In Las Vegas treten in der Nacht zu Sonntag Floyd Mayweather und Manny Pacquiao zum Weltmeisterschaftskampf im Weltergewicht an. Man kann nur für den Filipino sein – schon aus Intelligenzgründen.

In Las Vegas stehen nicht nur zwei Boxer im Ring, sondern zwei Weltanschauungen. Der Kampf steht für zwei Selbstentwürfe. Er soll die Fragen beantworten: Wofür leben wir? Was bleibt von uns? Was geben wir weiter? Religiös: Wer hat Gott auf seiner Seite? Oder mythisch gesprochen: Wer die Moira, das Schicksal? David gegen Goliath, Achill gegen Hektor, Mann gegen Mann, beide stellvertretend für Heere.

Wie befreiend ist so eine Nacht in unserer Welt der komplizierten Kommissionsentscheidungen und Sachvorlagen, der Fragen, ob das Betreuungsgeld um drei Prozent angehoben wird oder ein Waffensystem ausgetauscht, eine Steuer erhoben oder eine andere um zwei Punkte gesenkt wird. Hier geht’s darum: Hau den anderen von den Socken. Komplexitätsreduktion nennen wir das. Das ist das Großartige am Sport. Krieg nach Regeln. Schick den anderen auf die Bretter, der Sieger hat die Wahrheit für sich. Warum? Weil er gesiegt hat. Darum. Rumms.

Lange sah es so aus, als sollte der “Kampf des Jahrhunderts” nicht zustande kommen. Ständig tauchten neue Hürden, neue Forderungen, neue Vertragspartner auf in diesem Megadeal zwischen Promotern und TV-Anstalten und den Kämpfern selbst, von denen Floyd “Money” Mayweather wohl der problematischere war. Manny Pacquiao, ein Filipino, hat im Fernsehen erzählt, wie die Fighter schließlich unter vier Augen verhandelten und wie es doch noch zu einer Vereinbarung kam: Pacquiao hat einfach alle Forderungen seines Gegners akzeptiert.

“Money” Mayweather, der als reichster Sportler der Welt gilt, soll sich mal an einem einzigen Tag 31 Limousinen bei seinem Hollywood-Dealer bestellt haben. Und dann sehen wir ihn auf den Marmorböden in seiner Villa skaten, endlose Fahrten durch endlose Zimmer, alles meins, meins, meins. Über all das hat Paquiao gelacht, er hat sich ausgeschüttet vor Lachen, denn er hat die Einsamkeit und die Verzweiflung darin gesehen: Wenn er alles gekauft hat, der Mayweather, was bleibt dann?

Er hat das Gebetbuch des Kapitalismus hoch- und runtergebetet, Geld, Geld, Geld, und trotzdem scheint ihm etwas zu fehlen zum Glück. Man sollte wissen, dass Mayweather bei den Buchmachern favorisiert wird, aber nach diesem Interview war klar, dass Pacquiao gute Chancen hat. Weil er der Intelligentere ist.

Aus dem Slum nach oben geboxt

Im Grunde ist die Wahl klar. Natürlich muss man diesem Mann aus Manila die Daumen drücken, der sich aus dem Slum nach oben geboxt hat, um seine Familie zu ernähren, der eine Zeitlang durchdrehte, wie wohl jeder es täte, als die erste goldene Welle des Erfolgs auf ihn zurollte und ihm die Füße wegriss, der sich dann besann und seinen Glauben wiederentdeckte (die Philippinen sind ein katholisches Land, Papst Franziskus stellte in Manila mit einer Messe vor sieben Millionen einen Besucherweltrekord auf) und in die Politik ging, um Schulen und Waisenhäuser zu bauen für die, die nicht sein Glück hatten.

Glück hatte er, aber auch Stamina und die Fähigkeit, mit seinen Fäusten Trommelfeuer zu veranstalten in einer Schlagfrequenz, die bisher ungesehen war, selbst in der leichten Welterklasse. Wenn Pacquiao boxt, ruht das Land und versammelt sich vor den Fernsehern. Er ist Volksheld, und wenn er mal verlor, durch eine mehr als zweifelhafte Ringrichterentscheidung, tat er das mit Stil. Die Nation weinte, aber er akzeptierte das Urteil ohne Murren und ließ im Rückkampf keinen Zweifel daran, wer der Bessere ist.

