LEGENDEN

 

Siegen mit Ali

Die Nacht, in der wir George Foreman k. o. schugen

Mit den Fotos meines Freundes, der leider zu früh verstorbenen Stern-Fotografenlegende Volker Hinz

 

Wir wollten ihn noch einmal siegen sehen. Wir brauchten diesen Sieg. Und als er es tatsächlich geschafft hatte in dieser afrikanischen Voodoo-Nacht, diesem Wahnsinn aus Soul und Leopardenfellen und Schlachtgesängen – „bomaye, töte ihn”, riefen die Fans in Zaire – da waren sieben Jahre sinnlosen Wartens ausgelöscht. In dieser Nacht zum 30. Oktober 1974 wurde der große Betrug annuliert: Muhammed Ali war wieder Meister aller Klassen, der Größte, der Champ.

Muhammed Ali, der furchtlose Drachentöter. Zu seinen Füßen das Monster. Ein paar Schrecksekunden lang sah es so aus, als käme Foreman wieder hoch, und als begänne der Alptraum erneut. Doch dann war es vorbei, endgültig, und wir bastelten einen weiteren Joint.

Foreman brauchte lange, um sich von dieser Niederlage zu erholen. Heute ist er ein freundlicher Buddha und Muhammed Ali ein kranker Mann mit Götzengesicht, und einige meiner Freunde sind tot und andere Generalvertreter für Baumaschinen in einem endlosen Leben.

Doch damals ging es ums Ganze. Wir saßen um den Fernseher herum wie um ein Lagerfeuer in der nächtlichen Wildnis eines besetzten Hauses und waren für Muhammed Ali wie jeder zweite auf der Welt. Wir waren unter hundert Millionen Zuschauern von New York über Kapstadt bis Tokio, und wahrscheinlich sahen auch Aborigines zu und Walfänger am Polarkreis. Jeder hatte seine eigene Rechnung zu begleichen, und wir hatten unsere. Wir hatten das Haus, das seinem Abriss durch eine ehrliche Betonbirne entgegenächzte, nicht direkt besetzt.

Es war keine politische Landnahme. Man duldete uns. Wir wohnten umsonst.

Es gab ziemlich vieles umsonst damals, und wir hatten uns an die moralischen Siege gewöhnt, die einem in den Schoß fallen, wenn man jung ist und auf der Seite der Entrechteten kämpft, die zufällig immer die eigene ist.

Die Gesellschaft schuldete uns, so wie sie Muhammed Ali den goldenen Gürtel schuldete, denn Ali war Jugend schlechthin, der Gott der Jugend, die ewige Pubertät. Wir waren verdorben durch die Triumphe Muhammed Alis in den sechziger Jahren und unsere eigenen, aber beide lagen in der Vergangenheit.

Die Wahrheit war, dass es sich ausgetanzt hatte und die plattfüßigen siebziger Jahre dabei waren, das alles zu annulieren. Die Party war vorbei, all diese ewigen Sit-Ins mit Lederfransen, Vietnamkitsch und Mädchen in Batikleibchen, und die bleierne Zeit hatte begonnen mit Drogentod und Terroristenirrsinn. Willy Brandt war zurückgetreten, man sprach von „Tendenzwende”, und die Frauen trugen hässlichen, züchtigen

Schlabberlook.

Doch mit dem „Rumble in the jungle”, diesem großen Tamtam im Herzen Afrikas, erlebten die sechziger Jahre ihr Satyrspiel. Noch einmal, in ironischer Überhöhung, trat das Schöne gegen das Hässliche, das Gute gegen das Böse an. Ali sollte seinen Titel wiederbekommen, der ihm von den Mächten der Finsternis 1967 geraubt wurde, weil er sich geweigert hatte, nach Vietnam zu gehen. Diese Rechnung war noch offen, ein letzter, nostalgischer Sieg war zu holen.

Es war ziemlich wirr, was wir uns damals zwischen Pot und Wein, Suhrkamp und Soft Machine zusammenphantasierten, aber es lief darauf hinaus: Wenn Ali es doch noch schaffen sollte in dieser Nacht, sich den Titel zurückzuholen, hatten wir die ganze Zeit recht gehabt. Dann war bewiesen, dass es Dinge umsonst gab, einfach weil man jung war und damit auf die Seite der Genialen und Schönen gehörte.

Es sah allerdings nicht danach aus. Foreman war ein Knochenbrecher, und Ali hatte sich als sterblich gezeigt in den Kämpfen zuvor. Irgendwie ahnten wir: Wenn Ali wieder verprügelt werden würde, würden auch wir über kurz oder lang vom Leben Dresche beziehen.

