Was sagen die Kirchen zu der öffentlichen Lust an der Pornografie? Es wird höchste Zeit, dass Katholiken und Protestanten dagegen vorgehen – zum Wohl der Kinder. Sie müssen nicht alles wissen.

Claudia Becker: Endlich passiert, worauf alle warten. Die Temperaturen steigen. Es wird richtig heiß. Aber könnt Ihr Katholiken Euch über den Sommer überhaupt so richtig freuen? Für Euch lauert doch überall die Sünde!

Matthias Matussek: Aber wir wissen doch; Gott hasst die Sünde, aber er liebt den Sünder. Ich freu’ mich darauf, wieder mal geliebt zu werden.

Becker: Das kann ich gut verstehen. Ich kann aber auch all die gut verstehen, die lieben und geliebt werden wollen, ohne sich als Sünder fühlen zu müssen, nur weil ihre Liebe beispielsweise nicht der Fortpflanzung dient.

Matussek: Das musste kommen. Also noch mal: ich bin im Ernst nicht homophob, ich hab es nur behauptet, um was klar zu machen. Und: Ich hätte nicht von “defizitärer Liebe” reden sollen, über die kann ich nicht befinden, aber ich weiß, dass es da keine Unterschiede gibt.

Becker: Lassen wir das Thema Homosexualität doch jetzt in diesem Gespräch einfach mal bei Seite. Die katholische Kirche hat ein generelles Problem mit Sexualität. Verhütung, Sex vor der Ehe, der Umgang mit Wiederverheirateten – dass sich der Papst bei seinen Gläubigen über ihr Liebesleben erkundigt, ist ja schon mal ein sehr hoffnungsvoller Anfang und auch, dass auf Synoden darüber gesprochen wird. Aber ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass es einen wirklichen Wandel gibt, der die Diskrepanz zwischen traditionellen Vorstellungen und der Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert überwindet. Finden Sie nicht auch, dass das dringend nötig ist?

Matussek: Ja, stimmt, von Sex verstehen wir nichts, gut dass es so viele aufgeklärte entkrampfte Protestanten gibt. Aber wir waren ja eingangs voller Vorfreude auf den Sommer. Wird langsam Zeit. Dass er sich von uns immer so lange bitten lassen muss.

Becker: Gut, verstehe, Sie wollen nicht über Sex reden. Schade eigentlich. Ich finde nämlich, dass Katholiken und Protestanten in dieser Beziehung vielmehr miteinander reden sollten. Unser Alltag ist total durchsexualisiert, ohne Rücksicht auf Kinder und Heranwachsende, über deren Sensibilität in Sachen Sexualentwicklung sich kaum mehr jemand Gedanken zu machen scheint. Hochgelobte Kinofilme, deren Humor auf dem permanenten Gebrauch von “Fuck”-Wörtern beruht, Dokusoaps wie “Berlin bei Tag und Nacht”, die jedem zu jeder Zeit zeigen, wie Menschen übereinander herfallen, Porno-Seiten im Internet – Kinder werden mit so vielen bedenklichen Vorstellungen von Sexualität überflutet. Die Kirchen müssten sich endlich viel deutlicher für eine neue Moral aussprechen und Initiativen befördern, die aufklären, was Liebe wirklich ist.

Matussek: Da haben Sie recht. Vor allem sollen sie unsere Kinder mit dieser Sexualpädagogik in Ruhe lassen, die ihnen erklären möchte, wie es abgeht und was ein “darkroom” ist. Das muss ein Kindergartenkind noch nicht wissen. Erfahren sie noch früh genug. Das meiste kommt eh wie selbstverständlich.

Becker: Ich bin mir nicht sicher, ob Sexualerziehung im Kindergartenalter überhaupt schon ein Thema sein sollte – jedenfalls nicht, solange Kinder nicht von alleine darauf kommen, Fragen zu stellen. Und wenn sie fragen, ist das nicht die Sache von pädagogischen Fachkräften, sondern der Eltern.

Matussek: Deshalb gehen ja Eltern in Baden Württemberg, wo die grüne Sexual-Pädagogik besonders rigoros zuschlägt, zu Hunderttausenden auf die Straße – und die Politik wäre verdammt gut beraten, diese Demonstranten ernst zu nehmen. Hier mischt sich der Staat mit seinen verbeamteten Weltverbesserern mal wieder in die privatesten Dinge ein. Wie sind Sie aufgeklärt worden? Bräuchten Sie dafür Fachkräfte, die Unterrichtseinheiten vorbereiteten, in denen man ein Bordell einrichtet? Ich habe mit einer Mischung aus Staunen und Neugier alles erfahren, was ich wollte. Das Meiste haben mir Freunde erklärt. Den Rest besorgten die Hormone.

Erschienen am 28.06.15 www.welt.de