Eine Ära geht zu Ende: Am Samstag zeigt das ZDF zum letzten Mal “Wetten, dass..?”. Ein Blick zurück in die Zeit der unfassbaren Einschaltquoten, Skandal-Wetten und merkwürdigen Gottschalk-Fragen.

Natürlich wünscht man sich noch eine letzte angespitzte Wette. Vielleicht diese, mit Wettpate Buschkowsky: “Wetten, dass es dem Kandidaten gelingt, zehn Berliner Dschihad-Rapper nur am Augenschlitz zu erkennen?” … nur ein Vorschlag, aber heutzutage versteht ja niemand mehr Spaß.

Machen wir uns nichts vor, “Wetten dass..?” verdient den Gnadenschuss, dieses Gesellschaftsspiel aus der Ära vor iPhone und Serien auf Knopfdruck. Kurz: aus der Ära des Fernsehens. Die Fernsehzuschauer der Nation (in der Mehrheit über 60) und die Medienkritiker (in der Mehrheit bösartig) nehmen schon seit Jahren Abschied und können doch nicht loslassen. Wie Kinder, die festhalten an dem, was sich bewährt hat. Die immer das gleiche Märchen hören wollen, aber werktreu bitte, keine Spinnereien, Papa. Kinder sind konservativ. Das teilen sie mit Programmchefs. Und dem Publikum über sechzig. Was einmal funktioniert, funktioniert immer.

Kinder erzählen sich auch den gleichen schlechten Witz unter lautem Gepruste gern immer wieder. Sie lieben Wetten: “Wetteeen, dass ich die Luft länger anhalten kann als Duhuuu?” Frank Elsner hatte ein Gespür für diese Kindlichkeit. Und für Familienabende. Und für Bürgerlichkeit. All das gab es damals wieder, in Rudimenten. Wie sittsam diese erste Sendung im Februar 1981 war, mit “Ted” und so. Und wie begeistert Frank Elstner immer wieder die Regeln erklärte.

Frank Elstner trug riesige getönte Brillengläser

Als der Spieleerfinder Frank Elstner, der in den 60er-Jahren für Radio Luxemburg genau die Musik auflegte, die wir nicht unbedingt hörten, also Gitte und Rex Gildo, als Elstner also 1981 das große Samstagabend-Familienspiel “Wetten dass..?” aus der Taufe hob, hießen die Studiogäste Curd Jürgens und Barbara Valentin. Also “Des Teufels General” und die Fassbinder-Muse.

Elstner bildete den Brückenkopf von den Eierlikör-Abenden mit Frankenfeld und Lou van Burg, hin zur lockeren Kulturwende, höflich bis zum Anschlag, langhaarig, aber gepflegt.

1981 also. MTV ging auf Sendung. Die Hausbesetzer-Szene lieferte sich in Berlin Straßenschlachten mit den Ordnungskräften, die, wetten dass, keiner so zu nennen gewagt hätte – “Bullen” war die durchgesetzte Bezeichnung. Anwar as-Sadat wurde ermordet, Ronald Reagan Präsident, und die Friedensbewegung nahm hysterisch Fahrt auf, denn der Atomkrieg drohte, und das unter dem aufrüstungswilligen Kanzler Helmut Schmidt – wenn die aufgebrachten Endzeit-Teenager geahnt hätten, dass der zu Ohnmachten neigte! Frank Elstner trug riesige getönte Brillengläser, ein kariertes Sakko und die Haare geföhnt. Und Barbara Valentin wettete, dass ein bayerisches Muskelpaket eine Wärmflasche aufblasen kann, bis sie platzt.

Die Urwette. Simpel. Überraschend.

Barbara Valentin gewann. Sie galt als verruchtes Nachtklub-Luder und trat mit blauer Federboa auf. Nach ihrer gewonnenen Wette wurde sie von dem Muskelmann unter jeder Menge verklemmter Anzüglichkeiten auf den Arm genommen, und Frank Elstner warnte, im Ernst, besonders Kinder, das zu Hause nicht nachzumachen. Er ließ offen, ob er die Sache mit der Wärmflasche meinte oder die mit Barbara Valentin, “das kann zu Verletzungen führen”.

Wenn das einem amerikanischen Sender zugespielt worden wäre, die USA hätten sich über unsere Bündnistauglichkeit ernste Gedanken gemacht.

Musikalischer Star des Abends war Engelbert Humperdinck, er sang den einzigen Hit, den er je hatte: “The Last Waltz”. Selige deutsche Fernsehzeit. Prominente, skurriles Zeug und Showacts. In dieser konservativen Mischung wurde Elstners “Wetten, dass..?” zur größten Show Europas. Sie wurde zu Beginn der Kohl-Jahre zu Wasser gelassen in ein Becken seichter Lifestyle-Fröhlichkeit und traf den Nerv. Sie hatte bald über 20 Millionen Zuschauer. Gegenüber heute fünf Millionen.

Die Amis versuchten ein Imitat unter dem Titel “Wanna bet?” und brachten Geld ins Spiel, aber der Sender ABC hielt angesichts mieser Quoten nur eine Saison durch. Die Briten schafften es unter dem Titel “You bet” immerhin knapp zehn Jahre, was an ihrem Sinn für skurrilen Humor liegen dürfte. Engländer wetten auf alles. Auf Endspieltore oder das Wetter. Auf den Weltuntergang nach dem Maya-Kalender. Einer, Mitte achtzig, wettete darauf, dass er hundert wird. Er gewann.

