Beschränkungen der Freiheiten, die „den gerechten Anforderungen der Moral“ genüge tun. Die Erklärung der Menschenrechte der UN von 1948 enthielt solche Bedenken noch.

 

In der Folge rückte der Patriarch zunehmend von der Ökumene mit den Katholiken ab und erkannte im sittenstrengen Islam den natürlicheren Bündnispartner. Doch in der gängigen Kurzfassung der enthemmten Moderne gilt Kyrill als Putinknecht, KGB-Agent und Milliardär, ergo als zwielichtige Figur und Gauner.

 

So ist er also Milliardär? Hm. Die russische Oligarchie, in der sich die Wachsten und Intelligentesten der Eliten nach Einführung der Marktwirtschaft durchsetzten, hat viele davon. Im Übrigen ist auch Selenskyi einer, mit Off-shore-Konten und unzähligen Villen im Ausland. Es wird wohl nach dem Krieg, wenn es um die Tilgung der amerikanischen Kriegsschulden geht –  nach dem „lend and lease act“ sind deren Waffen, anders als unsere,  nur „geliehen“ und müssen bezahlt werden – die Aufgabe von Untersuchungsausschüssen sein, herauszufinden, wie viele der Hunderte von Milliarden an Kriegsunterstützung in seine Privatschatulle flossen.

 

Gleichwie, es ist Kyrill I., der als Unperson gilt. In den russisch-orthodoxen Kirchen in Bern und Basel, so ein NZZ-Reporter streng, sei er dennoch weiterhin Teil des Gebets – etwa so wie Katholiken in ihre obligatorischen Fürbitten den Papst einbeziehen, egal, wie der einzelne zu ihm stehen mag. Entschuldigend wird der Berner Pfarrer Ioan Ciurin zitiert: „Das ist eine rein liturgische Tradition“ Und Ciurin sagt weiter: „Wir sind zwar liturgisch mit Moskau vereint, aber administrativ völlig autonom.“

Das sind so diese Seiltänze, die in diesen Tagen auch in den Räumen der Andacht unternommen werden müssen. Hilarion Kapral, der Vorsteher der Auslandkirche, wird in Bezug auf die „Geschehnisse im ukrainischen Land“ mit einem interessanten Appell zitiert. Er ruft die Gläubigen dazu auf, auf übermässigen Nachrichtenkonsum zu verzichten, um „unsere Herzen vor den von den Massenmedien entfachten Leidenschaften zu verschliessen und gleichzeitig unsere inbrünstigen Gebete für den Frieden in der Welt zu verdoppeln“. Warum empfehlen unsere Kirchenoberen das gleiche nicht den Konsumenten von FAZ oder Bild, oder der Tagesschau oder der heute-Nachrichten?

Selbst diese Äusserungen, so die NZZ, sorgten für Misstöne – Hilarion habe es versäumt, den Krieg als solchen anzuerkennen und, so heißt es, „unterstütze damit die russische Propaganda, schrieben Kritiker.“

Bruder Samuel berichtet, wie verwirrt die Frontsoldaten über die Schließung des Klosters durch die ukrainischen Behörden sind. Es beherbergt obdachlose Kämpfer, die keine Verwandtschaft im Westen des Landes haben, aus Butscha oder dem Donbass. Zu seinen Arbeiten im Kloster gehörten die Organisation der Matratzenlager in der Kirche, dem sogenannten „Tempel der trauernden Freude“. Daneben verantwortete er das Backen der Phosphora, der liturgischen Brote, sowie die Reinigung der Katakomben mit den gläsernen Sarkophagen der Väter.

Ja, hier unten im Kiewer Höhlenkloster liegen sie, mumifiziert, die Väter, die sich zurückgezogen hatten in die Stille, in die Einsamkeit, in die Dunkelheit, fastend und betend, über Jahrzehnte hinweg, und die der Welt und ihren diabolischen Einflüsterungen entschlossen den Rücken gekehrt hatten. Sie haben Rainer Maria Rilke zu einem seiner beklemmendsten Gedichte inspiriert

„Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr?

Sie fühlten auch verschlossne Klosterstuben

zu nahe an Gelächter und Geplärr,

so dass sie tief sich in die Erde gruben

Ein jeder atmete mit seinem Licht
die kleine Luft in seiner Grube aus,
vergaß sein Alter und sein Angesicht
und lebte wie ein fensterloses Haus
und starb nichtmehr, als wär er lange tot.

