“Und die Welt hebt an zu singen,/ Triffst du nur das Zauberwort.”

Joseph von Eichendorff (1788 bis 1857)

Vielleicht war das Thema “Die deutsche Romantik” gar nicht zu vermeiden nach diesem schwarzrot-goldenen Summer of Love, dem WM-Sommer mit seinem fröhlichen patriotischen Aufruhr. Schließlich ist Patriotismus eine romantische Erfindung. Doch es geht darüber hinaus. “Romantik”, das neue Buch des Philosophie-Erzählers Rüdiger Safranski, bespielt einen weit größeren Resonanzraum.

Einige Bilder dazu: Diese unvernünftigen Nackten, die sich in dieser Gletschermulde zu einem Protest aus Körpern zusammenlegen, um den Planeten zu retten! Diese merkwürdig Erregten mit ihren Räuberspielen im Wald vor Heiligendamm. Und diese frommen Lichtfluten des neuen Fensters im Kölner Dom, das Gerhard Richter, der bedeutendste deutsche Künstler der Gegenwart, gestaltet hat.

All das ist romantischer Aufruhr und natürlich enorm deplaziert in einer durchrationalisierten Welt. Dazu die apokalyptischen Strömungen, das neue Interesse an Propheten des Untergangs wie Oswald Spengler oder poetischen Geheimbündlern wie Stefan George, all diesen Echoloten im Irrationalen oder Festlichen – purste Romantik.

Ausgerechnet in dem Moment, in dem die Hirnforscher vom Menschen als evolutionär determinierter Biomaschine reden, zeigt dieser Mensch sich sprunghaft oder unerwartet innig, poetisch oder protestierend, als ob er gerade jetzt erneut beweisen müsse, wie unbesiegt sein Traum von Freiheit und vom ganz anderen Leben doch ist.

Die Romantik erlebt eine vertrackte Renaissance. Und: Es ist die Renaissance eines deutschen Gefühls. Was da im Pop und im Protest Weltkarriere gemacht hat, es wurzelt in der deutschen Romantik.

Romantiker sind Warner und Gottsucher und Sänger. Das Romantische als Haltung kehrt in den planetarischen Rettungsphantasien der Bill Gates und Richard Bransons, der Grönemeyers und Bonos und Richard Geres ebenso zurück wie in den Leitkultur-Debatten oder dem Kampf gegen eine alles nivellierende Globalisierung.

Sie alle borgen, ohne es zu wissen, von einem Vorrat an Philosophemen und Verzauberungen und Naturschwärmereien, der in Deutschland um 1800 angelegt wurde. Zunächst in Jena, dann in Berlin und Heidelberg.

Die Lage damals? Gar nicht so verschieden von unserer heute. Die Aufklärung hatte den Himmel entvölkert und die Französische Revolution die Kirchen in Ställe verwandelt. Nun regte sich Widerstand gegen diese erste Globalisierung der Vernunftbesessenheit und imperialen Gesten. Und in diesem Moment sorgten die Romantiker für Wiederverzauberung und eigensinnige Strudel: Attac!

Was für eine Truppe! Sie trugen ja tatsächlich noch Mantel und Degen, und sie ritten. Sie ritten durch die Nacht, sie ritten nach Weimar ins Theater, und später ritten sie in den Krieg gegen den Tyrannen Napoleon.

“Eine Schar junger Männer und Frauen”, schreibt Ricarda Huch, “stürmt erobernd über die breite träge Masse Deutschlands.” Da ist der Kopf der Bande, der schroffe Friedrich Schlegel, der Republikaner, der die Zeitschrift “Athenäum” mit den romantischen Fragmenten herausgibt. Dann sein Bruder August Wilhelm, Mitherausgeber, diplomatischer und – so Ricarda Huch – “zierlich und beweglich, aber ohne Größe”.

Dann Schelling, das lodernde Genie. Der Physiker Ritter verbrennt sich die Haut in galvanischen Selbstversuchen; er versucht, die Seele zu lokalisieren. Hölderlin weht herein mit dem Bauplan für eine neue Mythologie, Tieck liest Shakespeare vor und ersetzt jedes Theater, phantastisch bei Kerzenlicht.

Schleiermacher, in Berlin, entwirft seine Religion des “Enthusiasmus”, Kleist schmeißt sich für den malenden Nebelmystiker Caspar David Friedrich in die Bresche, und der dunkle Prinz Novalis fordert Gedichte “voll schöner Worte – aber

auch ohne allen Sinn”. So schmeißt man Blüten ins Getriebe der Welt.

