Wie halten wir es mit dem Alten Testament? Für den Katholiken ist die Härte, die darin zum Ausdruck kommt, Programm. Die Protestantin sieht nur einen Gott grenzenloser Liebe.

Matthias Matussek: Liebe Mitchristin, was ist bei euch los? Das Alte Testament soll abgeschafft werden?

Claudia Becker: Dass wir schon so weit sind, dass Sie mich als Mitchristin bezeichnen! Das freut mich. Aber dass Sie so übertreiben müssen! Nur weil der evangelische Theologe Notger Slenczka die provokante These aufstellt, das Alte Testament passe heute nicht mehr in den biblischen Kanon, will die Kirche es doch nicht abschaffen.

Matussek: Dennoch scheinen die Protestanten in Deutschland – bei den Evangelikalen ist das anders – einen Bogen um das Alte Testament zu machen. Früher waren es die Deutschchristen, heute ist es politisch einfach zu inkorrekt, nicht wahr, das Alte Testament, gerade, was die heikelsten Themen moderner Offenbarung, die Schwulen- und die Frauenfrage, angeht.

Becker: Eigentlich kenne ich keine biblische Erzählung, die die Gefühle zwischen zwei Männern so würdigt wie die alttestamentarische Schilderung der Freundschaft zwischen David und Jonathan. Und was das Bild der emanzipierten Frau im alten Israel betrifft – da kann die katholische Kirche noch einiges dazulernen.

Matussek: Aha? David begehrt Bathseba so sehr, dass er ihren Mann in den Tod jagt. Sie haben irgendwie recht oder auch nicht: Ruth ist eine große erhabene Frauenfigur. Ein Kirchentags-Terminus wie “emanzipiert” würde mir übrigens da nie einfallen, so groß ist die.

Becker: Ich glaube, Ruth würde heute auf dem Kirchentag reden und für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen kämpfen. Sie hat ja selber erlebt, wie es ist, in ein fremdes Land zu kommen und auf Gastfreundlichkeit angewiesen zu sein.

Und David! Ich mag ihn. Ist er nicht ein wunderbares Beispiel dafür, dass der alttestamentarische Gott gar nicht so schrecklich autoritär ist, wie Sie vielleicht glauben? Er hat seine Strafe bekommen. Wusste sich aber immer von Gott geliebt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Gott, der einen Mann wie David, mit all seinen dunklen Seiten, zum König erwählt hat, Menschen zerschmettert, nur weil sie homosexuell sind.

Matussek: Aber ich bitte Sie. Haben Sie schon mal was von Sodom und Gomorrha gehört? Komplett ausradiert. Später will er die ganze Menschheit ersäufen in der Sintflut. Diesen Gott können Sie doch nicht zum Schmusegott umdichten. Und da sagt Jesus, der Jude, er sei nicht gekommen, um das Gesetz aufzulösen, sondern zu erfüllen. Und das gehört selbstverständlich zusammen mit dem neuen Testament.

Ist das nicht ein Skandal für jeden fortschrittlichen Kirchentag mit seinen feministischen Bücherständen und fair tradenden Gutmenschen? Ich finde schon. Das Christentum ist ein Skandal, der quer zum Heute liegt. Und dieser Skandal liegt auch im Liebesgebot, ohne dass wir es verstehen. Ich hab den Verdacht, dass dieses “Liebe deinen nächsten wie dich selbst” als Partymotto für den Christopher Street Day aber so was von missverstanden wird!

Erschienen am 30.05.15 www.welt.de



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