Sie lasen selten; alles war verdorrt,
als wäre Frost in jedes Buch gekrochen,
und wie die Kutte hing von ihren Knochen,
so hing der Sinn herab von jedem Wort.
Sie redeten einander nichtmehr an,
wenn sie sich fühlten in den schwarzen Gängen,
sie ließen ihre langen Haare hängen,
und keiner wusste, ob sein Nachbarmann
nicht stehend starb.
In einem runden Raum,

wo Silberlampen sich von Balsam nährten,
versammelten sich manchmal die Gefährten
vor goldnen Türen wie vor goldnen Gärten
und schauten voller Misstraun in den Traum
und rauschten leise mit den langen Bärten.

Ihr Leben war wie tausend Jahre groß,
seit es sich nichtmehr schied in Nacht und Helle;
sie waren, wie gewälzt von einer Welle,
zurückgekehrt in ihrer Mutter Schoß.
Sie saßen rundgekrümmt wie Embryos
mit großen Köpfen und mit kleinen Händen
und aßen nicht, als ob sie Nahrung fänden
aus jener Erde, die sie schwarz umschloss.

Jetzt zeigt man sie den tausend Pilgern, die
aus Stadt und Steppe zu dem Kloster wallen.
Seit dreimal hundert Jahren liegen sie,
und ihre Leiber können nicht zerfallen.
Das Dunkel häuft sich wie ein Licht das rußt
auf ihren langen lagernden Gestalten,
die unter Tüchern heimlich sich erhalten, –
und ihrer Hände ungelöstes Falten
liegt ihnen wie Gebirge auf der Brust.

 

Auch Samuel hat einen geistlichen Vater, Gabriel Bunge. Knapp zwei Jahrzehnte lang hatte der bei den Benediktinern zugebracht, bis er konvertierte zur Orthodoxie, weil diese so viel näher am Heiligen, am Ursprung der Kirche siedele. Er hat sich ins Gebet und in die Meditation gerettet, die der Katholische Kirche, zumindest ihren oberen Rängen, längst entglitten sind.

Gabriel Bunge lebt in der Schweiz, in einer Eremitage auf einer bewaldeten Anhöhe bei Lugano. Die Orthodoxie hat Zulauf in der Schweiz.  Vater Gabriel riet Samuel, der sofort wieder zurückkehren wollte ins Höhlenkloster, zunächst seine Ausbildung zum Krankenpfleger und Drogenberater in der Schweiz zu beenden. „Deine Gebete sind auch hier wirksam“, sagt er.

Ich gebe Vater Gabriel recht. Bei uns im Westen tobt der Krieg leiser, aber er tötet die Seelen. Er tötet sie durch Hass auf das Christentum. In der evangelisch-reformierten Kirche Notre-Dame in Lausanne durfte sich jüngst ein sogenannter „Body Choir“ austoben, der Songs wie „Ejaculate“ oder „Die Vulven fliegen“ zu Gehör brachte, die, wie das Programmheft mitteilte, in feministischen und queeren Schreibwerkstätten entstanden.

Nichts daran war weiter auffällig, berichtete die NZZ trocken, bis auf den Veranstaltungsort: Eben die Ehrwürdigkeit einer Kathedrale. In St.Egidius in Nürnberg wurde die Kirche als Ausstellungsraum für schwule Darkroom-Phantasien mit Christus, dem Erlöser, genutzt.

Wieder korrespondiere ich mit meinem Berliner Freund. Wir wundern uns, wie wenig die Vorgänge um das Höhlenkloster im Westen Beachtung finden. Werden sie als Störfall empfunden in unserm Getriebe? Wie verblödet wir in unserer Kultur doch gezwungen werden, übergewichtigen Männern in Frauenkleidern auf Laufstegen oder in Schönheitswettbewerben zu applaudieren, ja, wie totalitär unsere Wahrnehmung im Namen der woken Ersatz-Religion kolonisiert wird.

Uns wird der Schönheitssinn ausgetrieben. An seine Stelle tritt die Verächtlichmachung von Allem, was auch nur entfernt an Anmut oder Ehrfurcht vor dem Erhabenen oder Traditionsstolz erinnert. Eine Ersatzreligion aus Ekel und Schmutz hat sich über die Sinne gelegt. Sie rutscht ins Tal wie eine Schlammlawine, rutscht in die Köpfe, in die Seelen.

„Zu stalinistischen Zeiten waren die Lager übersichtlich“ sagt Bruder Samuel. „Das gab es Gläubige und Nichtgläubige“. Heute sei alles unübersichtlicher. Aber die gefährlichste Verirrung stamme wohl aus diesem woken Hedonismus, der sein Gift in die Wurzeln des Glaubens spritze.