Die Romantiker sind die goldene Horde der deutschen Literatur und der stürmischste Beitrag der Deutschen zur Weltkultur, und ihre Erregungswellen pflanzten sich fort bis heute, bis zur politischen Protestkultur.

Die Jenaer Romantiker bis 1800, die Berliner und Heidelberger bis 1820. Der letzte, Heinrich Heine, schrieb bereits Mitte des Jahrhunderts unter den mächtig qualmenden Schloten der Industrie. Die Romantiker schufen die moderne Lyrik, sie erträumten das geeinte Europa. Deutschland war ein progressiver Kampfbegriff. Deutschland wurde als kulturelle Unternehmung gedacht, als Ideal, das durchstrahlt ist von der Frömmigkeit des Mittelalters und der Kunstfertigkeit Dürers, abgründig nächtlich in seinen Märchen und Spukgeschichten und Legenden. Tannhäuser-Gelände eher als ein echter Staat.

Safranskis “Romantik” ist überfällig – als gar nicht mystische, sondern aufgeklärt helle, ja heitere Beschreibung eines Sonderwegs. Es ist der Roman des deutschen

Geistes. Das Buch heißt im Untertitel: “Eine deutsche Affäre”.

Sicher gehört es unter die großen Romantik-Darstellungen, unter die von Madame de Staël, Heinrich Heine und Ricarda Huch. Doch es geht insofern darüber hinaus, als es die Karriere des Romantischen bis hin zu den 68ern beschreiben kann. Und es kommt dabei zu überraschenden Funden.

Zum Beispiel dem, dass es doch eigentlich ein Glücksfall für die Deutschen war, diese so oft beklagte “verspätete Nation” zu sein. Denn nur dadurch konnten sie sich, in einer brillanten Ersatzhandlung, als “Kulturnation” vorweg etablieren, was zu jener Wissensexplosion führte, die aus Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts den modernsten Staat der Welt machte.

Die geläufige Verknüpfung des Finster-Romantischen mit dem düsteren Pomp der Faschisten und ihren Vernichtungsorgien kann dagegen verabschiedet werden. Im Holocaust sieht Safranski ganz plausibel eher das Toben einer “brutalisierten und banalisierten Form eines pseudonaturwissenschaftlichen Denkens” als eine verunglückte Romantik (siehe Interview Seite 176).

Dabei ist das Romantische weit weniger gemütlich, als es all jene Hoteliers in der Welt insinuieren, die Blümchentapeten-Pensionen “romantic” nennen. Es ist eine kämpferische Haltung, und daher ist auch Safranskis Buch ein Schlachtengemälde. Es geht um die Abenteuer von Begriffen. Um Entdeckungsfahrten des Geistes.

Das Interesse an Romantikern ist bereits erheblich stimuliert. Schon im vorigen Jahr setzte Gisela Kraft den Schlussstein zu einer Romantrilogie über Novalis. Gerade erschien eine furiose und witzige Abenteuerei um den Romantiker Achim von Arnim und seine spätere Frau Bettina Brentano im “Erlkönig-Manöver” des jungen Robert Löhr**. Der Germanist Gerhard Schulz erschließt das Rätsel Heinrich von Kleist in einer virtuosen neuen Biografie***. Auch Jens Bisky hat sich soeben an einer Kleist-Darstellung versucht****.

Safranski nun entdeckt in den Romantikern die Archetypen der Protestkultur. Dieses Hinterhaus an der Leutragasse in Jena, es ist das Modell für alle weiteren antibürgerlichen Provokationen, und es ist so viel hochkarätiger besetzt als die Kommune 1.

Die schöne Caroline Böhmer, eben noch als Revolutionärin in Mainz inhaftiert und eine Weile verbrannt für die feineren Kreise, heiratete August Wilhelm Schlegel, den genialen Shakespeare-Übersetzer. Sie wird angehimmelt von dessen Bruder Friedrich Schlegel, der übrigens der weitaus Interessantere ist, doch dann verguckt sich Caroline in Schelling, was ihr Mann wiederum toleriert.

Und Friedrich Schlegel? Heiratet die geschiedene Dorothea Veit, Tochter des Aufklärers Moses Mendelssohn. Er lebt mit ihr und mit den anderen beiden – und das ist erst die Stammbesetzung der Kommune.