Was wiederum bewies, dass wir von den Regeln im Ring so wenig verstanden wie von einem geregelten Küchenplan, denn es war einige Zeit her, dass Muhammed Ali das Boxen, diese Schufterei am Sandsack, mit Witz und Schnelligkeit und Anmut zur Kunst transzendiert hatte. Die Wahrheit war, dass er Gewicht zugelegt hatte und langsamer geworden war, und auch wir waren keine sechzehn mehr.

Doch für uns war der Mann, der in dieser Nacht in Kinshasa in den Ring stieg, immer noch die Erinnerung an die Tage der Schwerelosigkeit. Er war die Verschmelzung von Politik und Pop. Er war immer noch Ali, der Kriegsdienstverweigerer, und Ali, der Sonny Liston in der ersten Runde ausgeknockt hatte, und er war Ali, der erste Rapper, der das Establishment in Stegreif-Reimen verhöhnte, denn alle seine Gegner waren Establishment, und daher waren sie auch unsere Gegner.

In Afrika war er auf der Höhe der Kunst als Manipulator in einer wochenlangen Psychoschlacht. Da war der „Jahrhundertkampf”, die 15-Millionen-Rekord-Börse, die kurzfristige Verschiebung des Kampfes, da waren all die unglaublichen Presse-konferenzen. Ali verspottete Foreman in Versen, er war der Meister der rituellen Droh- und Schreispiele, ein afrikanischer Griot auf dem globalen Dorfplatz, er studierte die Schlacht-gesänge ein: bomaye, töte ihn. Und am Ende war Foreman – weiß.

Tatsächlich: Foreman war weiß, und wir alle waren schwarz.

Mit Ali kämpften die Entrechteten und die, die hip waren. Auf Alis Seite standen Norman Mailer, Sammy Davis, Henry Fonda und James Brown. Foreman dagegen hatte deutsche Schäferhunde und war ein Schläger. Wer gegen Ali antrat, kam aus dem Lager der Unterdrücker. Man hielt Foreman vor seiner Ankunft in Zaire tatsächlich für einen Weißen – ein Beweis für Alis manipulatorische Magie.

Natürlich war das alles unfair. Alle anderen waren schwärzer als Ali. Es war Frazier, der aus dem Ghetto kam, und es war Foreman, der sich gegen Vorstadt-Straßengangs an die Spitze prügelte. Ali dagegen war Mittelschicht, war schon mit zwölf der Wunderknabe, mit 17 das Boxgenie, mit 18 Goldmedaillengewinner. Es waren elf weiße Geschäftsleute, die Anfang der sechziger Jahre in ihn und sein Training investierten. Ali war durch und durch Mittelklasse, doch genau deshalb gelang es ihm so leicht, sich als unser Idol zu etablieren in einer Revolte, die eine der Mittelklasse-Kinder war. Ali war cool. Foreman war es nicht.

Ali war ein ironischer Künstler, doch wie er für uns in dieser Nacht siegte, das war der Gipfel der Ironie. Wir wollten ihn noch einmal tanzen sehen, und er gewann – plattfüßig. Kein Tänzer, sondern ein Kämpfer, der mit beiden Beinen auf den Brettern stand. Ein Boxer in den siebziger Jahren.

Und wie er den Kampf gewann! Er ging tatsächlich durch die Hölle. Die paar Shuffle-Schritte in der ersten Runde – wie ein Zitat aus alten Zeiten. Und dann stand er platt auf den Sohlen.

Er schlug seine Jabs nicht nur mit links, sondern auch lässig mit rechts und öffnete damit die Deckung kilometerweit. Er provozierte Forman. Und dann stellte er sich in die Seile und steckte ein.

Tatsächlich, er provozierte den Vulkanausbruch und stand in einer Lava aus Schlägen. Er bezwang seine Angst vor dem Schlimmsten dadurch, daß er sich mitten hineinstellte. Und das Schlimmste waren Foremans Mörderhaken, war seine schiere Kraft. Drei, vier Runden lang setzte er sich dem aus.

Dann hatte er es überlebt, und Foreman war ausgeglüht.

Nun wurde Ali aktiv, er stach zu, mit links, mit rechts, er traf genauer, er ging hinein in Foreman, tänzelte wieder heraus, und plötzlich gingen die Runden an ihn. Und dann, in der achten, dieser Schlag, den Foreman nicht kommen sah

Ich kann nicht sagen, dass ich mich je für die Black Muslims interessiert hätte. Ali behauptete nach dem Kampf, dass ihm Allah die Rechte geführt hätte. Das hieß, daß auch wir kurzfristig Allah auf unserer Seite hatten. Wie auch immer. Für Sekunden hatte in diesen fürchterlichen siebziger Jahren noch einmal die richtige Seite gewonnen.