Der Wokismus veräfft die Religion und ersetzt sie durch blasphemische Karikaturen. Er läuft auf eine aggressive Vernichtung des Glaubens hinaus, zumindest innerhalb der westlichen Christenheit.

Das gilt auch in den USA, die ich noch während meiner Korrespondentenzeit in den 1990ern als tiefreligiöses Land in Erinnerung habe. Damals, in den 1990er Jahren, gaben noch rund 80 Prozent der Amerikaner an, täglich zu beten. Mittlerweile hat der Wokismus auch dort ganze Arbeit geleistet.

So wollte jüngst das Baseball-Team der Dodgers, um den Anschluss an den Wokismus nicht zu verlieren, mit ihrem regelmäßig vergebenen „Community Hero Award“ eine Transvestiten-Gruppe namens „Sisters of Perpetual Indulgence“ auszeichnen, die „Schwestern des ewigen Genusses“, also eine höhnische Karikatur des Nonnentums.

Als die Katholiken unter den Fans – immerhin – dagegen Sturm liefen, ruderte das Managment zurück – und traf nun auf einen Entrüstungssturm der woken Aktivisten. Wieder fiel es um, nun in den Ursprungsplan.

In Schweden wurde derweil eine Demonstration genehmigt, auf der Religionsfeinde die Thora und die Bibel verbrennen wollten. Das war als Reaktion auf eine Verbrennung des Koran gedacht. Oder war es umgekehrt? In unseren Tagen wird das den Gläubigen Heiligste verbrannt und vernichtet oder unter Schmutz begraben. Auf der Fashion-Week in Berlin kreierten Modemacher nicht nur allerlei Latex- und Sado/Maso-Rüstungen, sondern auch String-Tangas, bei denen das Kruzifix über den After gespannt ist.

Den LGBTQ-Diktaten darf sich offenbar kaum einer entziehen, bei Strafe der sozialen Ächtung. Was ist nur mit meinem früher hellen Kollegen Gabor Steingart passiert, dass er jüngst der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken ganz besonders applaudierte, weil sie auf einem sogenannten „rubber dog“ Festival in Stuttgart erschien, wo Männer mit Hundemasken aus Gummi ihre sexuelle Verirrung öffentlich ausleben?

Mein Kollege Ralf Schuler schmiss bei Springer hin, als die Redakteure dort fest auf die Regenbogenfahne vereidigt werden sollten („Wir stehen fest an der Seite…Christopher-Street-Day..etc. Im Hintergrund stand wohl die pure Angst des Vorstands – Springer war wegen eines Artikels von 120 Wissenschaftlern, die die Schöpfung als eine von Mann und Frau erklärten, von einer „queeren Jobmesse“ ausgeladen worden.

Wann hat dieser Erdrutsch, diese blasphemische Wut, dieses umjubelte Eintauchen in die Vulgarität und obsessive Nischensexualität eingesetzt? Wieder korrespondiere ich mit meinem Berliner Freund, und wir gehen zurück in die 1990er Jahre und stoßen auf Botho Strauß, der wohl der Hellhörigste unter uns war, als er bereits kurz nach der Wende in diesen Geröllsturz hinein seinen warnenden „Anschwellenden Bocksgesang“ schrieb.

Nun, 30 Jahre später, scheint das Zerstörungswerk vollbracht.

Alles ist niedergerissen, was einst zum Kulturstolz auf das Eigene und zur Ehrfurcht vor dem Erhabenen gehörte. Unsere abendländische Kultur liefert sich kichernd und juxend und zunehmend wehrlos dem Ansturm hungriger und letztlich ungleich religionsstolzerer Eroberer aus Afrika oder dem Nahem Osten aus.

 

Hatte der russische Patriarch Kyrill nicht doch recht, als er die Orthodoxie als Schutzwall gegen die Verkommenheit des Westens verstand, der seine Enthemmungen „woke“ nennt, also erwacht? Erwacht woraus? Aus einer ethischen Ordnung, in der Anstand und gesunder Menschenverstand und Würde zur sozialen Verfasstheit gehörten?

Und hatte Kyrill nicht recht, wenn er nicht daran glauben mochte, dass in diesem geopolitschen Manöver des Westens des Ukraine-Kriegs die Schuldigen “die Völker Russlands und der Ukraine sind, die aus einem Kiewer Taufbecken stammen, durch gemeinsamen Glauben, gemeinsame Heilige und Gebete vereint sind und ein gemeinsames historisches Schicksal teilen”?

