Das Schicksal scheint beherrschbar geworden: Die Brustoperation der Hollywood-Göttin Angelina Jolie suggeriert, dass es möglich ist, in alle Ewigkeit jung, gesund und schön zu bleiben. Der Mensch wird zur Biomasse ohne höheres Geheimnis.

Angelina Jolie hat ihr beträchtliches Brustkrebsrisiko reduziert, indem sieihre Brüste amputieren und durch die formvollendetsten Prothesen ersetzen ließ, die Geld nur kaufen kann.

Sie hat über ihre Operationin der “New York Times” geschrieben. Kurz darauf war überall zu lesen, dass sie eine “mutige Frau“, eine “Heldin” sei, ihr Vater war “tief bewegt” und mit ihm der halbe Erdball.

Warum eigentlich?

Weil sie vorführte, dass Schönheit auf Tod und Verfall treffen kann? Oder dass umgekehrt Tod und Verfall besiegt werden können?

Warum ist sie mit ihrer Entscheidung derart ins Rampenlicht getreten? Weil sie sich dort am sichersten fühlt?

Als Modell für andere Frauen, sagen wir die Hartz-IV-Empfängerin oder die Kindergärtnerin oder die Lehrerin oder die Friseurin taugt die eisern Makellose mit ihrem Göttergemahl und dem Tross in den Hügeln Hollywoods ganz sicher nicht.

Kalte Makellosigkeit

Sie hatte überdies eine seltene erbliche Anlage, rund 95 Prozent der Brustkrebsfälle dagegen sind auf Umwelteinflüsse und andere Faktoren zurückzuführen. Ihr Beispiel ist keines, das unbedingt nachgeahmt werden sollte, das sagen auch Ärzte.

Warum also führte uns die Hollywood-Aktrice ihre Schnitte in dieser Radikalität vor?

Es liegt eine unangenehme kalte Makellosigkeit auch darin – sie demonstrierte, dass das Schicksal beherrschbar ist. Wenn man es sich leisten kann.

Aber vielleicht ist genau das der Wahn, von dem wir uns befreien sollten. Dass wir, mit entsprechender Reparaturbereitschaft, schön und jung und makellos und gesund sein können in alle Ewigkeit.

Die Göttin hat einer möglichen Erkrankung vorgebeugt und sich einen neuen Busen bauen lassen. Niemand hätte die Operation bemerkt. Daneben es gibt wohl ohnehin kaum noch einen Busen, egal auf welchem roten Teppich, den man noch für echt halten könnte. Ja, was das angeht, auch auf kaum einer Dinnerparty in Hamburg-Harvestehude.

Feministinnen als Backfische

Doch über den Nachbau Angelina Jolies verwandeln sich selbst die humorlosesten Feministinnen nun in Backfische mit kugelrunden Augen. In einer schwer zu entwirrenden Mischung aus schwärmerischem Hingerissensein, einer modernen Lady-Di-Hysterie der Emanzipierten und dem Beifall für ein meisterhaft exekutiertes weibliches Dominanz-Spektakel, wird nun über den Mut rhapsodiert, mit dem die Hollywood-Aktrice ein “Tabuthema” zur Sprache gebracht habe, das heißt: auf den Boulevard.

Tabuthema Brustkrebs? Echt?

In den siebziger Jahren wurde einmal diese ideale “Bild”-Schlagzeile ermittelt, die aus lauter verkaufsfördernden Reizvokabeln bestand. Sie lautete “Deutscher Schäferhund leckt Inge Meysel Brustkrebs weg”. Weder Inge Meysel noch der Deutsche Schäferhund würden heute irgendeinen interessieren, aber der Brustkrebs hat eine Aufmerksamkeitskarriere, die eigentlich nie unterbrochen war.

In Verbindung mit Jolies Makellosigkeit ist sie eine Story.

Doch die Story dahinter ist eine andere, nämlich die, dass, wie Werner Bartens in der “SZ” kommentierte, Jolie und ihr Publikum nun glauben, “mit einer fast naiven Selbstverständlichkeit Leben und Leiden, Krankheit und Tod dirigieren” zu können. Göttergleich.

Zeitstrahl des Lebens

So wird man sich, unter dem Abfang-Radar des sexualisierten Interesse-Verdachts hinwegsegelnd, freuen können auf all die schönen Anlässe, Jolies makellosen Busen zu besprechen.

Ich schätze mal, der “Stern” wird Angelinas Brüste auf den Titel heben. Prominente Frauen erklären: “Wir haben amputiert!” “Focus” kommt garantiert mit “Die 100 preiswertesten Brüste im Vergleich”. In der “Bunte” beginnt die Serie: “So glücklich! Mein Busen und ich”. Den Auftakt macht Verona Pooth.

Allerdings fehlt dann doch ein wenig die männliche Vorsorgeproblematik. Sicher, Prostata lässt sich nicht so schön bebildern, und “Hundert Hoden im Vergleich” mag wohl keiner sehen, es sei denn, Brad Pitt würde… aber das ist, wie man so schön sagt, eher ein long shot.

In ein fahles Licht getaucht wird dieser fiebernde Schlagzeilenrummel im Zusammenspiel mit der anderen Meldung des Tages: Das Klonen von Menschen ist machbar geworden. Der Zeitstrahl des Lebens ist umgedreht, die Wissenschaft hat, so die “FAZ”, die “Reset-Taste des Lebens” entdeckt.

Das Schicksal ist beherrschbar geworden, wenn wir uns nur angewöhnen könnten, uns als pure Biomasse, als Ersatzteillager, als ewigen Genpool zu betrachten. Wir leben einfach immer weiter, unbeschädigt, es sei denn, wir rasen mit dem Auto vor einen Baum wie Camus. Dann ist das Spiel aus.

Zeiten ohne Transzendenz

Wir leben in Zeiten ohne jede Transzendenz, im Diesseitsreich der unbegrenzten wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten. Was wir uns nur an Glück verschaffen können, muss in dieses Leben hinein, sonst haben wir unsere Chance verpasst.

Das führt zu einer dramatischen Seinsverstümmelung, einer trostlosen Eindimensionalität, einem hedonistischen Stress, der schlimmer ist als jede Operation am Busen. Denn wir operieren uns den Zufall heraus. Und damit die Hoffnung, das Glück, die Trauer, den Schmerz. Wir opfern uns als Menschen auf dem Altar der Planbarkeit und totalen Selbstbestimmung.

Warum also hat die streng kontrollierte Jolie, die in den frühen enthemmteren Jahren eine seltsame Schwäche für Schnitte und Blut offenbarte, sich so radikal erklärt?

“Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.” Das schrieb Georg Büchner, der mit 23 an Typhus starb. Er war die alles überblendende Stichflamme der deutschen Literatur, ein Realist, aber auch ein metaphysisches Genie.

Sicher hätte er nach heutigen medizinischen Standards gerettet werden können. Doch er hätte seine Augen nie verschließen mögen: vor dem Schwindel oder dem unlösbaren Rätsel des inneren Menschen.

Erschienen am 17.05.2013 www.spiegel.de