Worüber flachsen Petra Gerster und Bodo Kirchhoff? Wie soll man nach mehreren Wodka noch finnische Bücher lesen? Und wie geht es mit dem “Spiegel” weiter? Ein Rundgang über die Frankfurter Buchmesse.

Bevor wir uns wieder dem Weltuntergang zuwenden, ein paar Notizen zurFrankfurter Buchmesse, der vermutlich letzten. Oder vorletzten. Je nachdem, wie schnell die Digitalisierung voranschreitet – wer braucht Ausstellungsflächen, wenn es um Datenpakete geht? Das lässt sich elektronisch und sehr viel effizienter abwickeln, überhaupt, man braucht kein Papier mehr dazu. Amazon wird übernehmen, wird Texte im Billigangebot und digitalisiert verhökern, das Unwort der Stunde heißt “Flatrate-Lesen”, also schmökern bis zum Umfallen.

Insofern war das Gastland in diesem Jahr nicht ohne Hintersinn ausgewählt: Finnland. Wie wir wissen, besteht Finnland vorwiegend aus Wald und der Wald aus Bäumen, aus denen – na was wohl – Papier für Bücher gewonnen wird. Außerdem ist Finnland berühmt für seinen Wodka, und natürlich denkt man beim Wodka ans Flatrate-Saufen. Mit Finnland konnte also gleichzeitig die Vergangenheit wie die Zukunft der Lesekultur abgefeiert werden. Flatrate.

Mein Kollege Björn Eenboom (“Cicero”) hatte mich bestens präpariert. Mit einer Flasche finnischem Wodka und einer finnischen Fahne (blau-weißes Kreuz), die natürlich sehr an die griechische erinnert (blau-weiße Streifen mit Kreuz), aber alkoholtechnisch sozusagen ein anderer Planet ist (Ouzo).

Bevor wir uns in den Nahkampf stürzten, musste ich allerdings einem Kamerateam des Hessischen Rundfunks Rede und Antwort stehen über meinen unseligen “Homophobie”-Artikel – sollte man sagen: meine Polemik? –, über den doch eigentlich Gras gewachsen sein sollte. Da wurden alte Wunden aufgerissen.

Also mit Team ein Spaziergang durch die Messehallen, in diesem Falle 3 + 4, die schöne Literatur. Mit gebührenden Unterbrechungen an verschiedenen Ausstellungsständen, um zu verschnaufen und die kleinen Gläser zu füllen. Björn hat den Wodka umgefüllt, ich trinke Wasser, der Hessische Rundfunk Wodka.

Am Ende unseres Weges meinte der diensthabende Redakteur und Fragensteller, Herr Gerhardt, dass ich ihn überrascht hätte – ich sei doch sehr viel zahmer, als er sich das vorgestellt habe. Klang ein bisschen enttäuscht. Aber gleichzeitig lächelnd, versöhnlich, was sich der völkerverbindenden Wirkung des finnischen Wodkas zuschreiben lässt.

Wir begaben uns dann in den Pavillon des Gastlandes, das mit dem Spruch “Finnland. Cool” warb. Besser hätte man die Halle nicht auf den Begriff bringen können. Sie war in blaues Licht getaucht wie ein Aquarium und – cool. In diesem Aquarium standen viele Finnen und einige Nichtfinnen, zu denen ich gehörte, aber dank meiner blau-weißen Fan-Fahne und der Wodka-Kipperei wurde ich bald als Finne ehrenhalber adoptiert.

Zudem brachte ich öfter den Namen Kimi Räikkönen unter. Zusätzlich hatte mir Björn einige typische finnische Redewendungen aufgeschrieben, die ich elegant unterzubringen wusste. In diesem Strom an Wodka und Blaubeerlikör, unterbrochen von Lachshäppchen, kam besonders der ganz gut an: “Raja se on raittiudellakin.” Heißt: “Auch Enthaltsamkeit hat ihre Grenzen.” Wurde wissend und lächelnd abgenickt.

Doch auch andere, rätselhaftere wie “Uusi lomi on vanhan surma” entwickelten ihren Reiz. “Der neue Schnee ist der Tod des alten.” Vielleicht ist das dann doch komplexer und zukunftsoffener, als wenn wir davon sprechen, dass Bücher oder Zeitungen, auf jeden Fall: der Druck auf Papier Schnee von gestern sei.

Gestärkt (Lachshäppchen) und bereichert (Wodka und Zuspruch), nahm ich dann die heimischen Stände genauer ins Visier. Jubel bei Hanser, weil sie denNobelpreisträger Modiano im Programm haben.

Jubel allerdings auch bei Winfried Stephan von Diogenes, der entdeckt hatte, dass sie ein Kinderbuch von Modiano im Sortiment hatten. Die Glückslose einer Branche, die in diesen frühen Abendstunden bereits die ersten Champagnerkorken knallen lässt, um für die späteren Veranstaltungen vorzuglühen.

Merkwürdiges Gesumme und Gewimmel. Diese hohen Bücherpyramiden bei den Publikumsverlagen. Diese vornehmen Sortimentgassen bei den Schwergewichten Suhrkamp oder Fischer oder Diogenes. Diese komischen Nichtbücher (Comics, Lebenshilfe, Kochen), die Eventbücher (Hape Kerkeling,Kohl), die wunderbaren Nischenverlage wie die Friedenauer Presse mit ihren bibliophilen Kostbarkeiten. Im Hof wirbt ein Stand für Bibliotels, also Hotels, die tatsächlich heimelige Bibliotheken anbieten. Sieht chic aus, so eine Wand mit Büchern. Kann man kaum ersetzen durch Datenpakete.

