Die Deutschen liebten ihr Auto. Jetzt hassen sie es. 

So hätte der junge Zadek, der zynische Großverschwender-Regisseur, den letzten Abend des deutschen Autos inszeniert – wie ebenjene Gala, die vor einigen Jahren in der “Gläsernen Manufaktur” in Dresden ausgerichtet wurde.

Christian Thielemann entlockte der Ouvertüre von Wagners “Rheingold” jenes unverwechselbare Melos, die Weine waren Elblagen oder so, auf jeden Fall deutsch, der Dresscode Smoking, Damen opernlang und ausgeschnitten.

Die Tische dieser funkelnden Abendgesellschaft aus Lokalpolitikern und TV-Sternchen und handverlesenen Presseleuten, also solchen, die im Verdacht der Unternehmerfreundlichkeit standen und ihre Standfestigkeit auch hier unter Beweis stellen würden, die Tische also standen in der Montagestraße.

Stopp, keine gewöhnliche Fertigungsstraße, sie standen auf einem Schuppenband aus Edelholz. Die Taktung für dieses Zweieinhalbtonner-Bonzenauto mit dem Riesendurst, das hier produziert wird, liegt bei 30 Minuten, normal sind 3.

Deutsche Kunst. Deutsche Wertarbeit und Wagner. Das deutsche Auto.

Eine Glasschürze übrigens erlaubt den Passanten in der Dresdner Innenstadt, rein theoretisch, einen Blick in diesen sauberen deutschen Motorraum. Doch es bleibt oft nur bei interesselosen Blicken wie von Museumsbesuchern, die es eilig haben auf dem Weg zum Ausgang.

Der Phaeton hatte schlechte Tage hinter sich. Piëchs Lebenstraum vom perfekten Luxusliner war sehr kostspielig geworden. Vor allem: Dicke Autos hatten bereits damals ein echtes Imageproblem in Deutschland.

Doch bald schon sollten diese ganzen Chinesen zu ganz viel Geld kommen, und sie waren verrückt nach dem Schlitten. Das Geschäft mit dem Phaeton, der heute zu 70 Prozent in China abgesetzt wird, wirkte wie ein Stromstoß. Jetzt wird bald der neue Phaeton 2014 vorgestellt.

In Wolfsburg (wie übrigens auch in München oder Stuttgart) arbeiten sie längst am emissionsfreien Elektroauto. Ja, sie legen eine ganze Bio-Palette vor, allerdings in kleiner Liebhaberauflage und in einem Kostenrahmen, der die Abschreibung in Grenzen hält.

Sie denken den grünen Markt. Aber den gibt es nicht, obwohl er vom gutsituierten grünen Mittelstand in den Redaktionen immer wieder herbeigeschrieben wird. Der moderne Mensch macht sich nichts mehr aus Autos. Außer er kann die der anderen verbieten.

Das ist das Verrückte an dieser neuen Auto-Religion, die sich aus der alten entwickelt hat wie die Reformation aus der prunksinnigen katholischen Renaissance-Kirche. Sie hält sich zurück mit dem Jenseitsglauben, sie wendet sich nach innen und möchte das gute Gewissen hier und jetzt.

Die Lust am schweren Gerät ist exportiert worden. Nach China, nach Russland, nach Indien. Zu Hause dagegen verschreiben sich clevere Manager einer sanften, umweltbewussten Sekte. Wir müssen einen kurzen Blick auf den Erlösungsgehalt dieser neuen Religion werfen. Der Ökogrüne glaubt tatsächlich an die Machbarkeit des Paradieses, mit protestantischem Werkethos. Wir leben nur einmal, aber das wollen wir möglichst komfortabel und mit sanftem Gewissen tun.

Dieses gute Gewissen, und das ist das Schöne, ist durchaus käuflich. Eine Art Ablasshandel. Ich kaufe Bio-Obst, Bio-Stiefel, und der Rest steht in Hannes Jaenickes Leitfaden für alle anderen Grünen, die sich wie er aus unerfindlichen Gründen so sehr in sich selbst verliebt haben, dass sie nie wieder loslassen wollen. Nennen wir es die Religion der Selbstgerechten.

Natürlich verdammen sie die Kanzlerin, dass sie der deutschen Autoindustrie bei den Emissionswerten für Europa geholfen hat.

Aber obwohl die unbestechliche Angela Merkel plötzlich 690 000 Euro Spendengelder aufs Parteikonto verbuchen durfte, und obwohl die Opposition eine Stimmung verbreitete, als wäre hier ein korrupter lateinamerikanischer Despot beim Geschmiertwerden erwischt worden, war sie tatsächlich – unbestechlich.