Die wirklich letzte Wette

Wetten ist urmenschlich. Im alten Rom gab es Wetten auf Hannibal, dass er es nicht über die Alpen schafft – die auf ihn gesetzt hatten, wurden erschlagen, die anderen gegen ihn an die Front geschickt. Osama Bin Laden soll mit seinen Leibwächtern darauf gewettet haben, dass ihn die Amis nie aufspüren werden. Über eine Auszahlung ist nichts bekannt.

Die berühmteste Wette ist wohl die zwischen Gott und Satan um Hiobs Frömmigkeit, natürlich gewinnt der Allmächtige.

Wie kommen wir von da jetzt wieder ins Flache? Vielleicht so: Ich habe die Frage nach möglichen Wetten auf Facebook gestellt, worauf sich dieses muntere und surreale und beschämend blasphemische Palaver ergab:

“Wetten, dass Matussek katholischer ist als Gott?”

“Gott ist wahrscheinlich Muslim”

“Ist Gott nicht alles?”

“Würde mich interessieren, was Precht dazu sagt.”

Es gab nette Vorschläge für letzte Wetten. Einer behauptete, er könne Klitschko im Mikado schlagen. Idiotisch, aber rein optisch sicher nett, diese Nahaufnahmen von Pranken – man hätte wahrscheinlich die Sendezeit überzogen. Ganz hübsch ist auch die Idee, an den Ausrastern Jürgen Klopps den Gegner und den Spielstand und das Datum zu erraten, den Tabellenplatz, den Punktestand und die Verletztenliste. Die meisten Vorschläge indes waren nicht sendefähig.

Frank Elstner schaffte Traumquoten

Offenbar hat man genug von Tennis spielenden Baggern oder Spezialisten für Schweißsocken. Vielleicht eher so: Wetten, dass es der Kandidat, wünschenswerterweise ein Ethnologe, schafft, anhand der Brüste von Femen-Aktivistinnen ihr Herkunftsland zu erraten. Oder den Unterschied zwischen Atomstrom und Biostrom zu schmecken: “Schade, meine Damen und Herren, bei den Proben hat es noch so gut geklappt …”

Was das Schmecken angeht, da steht ja immer noch die Buntstiftwette von “Titanic”-Redakteur Bernd Fritz einsam im Raum, der sich ganz artig beim ZDF bedankt, nachdem er sie alle so großartig und rotzfrech verarscht hat, und Tommy daneben, extrem cool im seinem schwarzen Fantasiestrampelanzug, löst die Chose nett und ohne Peinlichkeiten auf.

Einiges Zweifelhafte schlich sich dann doch bisweilen in den Familienabend. Da war die sehbehinderte Kandidatin, die behauptete, die Farbe von Textilien ertasten zu können. Und die, bei einem nachgeholten Test mit mehren Augenbinden und Dunkel-Brillen, verdächtig oft an denselben herumfummelte.

Frank Elstner schaffte all diese Traumquoten, und übergab an Gottschalk 1987, der die Show erst wie ein Lausbub, dann immer souveräner und freihändiger und unvorbereiteter durch die deutsche Geschichte plauderte und mit ihr in den goldenen Sonnenuntergang ritt. Am Ende war Tommy Las Vegas mit Puffärmeln und Goldlocken. Man nahm ihm ab, mit Shakira befreundet zu sein und zahlreichen anderen Stars, schließlich wohnte er in Hollywood. Man verzieh ihm idiotische Fragen wie die an Netrebko, ob ihr Mann nicht eifersüchtig werde, wenn sie mit Villazón ein Liebesduett singt. Keine Sau interessierte das, am allerwenigsten Gottschalk oder die Netrebko, aber es war egal, es war so, dieses Friseurgeplauder vor zwölf Millionen Zuschauern.

Die Stars wurden gigantischer und die Wetten spektakulärer

Es wurden zehn. Und neun. Allmählich blieben die Zuschauer weg, die YouTube-Generation klinkte sich aus. Obwohl die Stars gigantischer wurden und die Wetten spektakulärer, die Arenen größer – mein Gott, Madonna feierte ihr Comeback bei “Wetten, dass..?”, und Take That nahmen dort ihren Abschied.

Und so ging es immer weiter bis zu jener Wette, die schiefging und den Anlass zum Ausstieg lieferte.

Gottschalk blieb unverzichtbar, dieser ausgebuffte Strahlemann. Gottschalk ist der entspannte Deutsche, so wie Jauch der deutsche Streber ist. Der Streber setzte sich durch. Wer hätte darauf gewettet?

Dass der sehr viel jüngere Markus Lanz an diesem Möbel aus dem vorigen Jahrhundert gescheitert ist, hat entgegen der allgemeinen Auffassung nichts mit ihm zu tun. Er ist ein aufgeweckter Plauderer in kleiner Runde – nur, für die ganz große Samstagabend-Sause hätte ich ihm geraten, sich mal locker zu machen, mit welchen Hilfsmitteln auch immer, aber das, würde der bekiffte Dude aus “Big Lebowski” sagen, “is eben nur … ähm … deine Meinung, Mann”.

Nun isses also vorbei, die Programmchefs basteln an heißem Nachschub.

Nun soll der “Große Preis” wieder aufgelegt werden.

Nachdem sich “Dalli Dalli” in der Neuauflage bereits bewährt hat.

Erschienen am 12.12.14 www.welt.de