Wie philosophisch auftrumpfend sie beginnen: mit Fichte, der ab 1794 den Jenaer

Vorlesungsbetrieb aufmöbelt, ein rothaariger Feuerkopf mit schneidender Kommandostimme, die keinen Widerspruch duldet. Der romantische Kult ums Ich findet in Fichte seinen ersten großen Propheten, und wie alle Propheten war er unverhofft erwählt worden.

Als junger Viehbursche war er von seinem Gutsherrn, dem Freiherrn von Miltitz, dabei belauscht worden, wie er die Sonntagspredigt des Pfarrers Wort für Wort wiederholte. Er spendierte ihm daraufhin Schule und Brot.

Nach seiner Studienzeit in Jena verdingt sich Fichte als Hauslehrer und reist zu Kant nach Königsberg, der bereits alt und berühmt ist und, umlagert von Bewunderern, keine Zeit für ihn hat. Worauf Fichte sich

zurückzieht und innerhalb von 35 Tagen die Schrift “Versuch einer Kritik aller Offenbarung” verfasst, die er Kant zustellen lässt.

So sehen spektakuläre akademische Karrieren aus: Kant ist so beeindruckt, dass er dem jungen Radikalen einen Verleger besorgt, und Fichte ist schlagartig berühmt – lange vor Herbert Marcuse ist Johann Gottlieb Fichte der erste philosophierende Hörsaal-Guru.

Hölderlin ist von ihm begeistert, Novalis und Schelling sitzen in seinen Vorlesungen, Hegel und Schopenhauer übernehmen wesentliche Erkenntnisse für ihre eigenen Systeme.

Fichte spricht vom Ich wie von dem lebendigsten Wunder, und um es zum Leuchten zu bringen, zwingt er seine Studenten zu einem skurrilen Experiment: Sie sollen auf die weiße Wand des Hörsaals schauen, auf das gegenständlich-kalte Nicht-Ich, um sich so als davon Unterschiedene zu erleben – als kreative Feuerwerke eigener Welt-Vorstellungen!

Bald muss sich Fichte gegen Atheismus-Vorwürfe und den Verdacht des Umstürzlertums verteidigen. Er gilt als Verführer der Jugend. Besorgte Väter fordern das Eingreifen der Obrigkeit. Hat man diesen Generationskonflikt nicht auch 1968 gehabt?

Fichte wehrt sich in einer Flugschrift gegen die Angriffe, die Studenten scharen sich um ihn. Schließlich hat Herzog Carl August die Entscheidung zu treffen in diesen ersten deutschen Studentenunruhen, er lässt sich von Goethe beraten, und der plädiert im Sinne der beste-

henden Ordnung. Fichte muss die Universität verlassen.

Doch das Romantische hat längst gesiegt. Wie die Pariser Studenten hatten die Jenaer Frühromantiker gefordert: Die Phantasie an die Macht. Es wimmelt vor Genies.

Da ist Wackenroder mit seinen “Herzensergießungen”, da ist Brentano, da ist vor allem Ludwig Tieck, der vor Romanen und Schauernovellen und Märchen und Dramen nur so sprudelt. Er liest die Bibel mit vier, und mit zehn kennt er Goethes “Götz von Berlichingen” auswendig, früh kann er alles. Für zwei seiner Lehrer arbeitet er in einer Art Literaturfabrik, die den gerade entstehenden Massenmarkt der Literatur beliefert – er ist Spezialist für Landschaftsschilderungen, Psychologisches, Romanschlüsse.

Die Romantik treibt die deutsche Lesekultur zur Blüte. Und hier ein Loblied auf die deutsche Ereignislosigkeit jener Jahre: Im Krähwinkel haben geborgte Abenteuer Hochkonjunktur. Das große geschichtliche Drama spielt beim Nachbarn, also besorgt man sich das große dramatische Gefühl aus Büchern.

In den Jahren der Frühromantik, also zwischen 1790 und 1800, erscheinen zweieinhalbtausend Romantitel auf dem Markt – so viel, wie in den 90 Jahren zuvor. Tieck dichtet die modernsten Potpourris, doch dann wird er alt und dick und heiter, und Heinrich Heine kommt später aus dem Lachen nicht mehr heraus, als er dem Pariser Publikum in seiner “Romantischen Schule” davon erzählt. Heine: “Der liebe Gott ist doch immer noch ein größerer Ironiker als Herr Tieck.”