Flatrate-Lesen auf blauen Teppichböden. Schon Kleinkinder lümmeln sich da herum und blättern in Kinderbüchern. Dazwischen ein Stand für “Selfpublishing”, Trauben von jungen Menschen, viele Frauen darunter – tatsächlich: Keiner braucht einen Verlag, jeder ist Verleger, die arme Branche wird von gleich zwei Seiten in die Zange genommen, von den Autoren UND den Lesern.

Am Stand der “Zeit” die neue Ausgabe mit dem Titel “Die Wut der Männer”. Weil die sich offenbar irgendwie abgehängt fühlen. Schon vor drei Wochen gab es diese Geschichte von zwei Redakteurinnen über den “angry white man”. Zum letzten Mal, liebe “Zeit”: ICH BIN NICHT WÜTEND, VERDAMMT NOCH MAL. Vor allem nicht jetzt, in der blauen Stunde, wo sich zwischen den Ständen alle in den Armen liegen. Oder sieht das schon nach Wagenburg aus? Nach Solidarität im Untergang, über alle Grenzen hinweg?

Am Stand von Klampen ohnehin in den frühen Abendstunden immer Feierlaune. Dort sitzen Lorenz Jäger (“FAZ”) und Michael Klonovsky (“Focus”) zusammen, die das Schicksal teilen, sich derzeit an neue, alte Vorgesetzte zu gewöhnen. Und dass sie im Karolinger-Verlag publizieren, neben manuscriptum ideologisches, weil rechtes Schmuddelkind der Rezensionsbranche.

Ein paar Kombüsen weiter liegt die imponierende Ausstellungsmeile der Gewerkschaftsjugend, die mit der Kampagne “Respekt” nichts falsch macht. Gegen Rassismus. Für den Frieden. Allerdings hätten sie doch auf den Posterboy Che Guevara verzichten sollen, denn der träumte von der nuklearen Endlösung für den Klassenfeind.

Irgendwann brechen wir auf, bahnen uns einen Weg durch das Gesumme und erleichterte Feierabend- und Vorpartygeschnatter, holen Lorenz Jägers Auto bei der “FAZ” ab und fahren zu einem Italiener, der wunderbare Tagliatelle mit Steinpilzen auftischt. Wir plaudern über die Branche, über finnische Literatur – der immens gebildete Lorenz Jäger erklärt die Poetologie der finnischen”Kalevala” – und dann über Islamophobie und den Untergang des Abendlandes.

Dann weiter zu Joachim Unselds Party, die am Donnerstag jeder Messe die schönste ist, weil man sich ja sonst nie sieht. Ich verpasse die Lesung der jungen Georgierin Nino Haratischwili, aber sie ist noch da und mit ihr eine Unmenge weiterer attraktiver Frauen – Julia Stoschek im Mädchen-Strick, Katja Kessler in Leder, die Petrowskaja in Schwarz.

Petra Gerster albert mit Bodo Kirchhoff herum. Ach, da ist Julia Voss und irgendeine Blonde, und ich fotografiere mit meinem neuen Neid erregenden iPhone und denke mir, dass Modefotograf eigentlich auch schön gewesen wäre, aber nun ist es wohl zu spät.

Ach ja, die Zeit. Ach ja, die Kollegen, die neuen und die alten. Die lustige und listige Elke Schmitter, die wieder was trägt, was sie als Frisur bezeichnet, diesmal allerdings ohne Essstäbchen im Haarnest. Hat sie nicht auch den Eindruck, dass mit dieser Messe was zu Ende geht, egal was? “Früher war mehr Lametta”, lächelt sie, unwiderstehlich.

Und, wie wird es mit dem “Spiegel” weitergehen? Wie sie sich da fühlt, auf der “Titanic”, auf dem Weg zum Eisberg? “Ich bin dagegen”, sagt sie fröhlich. “Gegen alles, aus Prinzip.” Volker Hage wirkt melancholisch. Für ihn ist es ohnehin die letzte Buchmesse, er scheidet aus. Hat sich mit einem wunderbaren Kafka-Titel vom “Spiegel” verabschiedet.

Traurig, traurig. Allerdings nicht so traurig, dass mir Martin Lüttge und diese blonde Autorin entgehen, die in so einem schwarz-weißen Pierrot-Kleid in die Ferne schaut. Sie sieht aus wie eine finnische Elfe, stammt aber aus Schleswig-Holstein und hat einen 600-Seiten-Roman über ihren Großvater geschrieben, einen umwerfenden, berüchtigten Nachkriegsgauner namens Diamanten-Eddie. Sabine Kray. Wir versprechen uns, uns unsere Bücher zu schicken. So geht das auf einer Buchmesse.

Schließlich rollt irgendeiner noch einen Joint, der im Garten für großen Anklang sorgt, und so verdämmert diese letzte oder vorletzte aller Buchmessen fröhlich relaxed in einem seligen Nebel. In dem keine Eisbank mehr zu sehen ist.

Erschienen am 12.10.14 www.welt.de