Ich verehrte Muhammed Ali schon, als ihn alle Welt noch Cassius Clay nannte und schon den Größten. Damals schickte er sich an, Karl Mildenberger zu vermöbeln. Der Starschnitt der „Sport Illustrierten” von 1966 zeigte Mildenberger mit Brisk-Frisur und dem sanften Stumpfsinn des Opfers, das auf die Hinrichtung wartet, bleich wie ein gepudertes Baby, und dann dieses dunkle, arrogante Gesicht von Cassius Clay, in dem die Schweißtrofen blitzten wie Diamanten, gefährlich, animalisch, ein afrikanischer Prinz.

Er war schlank für einen Schwergewichtler, er war groß, und wenn er beim Auswiegen die Runden prophezeite, in denen er seine Gegner ausknocken würde, war klar, daß er mit der Vorsehung im Bunde war. Größenwahn? Es war etwas anderes.

Es war Ego, ein absolutes, gigantisches Ego, das ihn unverwundet durch die Hölle trug. Dieses Ego hatte Unschuld. Ein Ego, das Gefährdungen ignoriert und recht behält. So etwas ist vielleicht als Kunststudent eine Zeitlang ungestraft möglich, doch im Boxen kann es tödlich sein.

Kein Schwergewichts-Boxer weiß vor dem Kampf, was auf ihn zukommt. Schwergewichtsboxer riskieren ihr Leben, besonders einer wie Ali, der leicht schien und keinen Killer-Punch hatte und sich nur auf seine Reflexe verließ, seine Jabs, mit denen er zustach, immer wieder, um dann wieder hinauszutänzeln aus der Todeszone – float like a butterfly and sting like a bee. Ein untypischer Boxer mit untypischer Körpersprache, einer, der sich nicht hinter die Hügel seiner Muskeln duckte, sondern der aufrecht und fahrlässig auf seine Gegner zuging wie ein Protestmarschierer, den Kopf weit zurück, immer pendelnd, immer unverletzt.

Das war Ali, wie ich ihn im Kopf hatte. Als er 1971 zum Comeback gegen Joe Frazier im Madison Square Garden antrat, war er schwerer geworden, aber ich weigerte mich, seine Besiegbarkeit hinzunehmen, und als er in der 15. Runde zu Boden ging, schaute ich weg. Es war obszön.

Und dann begann das Hoffen, das echte Hoffen, das mit Zittern zu tun hat und zunimmt, je aussichtsloser es ist. Ali war verwundbar geworden, er konnte bluten. Als ihm Ken Norton den Kiefer brach, schien es vorbei. Ali würde die offene Rechnung bleiben, ewig jung in der Erinnerung und eingeschlossen darin wie in Bernstein.

Doch dann gab es weitere Kämpfe, weitere Hoffnungen, ein paar Siege, und schließlich diesen Kampf der Giganten, den „Rumble in the jungle” in Zaire.

Mit diesem Kampf in Kinshasa hatten die sechziger Jahre noch einmal gewonnen, ein paar Atemzüge lang, das Jahrzehnt, in dem jeder Kampf einer der Gesinnungen war, eine Schlacht der Guten gegen die Bösen, der Schönen gegen die Hässlichen, der Entrechteten gegen das Establishment. Alis Sieg in Kinshasa war Erfüllung und Ende des Boxens als ideologischer Krieg. Boxen hörte auf, Kinderkram zu sein und war wieder – Boxen. Seither ist es wieder das, was es vor Ali war: zwei Männer, die sich Schmerz zufügen, die sich dem Tod nähertrommeln. Es kommt nicht mehr auf Allah an oder die rechte Gesinnung. Sondern auf Furchtlosigkeit, Mut und den entscheidenden Schlag.

Was kam danach? Alis dritter Kampf gegen Frazier – eine der härtesten Schlachten der Geschichte, aber – Boxen. Und danach? Boxen. Nicht um das Gute in der Welt, sondern um Millionenbörsen. Wer kann sich noch an Leon Spinks erinnern? Wie heißt der gegenwärtige Weltmeister? Holyfield?

Heute ist Boxen nichts als Boxen. Nicht die schlechteste aller Varianten.

Allerdings – diese rechte Gerade in der achten Runde von Kinshasa tut heute noch gut.