Das nun wieder durchzieht die Romantik und das Romantische von Anbeginn an: Die meisten der einstigen Matadore müssen sich irgendwann als Renegaten rechtfertigen. Der Kult, der das Romantische umgibt, ist nun einmal der Kult der Jugend. Goethe schreibt darüber in seinem zutiefst romantischen “Faust II”: “Hat einer dreißig Jahr vorüber, / So ist er schon so gut wie tot, / Am besten wär’s, euch zeitig totzuschlagen.” Das übersetzen The Who mehr als ein Jahrhundert danach in ihrem Hit “My Generation”: “Hope I die, before I get old.”

Romantik ist der erste Pop, und er wird perfekt verkörpert von der sanften, schönen Gestalt des Friedrich Freiherr von Hardenberg, der sich “Novalis” nennt – für die Nachwelt von seinem Genie genauso überglänzt wie von seinem frühen Tod.

Mühelos steht er in den Salons, mit ernstem, schmalem Gesicht, farblosen grauen Seher-Augen, geliebt von allen, und er ist es, der die Technik der Romantik auf den Begriff bringt: “Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.”

Er stirbt mit 28 Jahren, niedergestreckt von der Tuberkulose, mit der er sich womöglich bei der Pflege des kranken Schiller angesteckt hatte.

An Novalis lässt sich die Aktualität der Romantik mühelos erklären. Seine Schrift “Die Christenheit oder Europa” ist der erste utopische Entwurf einer europäischen Wertegemeinschaft, allerdings in feinstem mittelalterlichem Faltenwurf.

Religiosität ist eine Unterströmung der Romantik. “Romantik”, so Safranski mit einer seiner treffenden aphoristischen Zuspitzungen, ist die “Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln”.

Novalis verliebt sich in die 13-jährige Sophie von Kühn, und als diese stirbt, will er ihr hinterhersterben durch nichts als Willenskraft. Er ist davon überzeugt, dass so

was geht. Er setzt sich eine Frist von einem Jahr, und er weiht seine Freunde ein, und in seiner Todessüchtigkeit ist er der schwarze Prinz des Pop und verwandt mit allen, die ihm folgen werden. Er ist ein Opiumesser, und seine “Hymnen an die Nacht” sind nur so verständlich. Er ist der Jim Morrison des ausgehenden 18. Jahrhunderts: “This is the end, my only friend, the end …”

Er studiert Bergbau, er steigt in die Grube, er ist besonnen und umsichtig, doch das hindert ihn nicht, untertage, im Schoß der Natur, seine wesentlichen Visionen auszuträumen. Dort unten lässt er den einflussreichsten Roman der Romantik beginnen, den “Heinrich von Ofterdingen”, der am anderen Ende eines unterirdischen Sees die blaue Blume erblickt: “Die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte.”

Die Blume ist ein Traumbild, doch Heinrich bricht tatsächlich auf, um nach ihr zu suchen, und als die Frage auftaucht, wohin die Reise geht, heißt die Antwort: “Immer nach Hause.” Romantiker sind im Wunder zu Hause, durch alle Zeiten.

Die Geistesgeschichte der Romantik ist ein Entwicklungsroman. Die Romantik hat eine Jugend, und die Romantik wird erwachsen, und sie lernt, wie sich Wunder und Realitätssinn verknüpfen lassen. Bürgerliches Standbein, poetisches Spielbein, das lässt sich bestens demonstrieren an Eichendorff und E. T. A. Hoffmann, die tagsüber Regierungsräte sind und nachts die Poeten der Wälder und der Schwärze.

Besonders Eichendorff wird das Publikum in diesem Herbst beschäftigen, wenn neue Editionen zum 150. Todestag erscheinen und die Deutsche Grammophon eine beeindruckende 10-CD-Hörbuch-Edition seiner Gedichte und Geschichten herausbringt. Hier lässt sich feststellen: Je dramatischer sie gelesen werden, desto verfehlter wirkt der Vortrag, denn Eichendorffs vermeintlich schlichte Formeln sind leise hermetische Protestgebilde.

Immer wieder umkreisen sie ein unnennbares Weh, einen Verlust, der sich nur in Naturbildern beschwören lässt.

“Ich hör die Bächlein rauschen

Im Walde her und hin,

Im Walde in dem Rauschen

Ich weiß nicht, wo ich bin.”

