Norman Mailer kam mir vor ein Zwerg, breitschultrig, kompakt wie eine Kanonenkugel mit weißer Haarkrause, aber tatsächlich klein wie ein Troll, vielleicht war er auch geschrumpft, ich traf ihn Ende der 80er Jahre, meine Freundin Molly Moynahan, eine Romanautorin, hatte mich mitgeschleift zum actors studio, wo er übers Schreiben sprach, und zu anschließenden Drinks in einer Bar in der Nähe.

Er war freundlich, und total berühmt, ich habe kein einziges Wort von diesem Abend in Erinnerung, aber seine Berühmtheit überstrahlte sowieso alles, und die 80er waren vor allem eines: Celebrity-süchtig. Aber natürlich kannte ich seine Sachen und war wie weggehauen von seiner Reportage über Muhammed Alis Kampf gegen George Foreman, dem “Rumble in the jungle”, Mailer boxte selber, das war new journalism, das war kenntnisreiche, faktenreiche Reportage und Helden-Roman in einem.

Er hatte gerade die Verfilmung seines Romans „Harte Männer tanzen nicht“ abgedreht und auf dem Filmfestival in Havanna vorgestellt  – Jean-Luc Godard hatte die Regie abgelehnt – und schrieb an seinem CIA-Roman „Das Epos der geheimen Mächte“.

Noch war die Ehe mit Norris Church intakt, einer aufregenden Rothaarigen, seiner sechsten Ehe-Frau  – der Biografie zufolge, die jetzt, rechtzeitig zu Mailers 100.Geburtstag, von Steven Thomsen vorgelegt wird. (Ein Jahr nach unserm Treffen wird Norris in seinem Büro in Brooklyn eine Schublade voller Liebesbriefe fremder Frauen finden und sich übergeben – es war schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte)

Norman Mailer war ein Super-Ego, ein Trinker, ein Kiffer, er konnte ein Super-Arschloch sein und der geistreichste Charmeur. Und er war ein literarisches und journalistisches Genie.

Er wäre der unabhängige Denker, sinniert Thomsen in seinem Vorwort, der den jungen Jakobinern, die die US-Unis heutzutage bevölkern, die Stirn bieten könnte. Und er zitiert zur Unterstützung einen anderen Gott des new journalism: „Oh, wie ich Norman Mailer gerade jetzt in Amerika vermisse“, seufzte jüngst Gay Talese („Frank Sinatra ist erkältet“)

Norman Mailer, der bereits mit sechzehn in Harvard Ingenieurwissenschaften studiert und dort mit 18 einen Literaturwettbewerb gewann, schließt sein Studium mit zweiundzwanzig ab, heiratet die bildschöne Bea und meldet sich zum Dienst im Pazifik, um Material für einen Roman zu sammeln. Er gerät tatsächlich unter Beschuss, sein Kompaniechef war ein Trottel, der eine aussichtslose Mission befahl, der andere ein Sadist. Mailers Roman, den er aus den an Bea geschriebenen Briefen komponiert, schlägt ein und setzte ihn für immer auf die Landkarte der amerikanischen Literatur.

Thomsens Biografie zeichnet Mailer als immenses Ereignis. Als Naturkatstrophe, die Schneisen schlägt durch Sitte und Anstand, durch Salons und TV-Studios und Amerikas Nachtseiten.

Was macht man, wenn man gleich zu Beginn den Höhepunkt seiner Karriere erlebt? Man übersieht es zunächst. Die Mailers schiffen sich ein auf der QueenElizabeth, damals dem größten Passagierdamper, hinüber ins Paris des Existentialismus, des Jazz, zu Sartre und Miles Davis in St Germain, reisen durch Spanien (wie Hemingway nach dem ersten Weltkrieg) kehren zurück nach Nizza, wo ihn ein Telegramm erreicht, dass sein Roman die Bestsellerliste der New York Times anführt, so wie es Lord Byron sagte: „Eines Morgens wachte ich auf und stellte fest, dass ich berühmt bin.“

Er stellt fest, das Ruhm die schärfste aller Drogen ist, ihm wird er ein Leben lang nachjagen. Er ist besser als „General Marihuana“, mit dem er experimentiert, als Whiskey, als Benzedrine, als Seconal (um runterzukommen)  aus Mescalin, ja sogar besser als Liebe, er wird sechs Mal heiraten und acht Kinder zeugen und schuften wie ein Hamster im Rad, um Unterhaltsansprüche und Steuerschulden zu bedienen. Und er entdeckt den Journalismus als Ticket zu Ruhm und Reichtum, den new journalism,der Jackpot.

Ja, man kann Mailers Karriere nicht nur anhand seiner Werke erzählen, sondern auch durch seine Ehen. Frau Nummer zwei ist Adele Morales, eine aufregend schöne Malerin, die kurz mit Jack Kerouac liiert war, lebenslustig wäre untertrieben, sie ist ein Party-Animal wie Mailer, er mietet sich in der Slum- und Fixer-Gegend auf der Lower East-Side ein, er mag es, Berühmtheiten und Penner zu mischen, auf einer sind Marlon Brando, Monty Clift, Lilian Hellman und Rita Moreno zu Gast, da dringen Unbekannte ein auf der Suche nach einer Frau, die sie beschimpft hat, und einer von ihnen zieht Mailer mit einem Hammer über den Kopf. Mailer überlebt schwerverletzt und trinkt weiter.

