Mit dem Abschied vom Bildungszentrum Wildbad Kreuth ist für die CSU die Nachkriegszeit vorbei. Von hier aus prägte sie die ganze Republik. Lang ist’s her. 2016 sind hier zum letzten Mal Klausuren.

Der Geist von Kreuth? Aufsässig. Kämpferisch. Entschlossen. Auf alle Fälle spartanisch. Eine Art Feldlager aus 128 Zimmern. Die Betten sind aus hellem Kiefer, und sie sind sehr schmal. In jedem Zimmer selbstverständlich das Kreuz. Kein Fernseher. Ein karghölzerner Schreibtisch, ein Stuhl, so sehen sie aus, diese Mönchszellen im Bildungszentrum Wildbad Kreuth. “Sie sollten ja auch nicht in ihren Zimmern bleiben”, sagt die nette Frau Holthausen über die Gäste des Zentrums. Sie macht gleich klar, dass sie nicht auf politische Fragen antworten werde. Aber natürlich ist sie in der CSU.

Einer CSU, der die Werte abhandengekommen sind, denken manche Leute. Vielleicht ist das so, vielleicht ist das aber auch nicht wichtig, wenn man regelmäßig über 50 Prozent der Wähler gewinnen will. Da muss man allen alles sein.

Vielleicht ist CSU einfach eine Lebensart. Hier der Bierkeller mit der niedrigen geschnitzten Decke, alles wuchtiges Holz, hier trafen sie sich, wenn sie Wahlkampfstrategien besprachen, wenn sie den Gastrednern zugehört hatten, Wolf Biermann etwa. Dann feierten sie hier oder wetzten die Messer.

Mit Wildbad Kreuth hat die CSU längst nichts mehr zu tun. Folgerichtig geht nun eine Liaison zu Ende. Die Klausuren 2016 werden die letzten sein. Ein Ermüdungsbruch nach genau 40 Jahren. Herzogin Helene in Bayern, eine Wittelsbacherin, hat die ohnehin nur symbolische jährliche Pacht – man spricht von rund 100.000 Euro – für die Tagungsstätte der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung ein wenig anheben wollen. Die Stiftung stieg aus. Wildbad Kreuth hat seine Schuldigkeit getan. Vielleicht weil es an eine CSU erinnert, die man loswerden will. Vielleicht wurde es auch zu mönchisch unbequem.

Man muss sich dieses ehemalige Sanatorium winterlich vorstellen, in früher Dunkelheit, schwarz-weiß in einem Schneetreiben, das vor den TV-Scheinwerfern tanzt, die dicken Mäntel der 70er-Jahre. Vor allem den einen, den Polterer, den unberechenbaren Franz Josef Strauß – das alles muss man sich vorstellen, um den Mythos von Kreuth zu beschwören.

Wildbad Kreuth. Drei Silben wie drei Kanonenschüsse

Aber jetzt im freundlichen Sommer, wo hier der “7. Tegernseer Schultern- und Ellenbogenkurs” läuft? Nicht, dass Schultern und Ellenbogen für CSU-Abgeordnete nicht wichtig wären. Aber die Wiese, der Heuduft, die kleine zwiebeltürmige Kapelle und das herzogliche Gartenrestaurant. Von all diesen Sommerurlaubern und Radfahrern geht nichts im geringsten Schicksalhaftes aus – höchstens die Gewissheit, dass Bayern ein liebliches und erhabenes Gottesgeschenk ist. Christlich eben, und sozial, und überwältigend schön.

Nein, die Gründungsstunde des Mythos Kreuth ist winterlich. Hier stimmte die CSU-Landesgruppe für den Trennungsbeschluss von der CDU. Es war die Idee von Franz Josef Strauß, die CSU bundesweit aufzustellen. Wildbad Kreuth. Drei Silben wie drei Kanonenschüsse in der politischen Landschaft. Wie es durch die Republik donnerte, 1976, die CDU/CSU hatte mit Helmut Kohl die Bundestagswahl knapp verloren, und Strauß meldete auf seine Weise hoheitliche Ansprüche an.

Wie niedlich all das vom globalisierten Heute her aussieht: deutsche Innenpolitik. Die düsteren 70er-Jahre. Die Arbeitslosigkeit war hoch, und Kanzler Helmut Schmidt (SPD) hatte mit den RAF-Terroristen zu tun, also nicht mit religiösen, sondern politischen Killern. Und Abba landeten die Hits “Mamma Mia” und “Dancing Queen”.

Herrgottswinkel und Hochtechnologie

So lang ist das her. 40 Jahre. Eine beachtliche Strecke Geschichte. Und seither Mauerbrüche, Globalisierungen, Trivialisierungen, Virtualisierungen, Netzspionage, Gleichzeitigkeiten von Ungleichzeitigem. Die Fundamentalisten nutzen YouTube, Geschwindigkeit aufnehmend, bis es anthropologisch unfassbar wird.