Diese Landschaften gibt es so nicht. Es gibt sie nur in diesem unendlichen Murmeln von Bächlein und Blümlein, es gibt sie nur im Atlas der Poesie.

Für die Politik taugt die Romantik nicht, weder für den Staatsakt noch für den Umsturz. Sie herrscht im Zwischenreich der Poesie, und keiner formuliert das so hinreißend wie Heinrich Heine. Im Innern ist der Sänger der Loreley ein Revolutionär, doch gleichzeitig graut ihn die Vorstellung von der Machtergreifung durch die PolitKommissare und Menschheitsbefreier, und genau das war sein Streitpunkt mit Börne und dem ganzen Jungen Deutschland: “Die Nachtigallen, die unnützen Sänger, werden fortgejagt, und ach! mein ‘Buch der Lieder’ wird der Krautkrämer zu Tüten verwenden …”

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts taucht das Romantische ab. Die Wissenschaft, der Empirismus, der Ökonomismus, der Positivismus – all diese robusten Zukunfts-Ismen feiern Triumphe. Heinrich Czolbe, Arzt und Philosoph, dekretiert, es sei eine “Anmaßung”, wenn man “den Menschen durch Beilegung eines übersinnlichen Teiles zu einem über die Natur erhabenen Wesen machen” wolle.

Der Geist – wie vertraut das klingt! – soll nun nichts als Gewebe sein. Man kann ihn aus dem Gehirn schneiden und anschauen. Allerdings, und das ist eine hübsche romantische Ironie, kommt auch der blanke Materialismus nicht ohne Glaube aus; es ist der Glaube an den Fortschritt.

Das Romantische wandert aus der Literatur aus. Es sucht sich neue Verzückungsspitzen in der Musik, in den Wagner-Opern, in denen Friedrich Nietzsche die dionysischen Feiern der Alten wiederfindet. Doch dann wendet sich Nietzsche mit Grausen ab, 1876, als er sieht, wer da auf den Bayreuther Hügel pilgert, die Kaiserfamilie und die Industriebarone und Wagners Hofstaat mittendrin.

Seine eigene Religion ist die der radikalen Diesseitsüberglänzung. Das Leben selbst wird nun zur romantischen Kategorie. Nietzsche verdämmert, doch sein Zarathustra wird zur Lichtfigur der Jahrhundertwende, zum Propheten eines neuen romantischen Jugendkults.

Hundert Jahre nach dem Jenaer Aufbruch sind es erneut die frühromantischen Theoreme Fichtes und Novalis’, die die Jugend entzünden. Gustav Landauer gründet mit anderen die “Neue Gemeinschaft”, Rudolf Steiner propagiert die ganzheitliche Erziehung. Man veranstaltet Gelage auf Tigerfellen, lyrische Beschwörungen mit Panflöten, George organisiert seinen “ästhetischen Staat”.

Und dann zieht der romantische Geist mit den Wandervögeln in den Krieg, hochgestimmt und überdrüssig der langen satten Friedensphase, ganz nach Rilkes Versen: “Endlich ein Gott. Da wir den friedlichen oft / nicht mehr ergriffen, ergreift uns plötzlich der Schlacht-Gott.”

Und so, ergriffen, verbluten sie in den Schützengräben.

Und als der Krieg zu Ende ist und die Verkrüppelten und die Heimatlosen zurückkehren

in die Trümmer der alten Ordnung, da erfasst der romantische Geist die Münchner Räte-Revolutionäre. Sie sprechen tatsächlich von einer Blumen-Revolution und nehmen damit den Summer of Love in San Francisco vorweg: Per Erlass ordnen sie die Verwandlung der Welt in “eine Wiese voll Blumen” an, “in der jeder seinen Teil pflücken” könne.

In jeder zweiten Stadt tritt nun ein Inflationsheiliger auf, ein neuer Messias, ein Bhagwan mit Gefolge, und eine der wunderlichsten romantischen Erhebungen geschieht in Thüringen.

Eine regelrechte Tanzwut bricht im Mai 1920 aus, mit Verbrüderungen und Verschwesterungen, eine Prozession, die angeführt wird von einem kleinwüchsigen Drechsler namens Friedrich Muck-Lamberty, einer Christus-Figur in Sandalen.

Nicht wenige Historiker werden später argumentieren, dass die Romantik in ihrer Vernunft-Abwertung und Weltfremdheit dem nationalsozialistischen Unheil vorgearbeitet habe. Safranski jedoch weist in der “Romantik” völlig überzeugend nach, dass die Nazis mit dem Kern der Romantik nichts anfangen konnten.