Nicht, dass Mayweather nicht auch den Dienstboteneingang ins Leben in New Jersey nehmen musste. Mutter und Tante sind Junkies, der Alte verdient nachts als Dealer den Überlebensbedarf. Doch der Vater ist auch Boxer, der Großvater ist einer, beide haben Titel gewonnen. Sie schleppen den Kleinen ins Fitnessstudio, er hat Talent, Boxen ist der Weg, die Schule des Lebens.

Es hilft, ihn von der Straße fernzuhalten. Der Kleine ist gut und trainiert wie besessen, die blingbehängten Rapper geben die Devise vor, er wird reich. Er scheitert im Halbfinale der Olympischen Spiele 1996 von Atlanta in einem umstrittenen Urteil am Bulgaren Todorow. Im gleichen Jahr wird er Profi, verliert keinen einzigen Kampf mehr und wird unermesslich reich. Seitdem nennt er sich den “Größten”.

Progressive Muskelschwäche

Das kann natürlich nicht so stehen bleiben im Kopf von Manny Pacquiao, weshalb der Coach Freddie Roach, dem eine progressive Muskelschwäche zu schaffen macht, mit der gepolsterten Trainingsschürze in der Ringecke steht und Pacquiao sich an ihm abarbeiten lässt und ihm immer wieder jene obskuren Amateure nennt, die Mayweather auf die Bretter geschickt haben. Mantra: Er ist nicht unbesiegbar. Das ist es: Money ist doch nicht unbesiegbar. Wäre das nicht endlich mal ein Trost für die, die keines haben?

Wir sehen Pacquiao im Kreis seiner Großfamilie und Freunde und Bekannten. Wenn er morgens zu seinen Trainingsläufen in Los Angeles aufbricht, sind da Dutzende unterwegs, einer ist mit seinem Sohn von San Francisco heruntergekommen. Und dann der Kreis, in dem Dehnübungen gemacht werden: Hunderte. Und weiter hinten erklärt Hollywoodstar Mark Wahlberg, warum Manny Pacquiao gewinnen wird. Gewinnen muss.

Denn wieder mal geht es hier um mehr als nur Boxen, wie damals beim “Rumble in the Jungle” in Zaire 1974 beim Kampf Muhammad Ali gegen George Foreman. Der Schlachtruf Alis und der der Zuschauer war: “Ali, boma ye!” – Ali töte ihn.

Blitzschnelle Linksrechtskombinationen

Als Muhammad Ali sich Foremans Trommelhagel stellte und überlebte und dann in der achten Runde seine blitzschnellen Linksrechtskombinationen landete, davon neun Kopftreffer – da jubelten wir vom Kommunardenpack los, denn Ali war unser Mann: Kriegsdienstverweigerer, blitzgescheit, witzig, Black Power. Wir vergaßen, dass Foreman den viel härteren Weg aus dem Slum hatte und im Grunde schwärzer war.

Ali war Mittelklasse wie wir, aber er produzierte Gedichte, der erste Rapper; es war seine Zuschreibung, die aus Foreman den Büttel des verachteten Kapitals machte. Und als Ali gewann, gewannen wir alle, wir Schulabbrecher, desertierten Soldaten, Kiffer, Ladendiebe, Runaway-Kids, die wir in diesem besetzten Haus um den Fernseher saßen wie um ein Lagerfeuer und Ali bejubelten.

Dass der Kampf zwischen Mayweather und Pacquiao als der des Jahrhunderts herausposaunt wird, geht völlig in Ordnung. Es ist der des Jahrtausends, der Menschheit, der Mythen und Märchen, der großen Epen. Hell gegen Dunkel, Gut gegen Böse. Das Leben hat diese zwei Kämpfer in die Lichtkegel des “MGM Grand” geschickt und vor die Augen der Welt, der Kameras. Man kann nur für den Filipino sein, schon aus Intelligenzgründen. Auch Muhammad Ali ist es.

Erschienen am 02.05.15 www.welt.de