Das Kunststück Bayerns besteht ja darin, dass es Herrgottswinkel und Hochtechnologie vereinbart. Es ist den Teufelspakt mit der Zukunft eingegangen, und es blüht. Es ist dick im IT-Geschäft und in der Forschung, während die Bierfeste nicht nur im Wald bei Kreuth gefeiert werden. Eine ganz komische DNA wächst hier. Dieser junge CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer etwa, sehr smart und konservativ, die Haare eine Spur zu lang und zu gegelt.

“Ich war übrigens damals dagegen”, sagt Ursula Männle zum Trennungsbeschluss von ’76. Sie war damals stellvertretende JU-Vorsitzende, ist heute Stiftungs-Chefin. “Und Franz Josef Strauß, das muss man ihm lassen, hat den Fehler später auch mal zugegeben.” Das neue Hauptquartier der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, ein moderner Zweckbau aus Stahl und Glas in der Münchner Lazarettstraße, lässt keinen Zweifel, dass es sich der Zukunft zuwendet.

Im Empfangszimmer allerdings hängt hübsches Altes an der Wand, ein Arkadien mit Hirten, unten eine Meeresbucht, dahinter ein zart räuchelnder Vesuv. “Keine Ahnung, wer das gemalt hat”, sagt Ursula Männle, “aber wird wohl Neapel sein, wegen dem Vesuv”. Vielleicht ist es ja ein allegorisches Gemälde, der Vulkan ist offenbar immer noch aktiv, der Geist von Franz Josef Strauß ist gegenwärtig, auch wenn nun mit Wildbad Kreuth gebrochen wird. “Wir werden in die Fläche gehen”, sagt Männle, Kloster Banz käme infrage, andere Spielstätten, man wird schon was finden für die traditionellen, berüchtigten Winterklausuren.

Der Ort des Aufstandes gegen Stoiber

Mit dem Abschied von Kreuth ist für die CSU die Nachkriegszeit vorbei. Einst gab es den “Ochsensepp”, der im katholischen Widerstand war und die Partei gründete. Da war der Hundhammer, der aufs Beten bestand, als wolle er es gesetzlich verankern, und der gegen den lockeren, lebenslustigen Strauß loslegte und bedenkenlos Listen mit dessen Geliebten im Landtag verlas. Abgesehen vom Putsch 2007 gegen Edmund Stoiber hat Wildbad Kreuth den Anfangslärm nie wieder erreicht.

Einst stand es für eine CSU, die ständig versuchte, die politische Landschaft der Bundesrepublik in ihrem Sinne umzupflügen, notfalls gegen die Schwesterpartei. Auch im Sinne konservativer Werte, christlicher und sozialer. Aber doch nicht für eine alberne Maut, die keiner will und die womöglich kassiert werden wird wie gerade das Betreuungsgeld.

Um das allerdings wird Seehofer kämpfen. Hier geht es um ein Identitätsthema, um das Menschenbild, das Familienbild der Christsozialen, und das steht nicht zur Disposition. Es gehört zur DNA der Partei. Nun wird sich zeigen, ob es auch ohne diesen Tagungsort und seine Legende geht.

Und anders herum? Funktioniert Wildbad Kreuth ohne CSU-Folklore? Der Ort lebt von Touristen, viele kommen, um sich den aus den Nachrichten bekannten Bau anzuschauen. Der Kreuther Bürgermeister Josef Bierschneider ist da ganz optimistisch. An Franz Josef Strauß erinnert er sich aus seiner Kindheit, eine lebende Legende, er wohnte ja hier in seinen letzten Lebensjahren, und immer, wenn er wählen ging, gab es den großen TV-Auflauf.

Aber Wildbad Kreuth hat ja noch eine andere Legende. Hier in der Gegend floh ein angeschossener Hirsch zu einer Quelle, in der er seine Verwundung badete. Das Wasser enthielt heilende Mineralien und gab 1511 den Anlass, ein Badhaus zu errichten. 1818 kaufte König Maximilian I. Joseph das Wildbad, wo sich gekrönte Häupter wie Zar Nikolaus I. die Zeit vertrieben. “Man könnte sich durchaus vorstellen”, sagt Bürgermeister Bierschneider, “dass die Quelle ausgebeutet wird, sodass man irgendwann Wildbader Mineralwasser exportieren könnte.” Vielleicht die beste Lösung für alle Seiten. Der Kreuther Geist wäre so wenigstens in Flaschen zu haben.

Erschienen am 02.08.2015 www.welt.de



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