Die Nazis waren nicht vergangenheitsfromm, sondern der Technik zugewandt, sie setzten auf Industrien und Autobahnen und die kriegsbereite moderne Gesellschaft.

Hitlers Gedanken waren wirr? Keineswegs. Sie zogen, so Safranski, mit “unerbittlicher Logik” die “mörderischen Konsequenzen” aus “einigen rassistischen und sozialdarwinistischen Prämissen” jener Tage. Romantisch ist das nicht.

Die Ausnüchterung nach dem Krieg ist ersehnt und tief und folgenschwer.

Die Häuser sind glatte Schuhschachteln, und die Malerei ist abstrakt. Vom gefährlichen Leben hat man genug. Es herrscht eine skeptische und zutiefst rauschfreie Moderne.

Angesichts der Herrschaft des modernen Marktes spricht Theodor W. Adorno von der Totalität des Unwahren. Eine authentische Haltung ist da nur noch in der Negation der Negation zu haben, was bekanntermaßen in der Praxis in eine Art nihilistischen Solipsismus führt.

Doch das Romantische ist nicht besiegt. Es hat nur geschlummert. Und plötzlich bricht es als Welle übers Land, über den Kontinent, über die Welt herein, und wieder bricht ein neues Zeitalter an, und wieder einmal wird in Kommunen und neuer Pädagogik der neue Mensch gebacken. Die Philosophie-Gurus sind Marcuse und Bloch. Und Rainer Langhans und Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann sind die Popstars der neuen Revolte.

Sie sind nicht Novalis oder Schlegel oder Fichte, weiß Gott nicht, eher Taugenichtse aus dem Eichendorff-Wald. Aber sie schaffen es, wie jene, einer Geisteshaltung, einem Lebensgefühl Ausdruck zu geben in ihren Clownereien und Flugblatt-Aktionen.

Safranski: “Jede Generation möchte irgendwann einmal einen Epochenumbruch erleben. Die 68er glaubten, jetzt seien sie an der Reihe.”

Und das ist dann eine durchaus gelungene Schlusspointe in Safranskis Romantik-Darstellung: Wie die 68er sich selber missverstehen. Wie sie mit dickschädligem politischem Vokabular am Zauber des Epochenbruchs vorbeireden. Und von hier aus muss weitergeschrieben werden.

Tatsächlich lässt sich im Rückblick hier ein erneuter deutscher Sonderweg beschreiben, der in der zu erwartenden Welle an 68er Revisionen zu berücksichtigen sein wird: Dutschke, Rabehl & Co., sie wollten wohl Novalis’ “blaue Blume” rot pinseln. Sie gaben sich abgebrühter als die Franzosen und der Rest der Welt. Die Pariser Studenten nahmen 1968 in ihren Graffiti pure Novalis-Romantik in ihr Programm auf: “Le rêve est réalité.” Novalis: “Die Welt ist Traum / Der Traum ist Welt.” Die Deutschen ließen sie draußen.

Die Romantik der Deutschen hat also ohne deren Einwilligung Weltkarriere gemacht. Sie war in Haight-Ashbury, wo sie in Naturschützer und Sinnsucher und Kiffer gefahren war, genauso virulent wie in Prag, wo sie den Aufstand der Kunst und der Jugend gegen ein versteinertes stalinistisches System beflügelte. Sicher gab es auch in Deutschland Momente der “schönen Verwirrung der Phantasie” (Friedrich Schlegel), doch das romantische Revival von Blüten und Aufbruch verendet schnell, wenn der politische Terrorismus übernimmt, der Nihilismus, die Verachtung.

Die Romantik aber darf uns nicht verlorengehen. Sie sollte der Versuchung widerstehen, nach der politischen Macht zu greifen, doch sie sollte sich einmischen ins Leben.

Sie ist es, die uns über uns selbst hinausführt. Die den Sinn hineinsenkt in das Abenteuer Leben. Die es – in ihrer Verzauberungskraft – erst lebenswert macht. Safranski: “Ihre entfesselte Einbildungskraft gibt uns die Spielräume, die wir brauchen, falls wir mit Rilke bemerken,

,Dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus

sind

in der gedeuteten Welt’.”

Und genau das ist die Lage. Heute.

Also lasst uns romantisieren!