Als Pfarrerstochter weiß sie, dass man guten Herzens sein, aber trotzdem noch mal nachrechnen sollte. Tatsächlich hat sie die Nöte der Autoindustrie erkannt, auf der unsere Wirtschaftskraft beruht. Gleichzeitig, und das nennt man Politik, hat sie das ehrgeizige Ziel von einer Million Elektroautos bis zum Jahre 2020 verkündet und sich auf der IAA mit Hybridautos ablichten lassen.

Doch sie weiß selbst, dass der Emissionsfetisch gerade bei Autos kompletter Voodoo ist, einer, wie ihn die Naturreligionen so leben. Der World Wide Fund for Nature hat in einer Prognose von 2009 festgestellt, dass selbst, wenn es diese deutschen Bastler und Tüftler und Teufelskerle tatsächlich schaffen, bis 2020 eine Million emissionsfreie Elektroautos auf die Straße zu bringen, die CO2-Gesamtemissionen unseres Industrielandes um gerade mal 0,1 Prozent im Jahr verringert würden.

Also praktisch gar nicht, denn wir haben den erheblichen, fossile Rohstoffe verbrennenden Herstellungsaufwand noch gar nicht berücksichtigt, genauso wenig wie die Beschaffung von Lithium für die Megabatterien, das aus China oder Chile kommt, wo arbeitsrechtliche Standards eher lückenhaft eingehalten werden.

Der Emissionszauber ist ein mächtiger Vernichtungszauber, denn er hat die Autos in den vergangenen Jahren, ja, Jahrzehnten, hässlich und uniform und sparsam im Verbrauch schrumpfen lassen.

Die neue Autoreligion möchte das Auto ganz abschaffen. Oder durch irgendwelche komischen Elektroautos ersetzen, die zum großen Teil aus Batterien bestehen, aber äußerlich so tun, als wäre nichts passiert, wie etwa das edle Tesla-Modell, das nicht brummt, sondern summt, aber superweiche Ledersitze hat und ein Armaturenbrett aus 10 000 Jahre altem Holz, das der Permafrost freigegeben hat.

Poliert sieht das aus wie neu. Wie sündhafter Luxus. Solche Autos kaufen dann die, die früher die Lust an schwerem Gerät hatten und jetzt gern als weiße Ritter gehen. Die Umdenker, die Neugetauften, die mit dem guten und ganz besonders komfortablen Gewissen. Aber was ist mit unserer Autosehnsucht passiert? All diesen Versprechungen, diesen Affären, diesen Abenteuern?

Im grün-bewegten San Francisco fuhren die Vorzeigepromis alle für eine Weile Hybrid. Aber auch nicht länger, als sie später E-Zigaretten rauchten. Mittlerweile trifft man sie wieder mit echtem Rauch und klassischen Verbrennungsmotoren. Und unter uns: So eine nächtlich-blaue Aral-Tankstelle ist tausendmal schöner als eine Steckdosenstation. Wie soll so je wieder ein Roadmovie gedreht werden? Die spielen jetzt alle im Weltraum oder nach der Apokalypse.

Die Emissionshysteriker haben die Lust am Auto zerstört, diese grünen Wiedertäufer. Mit dem Auto ist es vorbei. Es hat seine hundert Jahre gehabt. Autos sind zu Transportgeräten verkommen wie diese “car2go”-Smarts, die für ein paar Euro benutzt und dann kalt am Straßenrand abgestellt werden.

In einer solchen Welt überlebt das Auto nur in der Erinnerung. In den Erinnerungen an George Lucas’ Film “American Graffiti” über cruisende Teenager der frühen sechziger Jahre, die in ihren Schlitten nicht nur die Freiheit fanden, sondern auch den Sex. In den Erinnerungen an den Hippie-Bus, der mit Hare-Krishna-Sonnen auf dem Weg nach Katmandu im Hindukusch verreckte. Oder in den Erinnerungen von Udo Lindenberg, der sich dank seines ersten dicken Plattenvertrags einen Porsche zulegte. Man hört ihn strahlen, wenn er am Telefon sein “Neunhundertelfer” nuschelt. Autos haben etwas bedeutet.

Nun mag man einwenden, dass sich doch auch Papst Franziskus in einen uralten Renault 4 quetscht. Entschuldigung, er ist da wie der heilige Franz. Er hat Spaß daran, arm zu sein, so viel Spaß, dass er ständig lächeln muss, um nicht dauernd verwundert den Kopf zu schütteln über die Verrückten, die Besitz anhäufen und sich Glückseligkeit dadurch versprechen.

Aber er weiß auch, dass längst nicht alle so weit sind wie er. Er ist kein Sittenkommissar, kein Tugendausschuss, er verlangt weder Gesetze noch Zwang gegen Andersdenkende.

Der R4 des Papsts wurde übrigens auf Methan umgerüstet.

Erschienen am 21.10.2013 im DER SPIEGEL 43/2013