Und hatte er nicht recht, als er bereits 2013 den überschnappenden Feminismus als „gefährliches Phänomen“ kritisierte und mahnte, dass die Zerstörung der Familie unweigerlich die Zerstörung des Heimatlandes zur Folge habe? Machen uns nicht gerade die einwandernden Stammes- und Sippenverbände klar, wie durchsetzungsstark sie sind?

Und hat die spanische Zeitung „La Razón“ nicht recht, wenn sie zu den Straßenkämpfen in Frankreich kommentiert: „Die zunehmende Entchristlichung Europas und der laizistischen Französischen Republik führt zu einem Vakuum der einheimischen Identität…Angesichts der zunehmenden Islamisierung Europas haben wir es mit einem Kulturkampf zu tun“?

Die Wokeness ist unser Sündenfall. Sie ist eine Spielart des Transhumanismus. Sie ist das Versprechen der Schlange im Paradies, zu werden wie Gott. Sie ist die Anmaßung, dass wir den Menschen, seine Natur, sein Geschlecht, ja das Klima beherrschen können, wie es der Transhumanismus-Ideologe Yuri Harari („Homo Deus“) verspricht. Anders als der Schöpfer, der am siebten Tag ruht und sein Werk für gut befindet, sagt Harari: Die Schöpfung ist schlecht, lasst sie uns verbessern.

Wie wir wissen, begann jede große Katastrophe in unserer Geschichte mit einem Programm zur Menschheitsverbesserung, mit einer Korrektur der Schöpfung.

Sicher, radikaler kann die Absage an diese gottferne Anmaßung, an diesen versumpften westlichen Betrieb nicht formuliert werden, als durch Kyrill und die Orthodoxie, doch er steht damit in einer langen spirituellen Ahnenreihe, und kein Zeichen ist schroffer als die Abwendung der Väter im Kiewer Höhlenkloster. Rainer Maria Rilke hat es erfasst. Noch einmal:

“Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr?

Sie fühlten auch verschlossne Klosterstuben

zu nahe an Gelächter und Geplärr,

so dass sie tief sich in die Erde gruben….”

Rilke endet sein langes Gedicht mit diesen bangen Zeilen:

“Du großer alter Herzog des Erhabnen:
hast du vergessen, diesen Eingegrabnen
den Tod zu schicken, der sie ganz verbraucht,
weil sie sich tief in Erde eingetaucht?
Sind die, die sich Verstorbenen vergleichen,
am ähnlichsten der Unvergänglichkeit?
Ist das das große Leben deiner Leichen,
das überdauern soll den Tod der Zeit?

Sind sie dir noch zu deinen Plänen gut?
Erhältst du unvergängliche Gefäße,
die du, der allen Maßen Ungemäße,
einmal erfüllen willst mit deinem Blut?”

 

Samuel, der sich zu einem zölibatären Leben entschlossen hat, um diesen Vätern nachzueifern, bekehrte seine Mutter, die sich ebenfalls taufen ließ. Sein Vater bleibt Atheist, aber er respektiert ihn.

Unter Selenskyi soll das Kirchenslawische verboten und durch Ukrainisch ersetzt werfen. Alles, was an Russland erinnert, soll nach dem Willen Selenskyis aus dem öffentlichen Raum verbannt werden. Die russische Sprache, Oppositionszeitungen und Oppositionsparteien sind verboten, die Wahlen sollen verschoben werden. Wie man sieht, Selenskyi ist ein lupenreiner Demokrat.

Schulen dürfen nicht mehr nach Yekaterina, der Kaiserin Katharina der Großen, benannt sein. Standbilder des großen Puschkin werden von ihren Sockeln geholt. Aber er kämpft ja für unsere Werte, wie es unsere dyslexische grüne Außenministerin nicht müde wird, zu behaupten.

Nein, Samuel spricht am Telefon nicht von Wärmepumpen, er spricht von einem anderen Kampf. Samuel glaubt, dass die traditionelle Kirche in diesen Tagen nur mit Gottes Hilfe gerettet werden kann.

Er sagt tatsächlich: „Wir müssen den Satan mit unseren Gebeten bekämpfen“. Und er sagt: „Gott hat mich gerettet“

PS: Drei Wochen später meldet sich Samuel erneut mit einem dringlichen Video-Appell – diesmal mit der Bitte um Gebete für die Brüder in Odessa, deren Verklärungs-Kathedrale von den Russen zerbombt wurde. Samuel bittet um Frieden, denn der sei ein göttliches Gebot.

 

 



Kämpfen Sie mit!

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