 

Seine nächsten Romane floppen, aber er entdeckt die Provokation, er schreibt den Essay „The white negro“, feiert den Einzelnen, den Außenseiter, den Ausgestoßenen, den Hipster, wie er ihn auf seinen Streifzügen durch das Jazz-Mekka Harlem kennenlernt. Er bedient das Stereotyp  des omnipotenten verrohten Afroamerikaners, er verprellt damit seinen Freund James Baldwin, aber es ist seine Antwort auf die Literatur der Beatgeneration.

Natürlich ist der Essay ein Skandal, William Faulkner, ein Vorbild, lacht ihn aus und meint, das sei die Fantasie einer Hausfrau aus dem Bibelgürtel, Mailer beschimpft ihn und er genießt die Aufmerksamkeit, als er den Essay mit einigen anderen Arbeiten in dem Band „Reklame für mich selbst“ erscheinen lässt.

Seine Ehe geht vor die Hunde. Wo immer die Mailers auftauchen, geht er anderen Frauen an die Wäsche, und sie betrinkt sich und beschimpft ihm. Trotzdem bringt sie ein weites Kind zur Welt, wieder eine Tochter.

Nachdem Mailer für den Esquire eine ganz neuartige Reportage zu Papier bringt über den demokratischen Kennedy-Parteitag 1960, Titel: „Superman kommt zum Supermarkt“, – es ist ein Wortstrom nicht über die faktischen langweiligen Oberflächenphänomene, sondern die unterirdischen wilden Sehnsüchte, mäandernd, der längste Satz besteht aus 503 Wörtern – beschließt er selber, in den Ring zu steigen.

Er will für das Bürgermeisteramt in New York kandidieren. Er beschließt, seine Kandidatur auf einer Party zu verkünden, er will, wieder einmal, die haute volee mit der Gosse zusammenbringen, denn er empfiehlt sich als Kandidat für die Unterdrückten die Außenseiter, die Elenden.

Schwer angetrunken beleidigt er Gäste wie Allen Ginsberg, geht immer wieder runter auf die Straße, um Wildfremde zu sich einzuladen, läuft derangiert und mit aufgeplatzter Lippe umher, seine Frau empfängt ihn nach einem dieser Ausflüge mit den Worten „Na komm schon du kleine Schwuchtel, hast du keine Cojones, hat dein hässliches Flittchen sie dir abgeschnitten?“ Plötzlich hält Mailer sein Taschenmesser in der Hand, und sticht zu, einmal in die Herzgegend, einmal in den Rücken. Adele überlebt. Im Krankenhaus und gegenüber der Polizei behauptet sie, sie sei in eine zersprungene Flasche gefallen.

Später beschreibt er hyperrealistisch, wie es ist, zuzustechen.

Norman Mailer ist zweifellos irre. Doch er bleibt Stadtgespräch, der ewige Skandal. Mit dem konservativen William Buckley prügelt er sich vor einer Cavett-Show. Er prügelt sich mit vielen. Nachdem er die bildschöne Schauspielerin Beverly Bentley auf einer Party von Jake LaMotta, dem einstigen Weltmeister im Mittelgewicht, losgeeist hat -die beiden Männer stehen sich grimmig gegenüber, bis Beverly sich für Mailer enscheidet – beginnt er Ehe Nummer drei, und bekommt bald seinen ersten Sohn. Die Ehe hält bis 1969, immerhin, bis ins Jahr, in dem er mit „Heere aus der Nacht“, einer Reportage über die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung, seinen ersten Pulitzer-Preis erhält.

Mailer gerät ins Fadenkreuz der Feministinnen. Kate Millet, ausgerechnet die Professorin von Mailers Tochter Susa, arbeitet sich an dem Autor ab. In “Sexus und Herrschaft” wirft sie ihm vor, die Unterdrückung der Frau zu propagieren. Mailer setzt zu einem Gegenschlag an. In der Zeitschrift Harper’s, das diesmal auf eine Titel-Illustration verzichtet und nur Buchstaben, präsentiert, Lila auf orangefarbenem Grund, „Norman Mailer“ und „Prisoner of Sex“  – es wird die bis dahin meistverkaufte Ausgabe des Magazins sein.

 

Mailer zerpflückt Kate Milet, weist ihr falsche Zitate nach und Selbstwidersprüche.

Es folgen weitere Ehefrauen und weitere Kinder – am Ende sind es acht – und Erfolge wie der zweite Pulitzer-Preis für die minutiöse Schilderung der Hinrichtung des Mörders Gary Gilmore. Er schreibt Biografien, über Marylin Monroe, über Muhammed Ali, über Adolf Hitler.  Er schreibt Drehbücher, dreht Filme, trifft Castro, den er verehrt, er schreibt manisch, er braucht Geld. Und, natürlich, die Schlagzeile, den Ruhm, selbst Misserfolge zählen.

Doch dann verlassen ihn die Kräfte. Immerhin erst mit 84, nach einem Leben, das für drei gereicht hätte. Wird er einem sympathisch nach der Lektüre der Biografie? Nicht unbedingt, aber Staunen, das erzeugt er schon.

Alle versammeln sie sich am Schluss um sein Krankenbett, um sein Totenbett im Mount Sinai Hospital. Einer seiner Söhne ist noch einmal nach Provincetown gefahren, um das Rauschen des Meeres für ihn aufzunehmen. Thomsen gelingt es, dieses ständig sprudelnde Kraftwerk, diesen permanenten Skandal, diesen Kämpfer, der sich schließlich geschlagen geben muss, als einen letzten großen Unabhängigen des amerikanischen Journalismus, der amerikanischen Literatur packend nahe zu bringen.

Bis zum letzten Drink auf dem Totenbett. Rum, Orangensaft, Soda.

Den Strohalm lehnt er ab. Er kippt ihn, lächelnd.