Ein Schlüsselroman über SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein? Ja, das ist Gisela Stellys “Goldmacher”: Als Psychogramm ihres langjährigen Ehemanns – einer Überfigur, die vielen ein Rätsel geblieben ist, wohl auch sich selbst. Aber ihr Text begeistert ebenso sehr als großes Tableau deutscher Geschichte.

Das Erstaunliche an Gisela Stellys Schlüsselroman über ihren langjährigen Ehemann Rudolf Augstein ist zunächst, dass er keiner ist. “Goldmacher” erzählt von mehr als nur von der beeindruckenden Gründer- und Verlegerfigur, diesem merkwürdig scheuen und berechnenden, diesem nüchternen und heimlich für die Kunst lodernden Mann und Verführer.

Er erzählt die deutsche Geschichte. Erzählt von der Freundschaft zweier gegensätzlicher Männer, von zwei Familienclans, darüber hinaus von unserem Land und seiner Neigung zu Rausch und Grausamkeit und Phantasie, seinem Sündenfall und dem Wiederaufbau.

Tatsächlich gab es sie ja, diese Goldmacher, eine Gruppe von Finanziers und Militärs und Glücksrittern, die sich am Starnberger See trafen, 1924, ein Jahr nach der Inflation, um eine Produktionsgesellschaft zur industriellen Herstellung von Gold zu gründen. Natürlich war die Sache ein großer Schwindel, doch in ihren Wirkungen war sie vergleichbar mit der Halsbandaffäre, jenem Betrugsskandal, der die französische Revolution auslöste. Er wurde zur Metapher einer moralisch kaputten Verfalls- und Übergangszeit. Mit dem Gewinn ihrer Schwindelfirma finanzierten die Betrüger später die alles aus den Fugen reißende Nazi-Bewegung und deren Propagandablatt, den “Stürmer”.

Erotische Kompensation

Die Bluhms und die Münzers, zwei Clans. Anton Bluhms Vater Johann fällt auf den Goldmacher-Schwindel herein, Franz Münzers Vater Hubert hingegen ist in ihn verwickelt. Die Bluhms lernen: Nutze den Verstand. “Gott kann Wunder vollbringen, Menschen nicht”, ist das Motto der katholischen Familie. Die Münzers dagegen verschreiben sich der “Sache”: einer esoterischen Welterlösungslehre, die über Leichen gehen wird.

Anton und Franz sind die Polaritäten dieser deutschen Gemüts- und Ideologieschwingung.

Wie wunderbar Gisela Stelly diesen Zusammenstoß erzählen kann, zeigt sie in einer Szene, in der der kleine Anton seinen Vater in das Münchner “Weiße Brauhaus” begleiten darf und sich, im Dunst aus Bier und Lärm und Schweiß, leicht beschwipst in die üppig dekolletierte Kellnerin verliebt. Eine Szene wie von Feuchtwanger: Wie der Kleine die Ehre seiner Kellnerin gegen einen dieser rohen blonden Herrenmenschen der Bewegung verteidigen will – er rennt gegen ihn an, mit dem Kopf gegen das Koppelschloss, und geht zu Boden. Der Abdruck bleibt lange.

Anton wird Franz Münzer bei einem Ernteeinsatz der Hitlerjugend treffen. Franz, der sich auf eine stolze Karriere in der Partei vorbereitet, schlägt Anton, dem Bücherwurm, den “Moby Dick” aus der Hand. Wir begleiten die Kinder durch die Adoleszenz, sind bei ihnen und ihren Familien im Krieg und in der Not der fahlen Trümmerwelt des Nachkriegs.

Da sind Anton Bluhms erste literarische Versuche, er träumt von einem Geschichtsepos im klassischen Atem des Thukydides. Dann die ersten journalistischen Arbeiten im zerstörten Hannover, die Verlagsgründung in Hamburg, die erste Liebe und die zweite und weitere, die wie eine ständige und ständig suchende erotische Kompensation eines Mangels wirken. Vielleicht dem einer Lebensidee, die nicht kompromittiert ist durch den moralischen Bankrott, der hinter ihm und dem Volk liegt.

Epochenroman mit Dostojewski-Format

Auch die Münzers kommen wieder auf die Beine, der alte Goldmacher findet erstaunlich geschmeidig zurück in die Nachkriegswelt der Schnellverdiener und der Glücksritter, ein Spieler, wie es sie so viele geben sollte nach der Katastrophe. Gisela Stelly widmet ihm, Hubert, eine der kaltschnäuzigsten Passagen ihres groß angelegten Epochenromans: Hubert Münzer, todkrank, sitzt in Baden-Baden am Roulettetisch und ist entschlossen, sein zusammengerafftes neues Vermögen zu verspielen, um die Familie und sich selbst zu bestrafen. Das hat Dostojewski-Format.

Vielleicht geht dem Roman auf den letzten Seiten, im Gewimmel der vielköpfigen neuen Generation und im Trubel von Studentenbewegung und Feminismus ein wenig die Puste aus. Doch auch hier erzählt Stelly immer wieder interessant und anrührend von der Einsamkeit und der Ruppigkeit eines Mannes, den wir als Rudolf Augstein kannten und kennen.

Stellys “Goldmacher” ist ein wunderbar großes Tableau unserer jüngeren Geschichte, von den Zwanzigern des letzten Jahrhunderts bis hin zum Anschlag auf die Türme des World Trade Centers im neuen. Es ist farbig und sinnlich erzählt, mit dem szenischen Gespür einer Filmregisseurin, die Stelly ja auch ist. Dazu liefert sie das zärtliche Psychogramm einer Überfigur, die noch immer einen großen Schatten wirft. Da ist es dann vielleicht doch, das Schlüsselloch ins Seelenleben eines Mannes, der so vielen ein Rätsel geblieben ist, anderen, und möglicherweise auch sich selbst.

Erschienen am 28.01.2013 www.spiegel.de